vonChristian Ihle & Horst Motor 12.02.2008

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Go Go Second Time Virgin

1. Der Film in einem Satz
15 Darsteller, 11 Morde, 4 Vergewaltigungen, 65 Minuten.

2. Darum geht’s
Während in Deutschland noch aus der Lederhose gejodelt wurde, setze Japan seine Jungen Wilden der Regieavantgarde an die Kamera und ließ sie irrsinnig-surreale Geschichten drehen, so lange nur ab und an jemand nackt durchs Bild lief. Blut und Mord gabs dann noch als Bonus. 1969 dreht Koji Wakamatsu (der auch seinen neuen – und gänzlich anderen – Film “The Red Army” auf der Berlinale in diesem Jahr vorstellt) dieses avantgardistische Nacktfilmkleinod, nachdem er wenige Jahre zuvor mit “Secrets Behind The Wall” auf der Berlinale für einen Skandal sorgte. Pink Movies nannte man dieses Genre des avantgardistischen Nacktfilms und auch heute noch wirkt Go Go Second Time Virgin verwirrend und verstörend.

3. Der beste Moment
Das Mädchen sitzt unter der Dusche auf dem Dach des Hauses, das Wasser wirkt wie ein Vorhang und wieder ist Koji Wakamatsu eine beängstigend schöne Szene gelungen.

4. Diese Menschen mögen diesen Film
Wer sich in Bunuel Retrospektive wohl fühlt und sich wünscht, Takashi Miike würde ein Remake des andalusischen Hundes mit mehr Sex drehen.

* Japan
* Regie: Koji Wakamatsu
* imdb

Happy-Go-Lucky

1. Der Film in einem Satz
Die 30jährige Poppy lacht sich durch ihr Londoner Leben und treibt ihren Fahrlehrer in den Wahnsinn.

2. Darum geht’s
Poppy wohnt seit 10 Jahren mit ihrer besten Freundin zusammen und arbeitet als Kindergärtnerin, geht wochenends tanzen, unter der Woche trinken, nimmt ihre ersten Fahrstunden und liebt das Leben schon allein dafür, dass es das Leben ist.
Neben Ken Loach ist Happy-Go-Lucky-Regisseur Mike Leigh der große alte Mann des britischen working class Kinos, das an Tristheit manchmal kaum zu überbieten ist, aber immer wieder auch ein Lächeln in den Geschichten aus der Arbeiterklasse unterbringt. für Happy-Go-Lucky ist allerdings sämtliche Tristheit verschwunden und der 65jährige Leigh zaubert ein fröhliches Alterswerk auf die Leinwand, das wie ein Sonnenschein in dem schweren Berlinale-Programm wirkt. Wenn du morgens zwei Stunden lang der korrupten Polizei beim Morden in Rio de Janeiro zugesehen hast und abends eine Dokumentation über Abu Ghraib auf dem Programm hast, dann wirkt Happy-Go-Lucky als hätte man die Eintrittskarte mit Prozac bestrichen und Ecstasy ins Getränk gemischt.
Die versammelte Presse war begeistert, die Lacher kommen im Minutentakt und sind doch nie auf Kosten der Figuren. Mike Leigh ist ein wunderbares Stück Kino gelungen, bei dem man nicht ausschließen möchte, dass er nach dem Gewinn von Venedig mit seinem letzten Film “Vera Drake” auch in Berlin mit “Happy-Go-Lucky” einen Preis abholt. Poppy-Darstellerin Sally Hawkins darf sich jetzt schon mal für die Hauptdarsteller-Preisverleihung hübsch machen.

3. Der beste Moment
Die beste Flamenco-Tanzstunde der Filmgeschichte.

4. Diese Menschen mögen diesen Film
Freunde der schönen britischen Eigenheit, im everyday life, mag es auch noch so gewöhnlich sein, Witz und Esprit zu finden.

* Großbritannien
* Regie: Mike Leigh
* imdb

Tropa de Elite

1. Der Film in einem Satz
Die City Of God aus Polizeisicht

2. Darum geht’s
Die Polizei der Polizei in Brasilien, die Tropa de Elite, sucht Nachwuchs. Zwei Freunde, einer mit Herz, der andere mit Hirn, erweisen sich als einige der wenigen nicht korrupten Polizisten Brasiliens und dürfen in das Boot-Camp der Eliteeinheit.
Tropa de Elite zeichnet ein verheerendes Bild der von Gangstern regierten brasilianischen Slums und der Polizei, die Schutzgelder erpresst, wegsieht, wo sie kann, und sich in internen Grabenkämpfen verliert. Nur die armmeähnliche Elitetruppe steht dem als intakte Instanz noch gegenüber. Filmisch wird als Vergleich natürlich immer City Of God herangezogen, doch im Gegensatz zu Fernando Meirelles Gangsterballade, die erzählerisch an die großen Entwürfe des amerikanischen Kinos der 70er (“Der Pate”) angelehnt war und die visuellen Mittel der Videoclipästhetik der 90er verwendete, ist Tropa De Elite einfacher strukturiert und versucht mit verstärktem Handkameraeinsatz den Eindruck eines Kriegsgebiets zu vermitteln, was ihm weitestgehend auch gut gelingt. Lediglich die halbe Stunde im Ausbildungslager überzeugt nicht, weil wir das dank Stanley Kubrick schon mal in seiner endgültigen Fassung besser gesehen haben.

3. Der beste Moment
Der Start, als Tropa De Elite den Zuschauer direkt in die Slumkriege hineinwirft.

4. Diese Menschen mögen diesen Film
Menschen, die lieber realistischere Bilder als Hochglanzfotos von Verbrechen sehen wollen und amerikanischen Gangster nicht mehr so recht beim morden zusehen wollen.

* Brasilien
* Regie: José Padilha
* imdb

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