vonChristian Ihle 18.09.2010

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It took me something under five minutes to decide that these left-wing former university students from Leeds were the most interesting band I’d seen since the Sex Pistols – and the most exciting.

…so der große Greil Marcus 1978 in seinem ersten Artikel über die britischen Postpunks von Gang Of Four, die nach langer langer Zeit in Deutschland wieder einen Auftritt absolvierten.
Mit alten Punks, insbesondere solchen, die gerade für Innovationen und musikalische Revolutionen bekannt waren, ist es ja immer so eine Sache: will man das überhaupt live noch einmal sehen? Kann das auch nur eine grobe Annäherung an das werden, was es einmal war?

Doch nach den beiden begeisternden Auftritten von den Stooges wie Specials vor einigen Wochen geben wir auch Gang Of Four einen Vertrauensvorschuß und werden trotz eines in Teilen recht polarisierenden Auftretens keine Sekunde enttäuscht. Musikalisch sind Gang Of Four 2010 die Definition von tight. Die neu besetzte Rhythmusfraktion trägt die Songs und Gitarrist Andy Gill hat immer noch die beeindruckendsten Gitarren-Licks im Punkiversum. Während Sänger Jon King etwas irritierend beinah manisch die Bühne auf und ab tigert und nur kurz davor scheint, jede Sekunde in „I’ve Been Looking For Freedom“ auszubrechen, steht Gill wie eh und je mit zusammengekniffenen Augen, das Publikum in den Höllengrund stierend, da und spielt diese Riffs, die Post-Punk definierten wie niemand sonst. „He holds himself as he has seen it all and expects worse“ schrieb Greil Marcus damals über Gill und nichts hat sich seitdem geändert. Eine wunderbare Setlist, die noch dazu sich den Luxus leisten konnte, Hits wie „I Love A Man In Uniform“ oder „At Home He’s A Tourist“ wegzulassen und ein brillant gespielter Auftritt. Ein Höhepunkt. Entertainment, fürwahr!

Überhaupt mussten nach einem recht katastrophalen ersten Festivaltag mit unterkühlten Performances und einem überflüssigen Festivalabbruch die alten Punks den Tag retten: Rip it up & start again, eben. Denn neben Gang Of Four ist es vor allem der Nachmittagsauftritt von Edwyn Collins of Orange Juice – Fame, der die Herzen rührt. Collins, von zwei Schlaganfällen gerade so wieder genesen, wird von einer formidablen Band um Paul Cook (Sex Pistols, Schlagzeug) unterstützt und hat immer noch unter den Nachwehen seiner Erkrankungen zu leiden. So bizarr es klingt: der Mann kann zwar kaum laufen, den linken Arm nicht bewegen und hat sichtlich Schwierigkeiten, zwischen den Songs Ansprachen zu halten und Worte zu formen, fällt aber sofort in traumhaft sicheren Gesang während seiner Songs. Gibt es etwas beeindruckenderes als wenn ein Musiker nicht mehr richtig gehen oder reden kann, aber weiterhin seine Songs singt, als sei nichts geschehen?
Zudem streift der Collins-Auftritt nie den unschönen Aspekt, dass hier ein kranker Mensch vorgeführt werden soll – nein, man würde während seiner Songs ja für keine Sekunde bemerken, dass Collins noch nicht hundertprozentig wiederhergestellt ist.
Er spielt einige Orange-Juice-Hits wie „Rip It Up!“ und „Falling & Laughing“, tolle Songs des neuen, im Herbst erscheinenden Albums („It Dawns On Me“) sowie als Schlußpunkt den schönen Mod-Groover „A Girl Like You“, der sich vor einigen Jahren ja recht überraschend sogar in die obersten Regionen der deutschen Charts verirrt hatte. Dafür hat sich der ganze Ärger der zwei Festivaltage dann doch gelohnt. (Text: Christian Ihle, Fotos: Daniel Erk)

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