vonErnst Volland 06.10.2009

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Ein Mal im Jahr öffnet in Basel die, wie allgemein berichtet wird, wichtigste Kunstmesse der Welt, ihre Tore. Ich fahre von Freiburg nach Basel zu einem Bekannten, der uns erfreulicher Weise Freikarten für die Messe besorgen kann, und somit nehme ich die Gelegenheit wahr, diese Messe, die sich fast ausschließlich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt, aber auch klassische Moderne anbietet, (alles ist käuflich) für ein paar Stunden zu besuchen.

Etwa zweihundert ausgesuchte Galerien, die sich einem schwierigen Auswahlkriterium stellen müssen, bieten ihre derzeitigen Spitzenwerke zum Verkauf an, vornehmlich Galerien aus den USA und Europa. Die Presse schreibt schon Tage vorher über die größten Galerien, die in Basel erwartet werden. Natürlich darf die Erwähnung des teuersten Objektes nicht fehlen, das eine New Yorker Galerie anbietet. Dieses Jahr ist es ein Bild von Mark Rothko und soll 40 Mill. Dollar kosten. Für wichtige Besucher ist eine Preview vorgesehen und es soll sogar eine Prepreview geben, für besonders reiche Sammler, alle handverlesen, denen die Möglichkeit gegeben wird, in der Nacht vor der Eröffnung durch die Hallen zu schlendern, um ihre Einkaufsliste zu erstellen.

Der Kontrast zwischen der Stadt Freiburg, mit ihrer beschaulichen Ruhe und Gelassenheit, und der angespannten Atmosphäre in den Hallen Basels, könnte nicht größer sein, auch wenn man die Preise betrachtet, die an den kulinarischen Ecken in der Halle angezeigt werden. Ein Paar Wiener kostet acht Schweizer Franken, ein Kaffee sechs und beides ist kaum zu genießen.

Zuerst gehen wir in die Abteilung Fotografie. Seit einigen Jahren haben es einige Fotogalerien geschafft, die Aufnahmekriterien für die Messe zu erfüllen. Fotografie ist seit den 70er Jahren ein wichtiges Medium für den Kunstmarkt geworden, das Interesse, gerader junger, finanziell starker Käufer, ist auf diesem Gebiet in den letzten zehn Jahren rasant gestiegen und man sieht Preise für gute Abzüge aus dem 19. Jahrhundert, die an die Hunderttausend Dollar Grenze stoßen, und die vor einigen Jahren noch für fünfhundert Dollar in Antiquariaten in London und Paris zu haben waren. Ich entdecke einige sehr wertvolle Abzüge berühmter Fotografen, aber dann ist mir das Angebot in der Fotografieabteilung schon genug, und ich denke darüber nach, wie ich meinem Bekannten erklären kann, dass mich der Rest der Messe nicht besonders interessiert, als ich in einer Koje zufällig einen Radziwill sehe, ein Bild vom Anfang der Dreißiger Jahre. Franz Radziwill, der Maler des magischen Realismus, interessierte mich seit meiner Schulzeit. Ich lernte ihn durch seine Tochter kennen, die neben mir auf der Schulbank saß, und die ihn sogar überzeugen konnte, meine erste Einzelausstellung als Achtzehnjähriger persönlich zu eröffnen.

Auf der Messe hing ein mir nicht bekanntes Werk, das die typischen Merkmale seiner Malweise zeigte, eine fast surreale Landschaft, mit zwei Flugzeugen, die kurz über dem Meer schwebten. Jede einzelne Schraube der Doppeldecker konnte man auf dem Bild erkennen. Radziwill lebte, als wir uns kennen lernten, auf einem Dorf in der Nähe der Stadt an der Nordsee, in der ich aufgewachsen war. Ich besuchte ihn oft in seinem Atelier, das heute der Öffentlichkeit als Museum zugänglich ist. Das Bild war mit einer halben Millionen Dollar ausgewiesen, und ich erinnerte mich daran, wie Radziwill mir, dem Achtzehnjährigen, nach einigen Begegnungen, ein Bild zum Kauf anbot, der Preis von Dreitausend DM war abzuzahlen in Raten von fünfzig DM. Ich lehnte damals selbstverständlich ab, auch weil ich die knappe finanzielle Situation des alten Malers nicht erkannte, aber vor allem, weil ich mich als Bewunderer seiner Bilder verstand, der eher etwas lernen wollte, als zu kaufen. Der Blick auf den ausgezeichneten Radziwill überzeugte mich, doch noch tiefer in die Halle zu gehen, als ich plötzlich, wenige Meter vor mir, in ein Gesicht schaue, von dem ich annehme, dass ich es schon einmal gesehen hatte, jünger, jedoch mit den gleichen Grübchen, links und rechts. Das Gesicht gehört einem blonden Mann, der etwa mein Alter hat. Wir gehen einige Kojen weiter, das Gesicht verschwindet nicht vor meinem inneren Auge, bis mir die Person in die Erinnerung kommt, die dieses Gesicht besitzt. Es ist das Gesicht eines Schulfreundes und mir fällt ein Foto ein, auf dem wir gemeinsam abgebildet sind, noch aus der Schulzeit, ungefähr zu der Zeit, als ich Radziwill zum ersten Mal kennen lernte. Eine Gruppe junger Männern, posiert wie eine Fußballmannschaft vor dem Spiel. Das Foto wurde auf der Insel Wangerooge aufgenommen, am Strand des Meeres. Wir waren Schüler in einer Klasse und unser Gymnasium besaß dort ein Schullandheim, in das wir zwei Wochen während der Schulzeit fahren konnten. Ich lag als Torwart auf dem Boden, ausgestreckt, den Kopf auf einen Arm gestützt, die anderen standen. Das Gesicht gehörte dem jungen Mann links außen.

„Ich habe hier jemanden gesehen, den ich kenne, aus der Schulzeit, gerade eben, in einer sehr großen Koje. Er sah eher aus wie der Besitzer eine Galerie, kein Besucher,“ sagte ich zu meiner Begleitung.

„Dann gehen wir dort noch einmal hin,“ schlug mein Bekannter vor, und wir schlenderten zurück, um uns das Angebot näher anzusehen.

Die Galerie kam aus Köln, hatte in mehren großen Städten wie Mailand und London Dependancen, und mein Schulfreund war der Besitzer dieser gut gehenden Galerien, die eine handvoll Künstler unter Vertrag hatte, deren Arbeiten ab 1 Million Dollar verkauft wurden. Ich war sicher, dass es mein Schulfreund war, daran war kein Zweifel, ich war mir aber nicht sicher, ob ich ihn ansprechen sollte. Es war inzwischen viel Zeit vergangen. Seit der Schule hatten wir keinen Kontakt. Ich hatte ab und etwas über seine Ausstellungen gelesen, er war einer, der international ein großes Rad im Kunstgeschäft drehte. Irgendetwas hinderte mich, ihn einfach zu begrüßen. Ich vermutete auch, was mich hinderte. Es war die Grenze, die sich im Laufe der Jahre zwischen uns gebildet hatte, und die unser Leben in zwei völlig unterschiedliche Lebensbereiche teilte, obwohl wir uns beide in den letzten dreißig Jahren mit Kunst beschäftigt hatten.

Wir liefen einen Bogen und kamen zur Koje des Galeristen aus der Schulzeit zurück. Sie war drei mal größer als andere Kojen, und ich hatte einige Mühe, einen günstigen Augenblick zu erwischen, um ihn anzusprechen, ohne die beiden hübschen Frauen einzuspannen, die die Gesprächspartner für ihn sortierten.

„Hallo, wie geht’s?“

Der Galerist sah mich an, verharrte und sagte.

„Was kann ich für Sie tun?“

„Ich wollte einfach mal guten Tag sagen, schöne Koje, läufts gut?“

„Kennen wir uns, woher kennen wir uns?“

„Wangerooge, Fußball, Meer, Schule.“

„Das ist lange her, Schule, eine fürchterliche Zeit. „Tschuldigung,“ er schaute auf seine Uhr, „ich habe gerade einen wichtigen Termin. Vielleicht ein anderes Mal.“

Er drehte sich um, ging zu einer der assistierenden Frauen, sprach kurz mit ihr und dann verschwand er.

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