Jesus Christus Erlöser
1. Der Film in einem Satz
Klaus Kinski gegen Hippie-Hooligans
2. Darum geht’s
Klaus Kinski will mit dem Text „Jesus Christus Erlöser“ auf Vortragstour gehen. Er mietet dazu die Deutschlandhalle in Berlin an.
Tausende kommen, um ihn allein auf einer riesigen dunklen Bühne im Lichtkegel stehen zu sehen, während er seinen Christus-Text vorliest. Doch keine fünf Minuten vergehen bis der erste aus dem Publikum Kinski anpöbelt. Die Anfeindungen werden von Minute zu Minute schlimmer, manche gehen gar auf die Bühne und wollen, dass Kinski erst mal „diskutiert“ bevor er liest. Kinski diskutiert nicht, geht aber drei mal von der Bühne ab und fordert die Zuhörer auf, die Störer rauszuwerfen. Nach einer Stunde gibt er entnervt auf.
Der Auftritt ist beinahe in voller Länge erhalten und erstmals zu sehen. Bisher waren nur kleine Ausschnitte bekannt. Auch Werner Herzogs brillante Kinski Dokumentation „Mein Liebster Feind“ begann mit einem Ausschnitt aus diesem legendären Berlin-Afutritt. Wenn Kinski in den bisher bekannten Filmchen das Publikum als „dumme Sau“ bezeichnet oder einem Störer entgegenschreit, Christus habe nicht die andere Backe hingehalten, sondern die Peitsche genommen und „dir dummen Sau ins Gesicht geschlagen“, wirkt Kinski wie man ihn zu kennen glaubt: der Verrückte, der außer Kontrolle geratene, der Freak.
Sieht man aber zum ersten Mal die Feindseligkeit des Publikums ungefiltert, wie sie sich eben ohne vorherige kinskische Provokation Bahn bricht, dann hat man Verständnis für Kinski, ja bewundert ihn gar für seinen Langmut (und wann hätte man je gedacht, diesen Satz einmal zu schreiben!).
Aus zwei Gründen ist diese Dokumentation ein fantastisches Zeitzeugnis: erstens beweist es schlicht und einfach, dass es bis heute keinen Darsteller mehr gibt, der mit einer derartigen Wucht und Präzision Texte auf einer Bühne vortragen konnte, der keinerlei Unterstützung, Ablenkung oder Mitspieler brauchte, um ein Publikum über zwei Stunden zu fesseln und zweitens, dass Kinski nicht nur der Verrückte war, sondern eben gerade auch wegen der Verhältnisse verrückt war. Die unerträgliche Repressionshaltung der einen Seite und der nicht minder verachtenswerte Hippiehooliganismus, der jeden einfangen wollte, der nicht seinem neuem Modell folgte, bekämpfen Kinski gleichermaßen.
3. Der beste Moment
Als Kinski einem auf die Bühne durchgebrochenen Zuhörer wieder das Mikrofon entreisst und ihn mit einer Schimpfkanonade belegt, wie man sie lange nicht mehr gesehen hat und man Kinski wünscht, er könnte das mit jedem einzelnen der Störer durchexerzieren.
4. Diese Menschen mögen diesen Film
Kinski-Verehrer und Primal Scream Fans, die sich damals auf der XTRMNTR Tour das Shirt „Kill All Hippies“ gekauft hatten.
* Deutschland
* imdb
Patti Smith: Dream Of Life
1. Der Film in einem Satz
Patti Smith, Göttin des Punkrock und des vertonten Gedichtes, lässt sich über Jahre hinweg von der Kamera begleiten.
2. Darum geht’s
Patti Smith.
Patti Smith auf Konzerten, Patti Smith bei den Eltern, Patti Smith zu Hause, Patti Smith am Grab von William Blake, am Grab von Rimbaud, am Grab von Allen Ginsberg… und leider auch Patti Smith auf einer Antikriegsdemo, die viel zu viel Platz einnimmt und mit ihren flachen Plattitüden so gar nicht zu den sonst kunstvoll gedrechselten Smith-Sätzen passen mag.
Spätestens beim dritten in schwarz-weiß fotografierten Grabbesuch wird Seberings Film etwas arg prätentiös und beginnt dann doch den goodwill-Vorschuß zu verbrauchen.
3. Der beste Moment
Patti Smith besucht ihre Eltern. Das Elternhaus hat nicht mal Anzeichen von boheme noch wirkt es so unterdrückend, dass die kleine Patti raus musste, sondern einfach: extrem US-middleclass. Der Vater trägt ein Roskilde-T-Shirt zur grauen Jogginghose, die Mutter sammelt kleine Porzellankuhfiguren, die in geradezu absurder Häufung an jeder freien Stelle des Hauses zu finden sind.
4. Diese Menschen mögen diesen Film
Beaudelaire-Leser, Rockpoeten, Schwarzweißfotofreunde
* USA
* Regie: Steven Sebring
* imdb
Subida Al Cielo
1. Der Film in einem Satz
Little Miss Sunshine von Luis Bunuel, Klassenkampf inklusive.
2. Darum geht’s
Der jüngste von drei Brüdern muss mit einem Reisebus vom Dorf in die Stadt fahren, um den Justitiar aufs Land zu holen, der der Mutter noch rechtzeitig vor ihrem Tod das Testament abnehmen kann, so dass die beiden missgünstigen anderen Brüder nicht das Erbe unter sich aufteilen.
Bunuel schickt so ziemlich das halbe Dorf schickt exemplarisch mit dem jungen Bruder auf die Reise: Politiker, enteignete Großgrundbesitzer, Arbeiter, femme fatales… und doch wird Subida Al Cielo nie zu einem steifen Lehrstück, das eine Message rüberbringen will, sondern bleibt immer ein sehr unterhaltsamer, überaus amüsanter Film, der ganz nebenbei aber immer weiss, auf welcher Seite er steht und dass diese die einzig richtige ist.
Bunuel startete mit surrealistischen Meisterwerken in den 20er und 30er Jahren (Der andalusische Hund, L’Age D’or) des letzten Jahrhunderts und beendete das 20. Jahrhundert mit beißenden Kommentaren gegen die herrschende Klasse. In der Zwischenphase lebte er im Exil in Mexiko und drehte neben neorealistischen Klassikern wie „Los Olvidados“ auch verlorene kleine Komödien wie eben „Subida Al Cielo“, die die Retrospektive der Berlinale angenehmerweise auch nicht vergessen hat.
3. Der beste Moment
Der Bus steckt in einem Flußbett fest. Der Politiker bringt einen am Rand stehende Bus-im-Flußbett-Gewinnler dazu mit seinem Traktors den Bus aus dem Fluß zu ziehen. Bis der Traktor auch fest steckt und ein vorbeikommender Bauer mit Ochsengespann den Traktor aus dem Fluß ziehen muss.
4. Diese Menschen mögen diesen Film
Freunde politischer Filme, die trotzdem lieber lachen als andauernd die Zähne zu fletschen.
* Mexiko
* Regie: Luis Bunuel
* imdb
(alles: Christian Ihle)