In meiner mehr als nur politischen Jugend las ich einmal einen im Endeffekt sehr suggestiven Roman, der zur Zeit des Kapp-Putsches spielte und von der Entstehung, dem Kampf und der Niederlage der Roten Ruhrarmee erzählte, und das war ein sehr dramatisches, düsteres Buch voller Endzeitstimmung, und die zwei Protagonisten, beide Kämpfer und Anführer der Roten Ruhrarmee, überlebten die ganze furchtbare Sache nur sehr, sehr knapp, um sich dann aber, im letzten Kapitel, völlig überraschend einige Zeit später bei sonnigem Wetter am Rheinufer im Düsseldorf wiederzutreffen. Dort saßen sie dann auf einer Terasse, bestellten einen Kaffee und plauderten ein wenig, wie’s denn so geht usw. Starker Kontrast. Ganz normales Leben plötzlich. Nichts mehr von Kampf bis zum Ende, keine Roten Armeen mehr, keine Märsche auf die Zitadelle Wesel usw., stattdessen weißes Porzellan, Sonnenschein, draußen gibt’s nur Kännchen und das ganze Programm. Sehr beeindruckend.
Ganz ähnlich mein Gefühl, als zwei Tage nach Ende der Tour das Telefon klingelte und Hamburg-Heiner dran war. Die ganze Spannkraft weg. Adrenalin, Endorphin, Melatonin, Insulin, Hämoglobin, Hängolin – alles futsch. Stattdessen saß ich mit Jakob und Richard im Tritonus-Tonstudio, dem Berliner Äquivalent eines sonnigen Rheinuferterassencafés, und wir hörten gerade die Bluebird-Tapes ab, jene Aufnahmen, die wir in Bremen und Wien gemacht haben, um sie demnächst bei iTunes zu verscheuern, damit sich jeder mal ein Bild davon machen kann, was wir in diesen dreieinhalb Wochen Tour eigentlich getrieben haben. Denn um ehrlich zu sein: Aus diesem Blog ist davon nicht viel zu entnehmen. Man ist zwar in der Lage, längst verschwundene Galaxien anhand ihrer noch immer frei flottierenden Hintergrundstrahlung zu rekonstruieren, aber man kann die Livekonzerte der Gruppe Element of Crime ganz gewiss nicht aus dem unrettbar sprunghaften Geschreibsel eines ihrer Mitglieder, und sei es gleich der Sänger, auch nur in Umrissen erahnen, das läuft nicht, da ist die Macht des geschriebenen Wortes begrenzt. Nun aber Hamburg-Heiner am Telefon und gleich mittendrin:
Hamburg-Heiner: Wie klingen die Aufnahmen?
Sven: Gut. Wir nehmen die, die Dave von Otto in Wien und Olaf in Bremen hat machen lassen. Wo die so im Publikum standen mit der kleinen Tascam-Maschine und die hochhielten und so den Sound mitgenommen haben, das klingt sehr, wie soll ich sagen, authentisch!
HH: Authentisch ist Quatsch.
Sven: Ja logo, aber irgendwie auch gut. Ich meine, wenn schon Bluebird-Tapes, denn schon Bluebird-Tapes.
HH: Kannst du das nicht alles mal in Ruhe erklären?
Sven: Nein, hier nicht, hier ist taz online, da hat sowas keinen Platz, das ist ja auch Werbung irgendwie, das käme mir wie Missbrauch vor, die taz ist ja werbefrei, und da will man hier ja nicht wirklich mit Konsumterror anfangen. Wir erklären das alles demnächst in Ruhe auf www.element-of-crime.de. Da kann man sich auch für den Newsletter eintragen, wenn man informiert werden will, wann das zu haben ist und so weiter und so fort, nicht aber hier, hier bleibt alles sauber und rein, hier würde ich höchstens Werbung für Bio-Eier machen, aber dann kommt der Veganer auf einen nieder und dann ist das auch wieder nicht recht!
HH: Vor Veganern habe ich keine Angst, die tun einem nichts, wenn man keine Pflanze ist. Aber mit Pflanzen haben sie kein Mitleid!
Sven: So ist jeder auf seine Art hart drauf.
HH: Was ich an diesem Blog irritierend finde: Dass ich über das Konzert in München und Dresden nichts lese. Über Dresden überhaupt gar nichts.
Sven: Das Problem ist ja blogtechnisch, dass das Zusatzkonzerte waren, dass wir also in München und Dresden schon einmal vorher gespielt hatten, das ist doch das Problem.
HH: Wo ist denn da das Problem? Als ob man über München und Dresden nur einmal bloggen könnte? Es gibt Menschen, die bloggen jeden Tag aus München und aus Dresden über München und über Dresden, auch ohne Konzert, ohne Vorgruppe, ohne alles, und die kommen super damit klar.
Sven: Vorgruppe! Vorgruppe ist gut. Also in München waren Coconami als Vorgruppe dabei und in Dresden war es Maike Rosa Vogel. Die beiden sollte man unbedingt beachten, überhaupt immer, das wollte ich auch nochmal sagen! Und Trummer, der in Bern dabei war, der wurde gar nicht genug gewürdigt.
HH: Ist das also auch erledigt. Das war’s dann also?
Sven: Ja, das war’s.
HH: Dann mach ich jetzt mal das Licht aus.
Sven: Mach’s gut, Hamburg.
HH: Keine Sentimentalitäten, bitte!
Und damit legte er auf.
„Frei flottierende Hintergrundstrahlung“: Element of Crime während des Konzerts in Hamburg, Alsterdorfer Sporthalle (Foto: Ch. Goltermann).
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