vonChristian Ihle 21.02.2009

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Von Wegenvonwegen

1. Der Film in einem Satz

Als die alte Mauer einstürzte spielten die Einstürzenden Neubauten ihr erstes Konzert in Ostberlin – ein Sternmarsch der Subkulturen war die Folge.

2. Darum geht’s

Im Dezember 1989 spielen die Einstürzenden Neubauten ihr erstes Konzert in Pankow, Ostberlin. Uli M. Schüppel begleitete die Band damals auf dem Weg gen Osten, sah Blixa und Co. sich hoffnungslos in Einreiseformalitäten verwickeln und zu guter letzt dann doch noch glücklich ihr Konzert absolvieren.
20 Jahre später trifft sich Schüppel mit DDR-Bürgern, die damals das Konzert besuchten und schreitet den Weg von damaliger Wohnung zu Auftrittsort mit ihnen ab. Schüppel beweist ein gutes Händchen bei der Auswahl seiner Erzähler: vom NVA-Soldaten, der sich heimlich aus der Kaserne absetzte, um die Neubauten sehen zu können, zur ehemaligen Ordnerin bis hin zu der nach Westen geflohenen Ex-DDR-lerin, die der Neubauten wegen wieder nach Osten fuhr.

Schüppel stellt alte Aufnahmen der Band den aktuellen Aufnahmen des damaligen Publikums gegenüber und erreicht so, dass es sich bei „Von Wegen“ mitnichten um einen Neubauten-Film handelt (keine Interviews mit Bandmitgliedern), sondern um eine Bestandsaufnahme, was aus den Hoffnungen, Erwartungen und Befürchtungen 20 Jahre nach der Wende geworden ist. Ein wunderbarer Film ist ihm dabei gelungen.

3. Der beste Moment

Unter anderem eine der schönsten Rückkehr-Szenen findet sich gleich zu Beginn. Ein junger Mann erzählt der Kamera, dass er seit Jahren nicht mehr bei seiner damaligen Wohnung war und dass er damals in einem Häusertrakt für die Arbeiter des Sozialismus wohnte, um dann völlig verblüfft festzustellen, dass der gesamte Häusertrakt verschwunden ist und an seiner Statt nun ein neu errichteter Burger King steht.
Viel schöner kann man den Wandel durch die Wende nicht mehr in ein Bild fassen.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Wer schon immer mal sehen wollte, wie es 1989 zuging als die französische Innenministerin, Heiner Müller und Blixa Bargeld backstage schnackten, sich aber ebenso dafür interessiert, was zwei Jahrzehnte nach dem Jahr Null aus Stadt, Land und Bewohnern gemacht hat.

* Deutschland
* Regie: Uli M. Schüppel
* imdb

The Shock Doctrine

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=aSF0e6oO_tw[/youtube]

1. Der Film in einem Satz

Milton Friedman zerstört die Welt.

2. Darum geht’s

Die Dokumentation des hochgeschätzten Michael Winterbottom („24 Hr Party People“) versucht mittels Archivaufnahmen zu zeigen, wie recht Naomi Klein mit ihrem Buch The Shock Doctrine hat, das eine gewagte Parallele aus Elektroschockexperimenten in der Psychiatrie und den Dogmen Milton Friedmans zu ziehen versucht. Friedman propagierte, dass gewisse Veränderungen hin zu einem freien Markt nur in Momenten einer Schockstarre der Bevölkerung durch externe Ereignisse durchzusetzen sind. Was letztlich natürlich auch nur eine Binsenweisheit ist: natürlich ist die Bereitschaft, die resistance to change aufzugeben größer, wenn ich gezwungen bin, etwas zu ändern, um zu überleben.

In Teilen gelingt Winterbottom das auch ganz vernünftig, wobei insbesondere die frühen Episoden aus Chile überzeugend sind. Spätestens aber in der Reagan-Ära wird die Botschaft von Klein und Winterbottom unklar: welchen Schock instrumentalisiert Reagan denn nun, um die Märkte zu öffnen?
Ärgerlich vereinfachend wird The Shock Doctrine aber vor allem als der Zusammenbruch der Sowjetunion beleuchtet wird. Nur ein Idiot vor dem Herrn würde behaupten, dass der Wandel in eine kapitalistische Gesellschaft in Russland reibungslos funktioniert hat, aber das ganze Elend des Post-Kommunismus auf Milton Friedmans Lehre vom freien Markt zu reduzieren ohne zu fragen, wieviel Erblast die vorangegange Diktatur mit einbrachte ist schon fast unredlich.

3. Diese Menschen mögen diesen Film

Vereinfacher, die Bösewichte brauchen, damit ihr Weltbild intakt bleibt und Naomi-Klein-Groupies.

* Regie: Michael Winterbottom, Mat Whitecross
* imdb

White Lightnin‘

WL

1. Der Film in einem Satz

Psychopath und Mountaindancer Jesco White geht durch die Hölle und entdeckt Drogen, Alkohol, Gewalt und Gott.

2. Darum geht’s

Das durch Schmähungen und Absenz von Geschmack mühsam verdiente Geld steckt das VICEMagazin neuerdings gerne in Filmproduktionen. Im letzten Jahr präsentierte VICE Films „Heavy Metal In Bagdad“, 2009 ist der amerikanische Spielfilm „White Lightnin'“ im Programm der Berlinale.
Während die internationale Filmkritik zwar durchaus lobend auf Regisseur und technische Leistungen einging, aber von Darstellung wie Sujet weitestgehend angewidert war, sind wir vom Popblog natürlich nicht so zart beseitet. Ja, völlig richtig, hier wird gesoffen, gekillt und geschnüffelt, was das Zeug hält bis man sich gegen Ende in wenig subtilen Jesus-Anspielungen gänzlich selbst verstümmelt, aber erstens ist der Soundtrack nichts weniger als fantastisch, in dem vor allem der Nachbarn der Hauptfigur, Psychobilly-Legende Hasil Adkins, eine tragende Rolle spielt, zweitens die Schauspieler gut (Carrie „Prinzessin Leia“ Fisher in einer unglaublichen, nicht wiederzuerkennenden White Trash – Rolle) und drittens die Atmosphäre des ganzen Films in sich schlüssig.
Da mögen wir auch verzeihen, wenn alles grob übertrieben ist und die arme real existierende Sau Jesco White nicht so abgefuckt sein mag, wie „White Lightnin'“ uns glauben lassen will. Zugegeben, „White Lightnin'“ ist eine humorlose, auf 11 gedrehten Trailertrash-Fiktion, die auf dem Fantasy Film Fest ein geeigneteres Biotop als auf der Berlinale finden würde, aber so fucking what – immer noch besser als der ganze öde, bedächtige Mist, den wir im Wettbewerb der Berlinale ertragen mussten.

3. Der beste Moment

Jesco rächt den Tod seines Vaters. Slightly unappetitlich.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

White Trash Verehrer.

* USA
* Regie: Dominic Murphy
* imdb

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