Frankreichs Bauern haben gestern der Industrie unter staatlicher Vermittlung eine Milchpreiserhöhung auf 28 Cent abgetrotzt – weniger als zu Beginn des Milchstreiks, der heute vor einem Jahr zu Ende ging. Aber doch deutlich mehr als hierzulande, wo Ilse Aigner ihren Dieselgeschenken an die Grossbauern kurz vor der Wahl noch eilig Billigkredite und weitere Exportsubventionen auf Kosten der Bauern in Übersee hinterherwirft. Die Entwicklungsministerin protestierte dagegen vergebens. Nimmt man die Milch als Messlatte für die Europawahlen am Sonntag, führt an den Grünen kein Weg vorbei.
Das EU-weit organisierte Bauernsterben, dessen Zeugen wir derzeit unter der Überschrift „Markt-Milch-Aigner-Aldi & warum will Sonnleitner denn noch mehr Subventionen?“ werden, hat gestern in Oberfranken ein erstes Opfer gefordert, wie wir es bisher nur von verzweifelten Bauern aus Indien kennen. In Langensteinach ertränkte sich ein Milchbauer angesichts der Überschuldung in der Jauchegrube. Ein Schnellkredit zu Vorzugszinsen von Frau Aigner hätte sein Elend wohl nur ein wenig hinausgeschoben.
Gegen das Rezept weiter Überschüsse zu produzieren, um damit dann den Weltmarkt zu überschwemmen und damit das Bauernsterben auch noch in die Entwicklungsländer zu exportieren wenden sich neben Entwicklungsorganisationen, einer in der eigenen Partei nicht durchsetzungsfähigen Heidemarie Wiczoreck-Zeul und Campact praktisch nur die Grünen. Deren Antrag auf Stop der Milchexportsubventionen und eine „flexible Mengensteuerung“ als Nachfolgemodell zu der bis 2015 auslaufenden Milchquote wurde von CDU, SPD und FDP bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Der Beschluss des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, in dem die Parteien ihre Positionen darlegen, ist ein Armutszeugnis sondergleichen: Richtig gut findet die Exportsubventionen zwar keiner; aber weitergehen soll es dennoch. Die Beschränkung der öffentlich geförderten Produktion auf den Bedarf halten alle für einen Verstoss gegen die „ehernen“ Gesetze des Marktes. Dass die Überproduktion nicht nur ökonomisches Unheil in Entwicklungsländern anrichtet, sondern zudem erhebliche Mengen an Treibhausgasen produziert, ist ihnen der Erwähnung nicht einmal wert.
Tatsächlich sind die Grünen derzeit die einzige Partei, die ohne Rücksicht auf mögliche Klientelinteressen die einfachen Wahrheiten über die Milchmisere offen aussprechen und dafür strategische Lösungen fordern anstatt mit ökologisch wie ökonomisch unsinnigen Zusatzsubventionen daran herumzudoktorn und die bäuerlichen Milchbetriebe medial tränenden aber doch sehenden Auges in den Ruin gehen zu lassen.
Ihr bisheriger Mann im Agrarausschuss des Europaparlaments, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, der gleichzeitig Präsident der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft ist, verfolgt den Kurs der Mengenbegrenzung seit Jahren. Ihm ist es auch zu verdanken, wenn nach Inkrafttreten der Lissabonner Verträge das Parlament künftig mitbestimmen kann über die Agrar-Deals der Regierungen. Es wird zum Ärger der Agrarlobby durchaus auch in der Lage sein, die laut Aigner und Sonnleitner „unrealistische“ Forderung nach Milchquoten statt Exportsubventionen durchzusetzen.
Seine Partei hat ihm das allerdings nicht gedankt und ihn für die nächste Wahl nicht mehr aufgestellt. Kaum anzunehmen, dass die Herren Bütikofer, Schulz oder Giegold sich mit Milch und Mist befassen werden. Erst auf Platz 10 steht bei den Grünen diesmal ein Bauer, der hoffentlich in „FriWis“ breite Stiefel wachsen wird. Wie beim Preis für Milch oder Öl, werden also auch bei der Wahl am Sonntag die letzten Liter, sprich Stimmen für die Grünen den Unterschied machen.
Mittlerweile hat auch die US-Regierung wieder Exportsubventionen für Milch eingeführt. Die US-Milchindustrie habe an Weltmarktanteilen verloren „teils wegen der Wiedereinführung direkter Exportsubventionen durch die Europäische Union“, erklärte Agrarminister Tom Vilsack vergangene Woche. Zunächst würden rund 92.000 Tonnen Milchprodukte bezuschusst.“ schreibt die taz. Jetzt werden wohl beide Seiten noch nachrüsten.
Gegen Mengenbegrenzungen schickt der Bauernverband seit dem Bäurinnen-„Coup“ des Milchbauernverbandes nun selbst vornehmlich junge Bäurinnen an die Medienfront: „Wir brauchen klare Rahmenbedingungen, um zukunftsorientiert investieren zu können. Dazu muss auch am Beschluss, die Milchquote abzuschaffen, festgehalten werden“, läßt er die Milchbäurerin Kathrin Thönnes, Landesvorsitzende der Landjugend Rheinland-Nassau verlauten.
Dass Verhandlungen wie in Frankreich hierzulande ausgerechnet am Kartellrecht scheitern, das den bäuerlichen Unternehmern im ungleichen Kampf mit den Milchkonzernen ein gemeinsames Vorgehen als unerlaubte Preisabsprache versagt, erscheint Aigner mittlerweile auch zu dämmern. Schon beim letzten Streik drohten die Molkereien den Landwirten mit dem Kartell-Knüppel – absurd! Aus Protest gegen den französischen 28 Cent Deal kippten in Clermont-Ferrand gestern Bauern ersdt mal 15.000 Liter Milch auf die Strasse.
Was die verbilligte Dieselsteuer welchen Bauern bringt hat Lutz Ribbe von Euronatur genau berechnet: Nur 6% der Betriebe in Deutschland werden davon mehr als 350 € profitieren – je grösser desto mehr. Ein voller Erfolg für die Milchindustrie-Linie des Deutschen Bauernverbands, aber ein teuer erkaufter Tropfen auf den heissen Stein für die Mehrheit der Milchbauern.
Übrigens: Dass Milch gesund sei, ist angesichts des übermäßigen Verbrauchs hierzulande, ein gefährlicher Mythos. Darauf weist in der TAZ Ralf Bollmann hin und beschreibt den „grundlegenden Unterschied zwischen der mediterranen Ölbaumkultur und der nordeuropäischen Weidekultur“. „Verbrauchte jeder Deutsche im Jahr 2006 durchschnittlich 92,3 Liter an flüssigen Milchprodukten, waren es in Italien nur 57,4 Liter. Bei der Butter steht einem deutschen Pro-Kopf-Konsum von 6,4 Kilogramm ein italienischer Verbrauch von 2,8 Kilogramm gegenüber. Ernährungswissenschaftler glauben schon lange, dass im Gegensatz von Kuh und Ölbaum ein wichtiger Schlüssel für die geringere Lebenserwartung in Nordeuropa liegt. Gesättigte Fettsäuren gelten als Hauptrisiko für Herz und Kreislauf.(…) Ein Liter enthält 35 Gramm schlechtes Fett, ungefähr so viel wie eine fette Bratwurst.
Bei der Gelegenheit sollte vielleicht auch gleich noch die ekelhafte Analog-Käse-Frage angeschnitten werden. Auf dem Milch-Markt spielt er im Vergleich zu Mozarella, Edamer und Gouda bisher eine untergeordnete Rolle, wie die nebenstehende Grafik illustriert, hat allerdings die größte Steigerungsrate im Verkauf (Quelle: www.girafood.com; 2009; „The main trends in the cheese as an ingredient market „).
Noch mehr Statistik und Hintergründe zum Thema Milch findet man leider am besten bei der Milchindustrie. Hier einige Eckzahlen: 2008 lieferten deutsche Bauern insgesamt 27,8 Mio Tonnen Milch ab, 0,7 % mehr als 2007. Der Verbrauch sank im gleichen Zeitraum um etwa 1 Prozent, die Zahl der milcherzeugende Betriebe gar von 102.000 auf 99.000 um fast 3%. Der Umsatz blieb bei 22,7 Mrd. € etwa konstant, der Export sank von 4,88 auf 4,7 Mrd. € um 2,9%. Der Erzeugerpreis pro Liter war damals von 34,5 auf 34,84 € pro Liter noch um 1 % gestiegen. Heute liegt er um die 20 Cent.
Die FAO meldete gestern weltweit gegenüber der Spitze Ende 2007 um 58 % gefallene Milchpreise, sagt aber für 2009 deren Erholung u.a. aufgrund sinkernder Produktion auch in der EU voraus.