vonChristian Ihle 12.02.2010

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Tuan Yuan (Apart Together)tuanyuan

1. Der Film in einem Satz:

„Doktor Schiwago“ meets „Das große Fressen“.

2. Darum geht‘s:

Familienzusammenführung auf Chinesisch: Das Drama „Tuan Yuan“, Eröffnungsfilm der 60. Berlinale, erzählt die Geschichte der Teilung eines Landes. Mehr als 50 Jahre nach der Errichtung der Volksrepublik China darf Liu Yansheng, Soldat der Volkspartei Kuomintang, erstmals aus Taiwan zurück in seine Heimat Shanghai reisen. Als er seine damals zurückgelassene Geliebte Qiao Yu’e besucht, flammen bei beiden die alten Gefühle wieder auf. Doch Qiao Yu’e hat eine Familie mit Mann und Kindern. Trotz lautem Protest von Seiten ihrer Angehörigen beschließt sie, mit Liu nach Taiwan zu gehen und ihre versäumte Liebe nachzuholen. Doch dann erleidet ihr Noch-Ehemann einen Schlaganfall, und sie bleibt.

Unerfüllte Liebe versus Vernunft und Regierung: Die Story von „Tuan Yuan“ hat großes Kitschpotenzial. Dank kleiner Momente voller Lakonie und Witz hat es Regisseur Wang Quan’an (er gewann 2007 für „Tuyas Hochzeit“ den Goldenen Bären) geschafft, dem Pathos aus dem Weg zu gehen. Zum Beispiel überrascht die Reaktion des Ehemannes: Als er von den Trennungsplänen seiner Frau erfährt, reagiert er fröhlich lachend und mit absurdem Verständnis. Der Film ist in jeder Hinsicht zurückhaltend. Die tiefen Gefühle zwischen den gewaltsam Getrennten lassen sich allenfalls erahnen, und Wang Quan’an lässt an keiner Stelle seiner Geschichte durchblicken, wie er über die politische Vergangenheit seines Landes denkt.
Schlag- und Tobsuchtsanfälle, 50-jährige Trennungen – alles kein Problem, so lange noch genügend Essen auf dem Tisch steht. Diesen Eindruck vermittelt „Tuan Yuan“ jedenfalls. Der gemeine Chinese kann offenbar nur Entscheidungen treffen oder Gespräche führen, wenn er dazu Teigtaschen, frittiertes Gemüse oder Fischbällchen in sich hineinschaufelt. Ethnische Stereotypen von diesem Ausmaß darf wohl wirklich nur ein Landsmann verbreiten. Die oftmals etwas langatmigen Momente der Nahrungsaufnahme werden von den drei Hauptfiguren an anderer Stelle ausgebügelt. Im Moment größter Verzweiflung stehen sie auf, um zu singen, und als sich Soldat Liu Yansheng für immer von seiner Geliebten verabschiedet, gibt er ihr den Rat, stets ordentlich zu essen. Ein Liebesfilm mit Senioren, mehr distanziert als emotional, der nicht einen in Europa bekannten Star vorweisen kann – und trotzdem überraschend anrührend ist.

3. Der beste Moment:

Als Qiao Yu’e und ihr Mann sich scheiden lassen wollen, stellen sie fest, dass sie noch gar nicht ordnungsgemäß verheiratet sind: Ihnen fehlt die Hochzeitsurkunde. Um die zu kriegen, müssen sie noch einmal standesamtlich trauen lassen. Als das Hochzeitsbild gemacht wird, gucken beide belämmert, während der Fotograf verzweifelt versucht, sie „an diesem freudigen Tag“ aufzuheitern.

4. Diese Menschen mögen diesen Film:

Wer gerne isst und anderen gern beim Essen zusieht. Und alle Gegner des Method Acting. (Silvia Weber)

* China
* Regie: Wang Quan´an
* imdb

Eastern Drift

easterndrift

1. Der Film in einem Satz

Von der Unmöglichkeit ’nein‘ zu sagen, ohne sich umzubringen.

2. Darum geht’s

Der gut aussehende Gangster Gena will endlich raus aus dem Business – er lebt zur Hälfte in Litauen und Russland, wenn er sich nicht gerade in Frankreich aufhält. An jedem Ort hat er ganz seemannlike eine Geliebte, obwohl er doch auf den ersten Blick zu keinen Gefühlen fähig scheint. Das mit dem Rauswollen ist natürlich nicht so einfach wie gedacht – und gerade das Rauswollen zwingt ihn, eine strafbare Handlung nach der nächsten zu begehen.

Regisseur, Autor und Hauptdarsteller Sharunas Bartas (wie ein harter, hübscher Daniel Craig) gibt seinen Gena mit einer Bestimmtheit und Präsenz, die erstaunt. Handwerklich sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur befindet sich Bartas auf höchstem Niveau, lediglich das manchmal etwas zu fragmentarische Skript, das auch vor Deus-Ex-Machina-Momenten nicht zurückschreckt, ist nicht ganz auf dem Niveau seiner beiden anderen Professionen. Dafür sind die beiden weiblichen Gespielinnen und Co-Stars mitreissend – beide wollen ebenso raus, die eine aus Litauen, die andere aus ihrem Huren-Beruf. Vor allem Klavdia Korshunova gibt die sich den Umständen ergebende Prostituierte, die immer noch die Hoffnung auf das bessere, andere Leben hat, mit einer Vehemenz, die mitnimmt.

3. Der beste Moment

Als Klavdia Korshunova in ihrer Rolle als Prostituierte kurz die toughe Fassade fallen lässt und ihren Wunsch nach einem Leben an der Seite von Gena Ausdruck gibt. Und weint.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Wer Dramen über Einsamkeit und die Unmöglichkeit, vor sich selbst zu fliehen, schätzt, das ganze aber durchaus gerne im Rahmen knallharten Genre-Umfelds eingebettet sieht. (Christian Ihle)

* Litauen / Frankreich / Russland
* Regie: Sharunas Bartas
* Berlinale Datenblatt

Kanikôsen

kanikosen

1. Der Film in einem Satz

Proletarier aller Länder, vereinigt euch. Auf dem Panzerkreuzer Potemkin.

2. Darum geht’s

Das Königreich Japan ist im Krieg mit dem sozialistische Ideale hegenden Russland. Auf einem Schiff vor den sowjetischen Gewässern zwingt der brutale Vorarbeiter Asakawa seine Arbeiter mit Stockschlägen, ihre Arbeit schneller und effizienter zu verrichten. Die Arbeitsbedingungen sind so brutal, dass gar Selbstmord – weil Aussicht auf einen Neustart im nächsten Leben – verlockend erscheint.

Als zwei Arbeitern die Flucht gelingt, werden sie von einem russischen Schiff aufgenommen und lernen dort die Gleichheit unter Brüdern kennen. Auf ihr japanischen Schiff zurückgekehrt proben sie den Aufstand…

Regisseur Sabu (Ichi, der Killer, aus Takashi Miikes gleichnamigem Klassiker der jüngeren japanischen Kinovergangenheit) scheut sich keine Sekunde in seiner Verfilmung eines 80 Jahre alten Arbeiterliteraturbestsellers die naiv-idealistische Sozialismusbotschaft als modernes Agitpropmärchen zu präsentieren. Traumsequenzen, überstilisierte Kulissen, Tanzeinlagen, karikaturhafte Figuren – subtil ist hier nichts.

3. Der beste Moment

Der zweite Aufstand der Arbeiter, als sie die Gleichheit als Schlüssel zum Sieg entdecken. Pathos galore, aber das ist dann auch nur konsequent.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Marx, Engels, Lenin.

* Japan
* Regie: Sabu
* imdb

(Christian Ihle)

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