Die EU fordert von der Türkei seit Ewigkeiten Demokratie. Bitte: Die „Behinderten“ möchten Zugang zu allen Bereichen des Lebens. Dabei berufen sie sich auf die Türkische Verfassung.
Jeder Türke, der nach Deutschland kommt, wundert sich zuerst über die vielen behinderten Menschen auf den deutschen Straßen, die selbständig in ihren Rollstühlen durch die Fußgängerzonen rollern. Warum hat dieses Land so viele Behinderte? Nein, das stimmt natürlich nicht. Nur in der Türkei haben diese Menschen einfach keine Möglichkeit herauszugehen: Weil das Leben in den Großstädten sogar für Nichtbehinderte eine echte Herausforderung ist, und sie keinen Staat haben, der an sie denkt. Betriebe müssen zwar auch eine bestimmte Zahl von Behinderten einstellen, aber wer kontrolliert das wirklich? Jeder Istanbuler, der abends heil zu Hause angekommen ist, dankt Gott, daß er in diesem Autoparadies wieder einen Tag überlebte.
Die „ausländischen Gymnasien“ (und ich bin Absolventin eines solchen) haben soeben erklärt, daß sie wegen fehlender Infrastruktur leider keine behinderten Schüler zu ihren Aufnahmeprüfungen lassen können. Das ist bisher, seit über 100 Jahren, gängige Praxis. Aber wenn sie so verkündet wird, zuckt man irgendwie zusammen. Weil das ein demokratischer Reflex ist, ist das löblich und ei Zeichen für das wachsende demokratische Bewußtsein in der türkischen Öffentlichkeit.
So weit so gut. Was ändert sich aber wirklich?
Ich weiß nicht, ob zum Beispiel bestimmte Eliteschulen in Deutschland auch solche Sonderbestimmungen haben. Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, eher ist ein Kontingent vorstellbar. Hier aber werden behinderte Schüler die Deutsche Schule, die französischen Gymnasien, die italienischen Schulen nicht besuchen dürfen. Diese Schulen sind ein Relikt osmanischer Zeit und nehmen durch eigene Aufnahmeprüfungen „kluge Schüler“ der Oberschichten auf, die dann natürlich mit diesen Sprachen und Ländern besonders verbunden bleiben…
Wenn Demokratie einkehrt, sollten aber auch diese Gymnasien ihre physische Infrastruktur so ausbauen, daß sie zumindest eine bestimmte Quote von behinderten Schülern aufnehmen können. Es ist anzunehmen, daß ohnehin nicht viele behinderte Schüler an ihre Tür klopfen, denn sie sind sehr sehr teuer. Und die immense Qualitätskluft zwischen diesen und den öffentlichen Schulen in diesem Land ist im Grunde genommen so undemokratisch, wie man sich das gar nicht vorstellen kann.