Ein deutscher Nazi in China, der Leben rettet, ein deutscher Rummelplatzbesitzer in Peru, der seinen Sohn ins Gefängnis bringt und eine Staatsanwältin, die gegen Bürokratie und serbische Kriegsverbrecher kämpft.
John Rabe
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1. Der Film in einem Satz
Oskar Schindler in China im Pearl Harbour Style.
2. Darum geht’s
Der aufrechte NS-Parteigänger John Rabe ist ein Hamburger Kaufmann, der seit 27 Jahren die Siemens-Niederlassung in einer chinesischen Provinz leitet. Auch wenn er die Chinesen immer noch als etwas begriffsstutzig sieht – manche haben immer noch nicht kapiert, welche Hand man beim Hitlergruß hebt, himmelherrgott! – hat er über die Jahre eine emotionale Bindung zu China und seinen Bewohnern aufgebaut.
Als die Japaner sich im Zuge ihres an Grausamkeiten reichen Krieges entschließen, die Stadt John Rabes zu bombardieren und auszulöschen, wird der Deutsche zum Retter wider Willen. Er verhandelt mit den Japanern, arbeitet mit den ebenfalls in Nanjing wohnhaften Engländern zusammen und errichtet eine „Sicherheitszone“ mitten in der Stadt, in der er 250.000 Chinesen unterbringt und ihnen letztendlich das Leben rettet.
„John Rabe“ kann und will sich mit Hollywoods Kriegsgeschichten messen – im Guten wie im Schlechten. Der Film ist ganz formidabel ausgestattet, die Schauplätze sind beeindruckend gewählt und alles ist auf dem höchsten Stand der Technik. Die Schauspielerriege, allen voran der wie immer großartige Ulrich Tukur in der Titelrolle, Steve Buscemi als britischer Arzt und Jingchu Zhang als junge Chinesin, ist durchweg gut.
Aber wie vergleichbare Hollywood-Filme präferiert „John Rabe“ den dicken Pinselstrich: Klischees werden nicht ausgeklammert, der Pathos – vor allem in der Schlußsequenz – kübelweise über die Story geschüttet und die Figuren kommen oftmals nicht über einen Holzschnitt hinaus. Aber „John Rabe“ ist wohl auch kaum als differenziertes Arthouse-Kino konzipiert und ist dahingehend erfolgreich, kompetentes, überdurchschnittliches Ausstattungskino, Weltkriegsdrama zu präsentieren.
Auf der Habenseite ist dem Film auch zuzurechnen, dass er nie versucht, aus John Rabe einen bekehrten Gutmenschen zu machen. Rabe bleibt ein Nazi, er schreibt Hitler Bittbriefe – aber er entdeckt eben auch seine Menschlichkeit und Fürsorgepflicht für Schwächere.
3. Der beste Moment
Als John Rabe während eines Bombardments japanischer Kampfflieger den Genistreich hat, eine überdimensionierte Hakenkreuzfahne im Fabrikhof auszubreiten, unter der sich seine chinesischen Arbeiter stellen und so den Bombenwurf der mit Deutschland verbündeten Japanern stoppen, ist beeindruckend und zudem auch noch die wahre Geschichte. Ein Symbol, das nur für Hass, Tod und Vernichtung steht, wird zweckentfremdet, um Menschenleben zu retten.
4. Diese Menschen mögen diesen Film
Wem „Schindlers Liste“ zu schwarz/weiß und zu wenig pathetisch war, aber bei „Pearl Harbour“ dafür die ganzen Amerikaner gestört haben.
* Deutschland
* Regie: Florian Gallenberger
* imdb
(Christian Ihle)
Storm
1. Der Film in einem Satz
Die Justiz-Buerokratie im Kampf mit sich selbst und Kriegsverbrechern aus dem ehemaligen Jugoslawien.
2. Darum geht’s
Die Staatsanwältin Hannah Maynard erhält einen Fall übertragen, bei dem sie gegen einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher Klage erheben soll. Alles sieht nach einem Spaziergang aus, die Anklage ist vorbereitet, der Zeuge parat – doch dann stellt sich heraus, dass eben jener Zeuge gelogen hat, um Kriegsverbrecher Duric hinter Gitter zu bekommen. Bevor geklärt werden kann warum, erhängt sich der Zeuge in seinem Hotelzimmer. Die Staatsanwältin ermittelt weiter und stößt auf Erkenntnisse, dass die Schwester des Zeugen zu Kriegszeiten vergewaltigt wurde. Auf der Jagd nach beruflichem Erfolg und Gerechtigkeit überredet sie das widerwillige Vergewaltigungsopfer, das die Vergangenheit hinter sich lassen und vor allem ihre junge Familie nicht in Gefahr bringen will, doch vor Gericht auszusagen, obwohl Drohungen von Misshandlung bis Kindesentführung durch die alte Kriegsverbrechergarde im Raum stehen.
Nachdem Hans-Christian Schmid „Storm“ anfangs eher bedächtig entwickelt und scheinbar keine allzu überzeugende Thrillerhandlung aufzubauen vermag, wird mit fortschreitender Dauer klar, dass es ihm nie darum ging, einen konventionellen „Anwalt kämpft für die Gerechtigkeit“ – Film zu drehen. „Storm“ gewinnt enorm dadurch, dass sein Kampf in den Hinterzimmern der Macht ausgetragen wird, dass politische wie bürokratische Einflüsse wirken dürfen und die verschiendene Figuren für unterschiedliche Positionen zur Frage der Gerechtigkeit an sich stehen. Auch wenn ganz gegen Ende Schmid doch nicht widerstehen kann, dem Zuschauer die Hoffnung auf ein Happy-End mit auf den Weg zu geben, ist gerade die vorangegangene Beleuchtung der unterschiedlichen Positionen – vom jungen Idealisten zum alten Opportunisten, dem aber dennoch der Wille zu Gerechtigkeit nicht abgesprochen werden kann – beeindruckend.
3. Der beste Moment
Die aufsteigende Wut, wenn das Drama beinahe zu einem glücklichen Ende gebracht wurde, aber Bürokratie und Politik einen Kompromiss anstreben wollen (oder müssen).
4. Diese Menschen mögen diesen Film
Wer ein Gerichtsdrama mit recht wenig Pathos sehen will und sich für Fragen Gerechtigkeit versus Zweckmäßigkeit oder Taube auf dem Dach gegen Spatz in der Hand interessiert.
* Deutschland
* Regie: Hans-Christian Schmid
* imdb
(Christian Ihle)
Achterbahn
1. Der Film in einem Satz
Der Rummelplatztycoon Norbert Witte und sein Leben zwischen Erfolg, Desaster, Reichtum und Gefängnis.
2. Darum geht’s
Um Wittes Leben. Und das könnte Geschichten für mehrere Filme erzählen. Als junger Mann kämpft er sich zu einem der führenden Schausteller Deutschlands hoch und geht 1981 das erste Mal bankrott als sechs Menschen bei einem Unglück mit einer seiner Höllenmaschinen sterben. Zehn Jahre lang baut er sein Imperium hartnäckig wieder auf bis er nach der Wende den berühmtesten Rummelplatz der DDR aufkauft. Dort floriert das Geschäft bis – wegen Missmanagement oder mangelnder Unterstützung des Landes Berlin, je nach Sicht der Dinge – die Zuschauer ausbleiben und Witte vor seinem zweiten Bankrott steht.
Doch Witte wäre nicht Witte, käme ihm nicht gleich eine neue rettende Idee: seinen Berliner Rummel nach Peru zu verschiffen und der Karussellkönig von Südamerika zu werden. Gesagt, getan – nur rechnet Witte nicht mit der Korruption in Südamerika, so dass er seine Gerätschaften nicht aus dem Zoll bekommt. Zumindest nicht ohne Geld; von dem er aber nach seinen zwei Pleiten in Deutschland keines mehr hat. Als letzte Rettung einigt er sich mit der peruanischen Unterwelt 181 Kilogramm Rauschgift in einem seiner Karusselle nach Deutschland zu schmuggeln; weil er aber einen Herzinfarkt bekommt, unterschreibt sein 20jähriger Sohn – vom Rauschgiftdeal nichts wissend – die Fahrtpapiere und endet dafür 20 Jahre in einem peruanischen Gefängnis.
Die Geschichte von Norbert Witte ist unglaublich, in Teilen sehr amüsant und gegen Ende überaus tragisch. Die Dokumentation von Peter Dörfler hat eine wirklich große Geschichte zu erzählen und macht das auch kompetent, ohne Witte der Lächerlichkeit preis zu geben.
3. Der beste Moment
Als Deutschlands Playboy Nummer 1 Rolf Eden erzählt, wie er einst auf einer Promoveranstaltung für „Dauerduschen.de“ den Witt’schen Rummel im Spreepark rockte.
4. Diese Menschen mögen diesen Film
Wer gleichermaßen Tragik und Komik in Dokumentationen schätzt und der Hybris wie dem Überlebenswillen Wittes etwas abgewinnen kann.
* Deutschland
* Regie: Peter Dörfler
* imdb
(Christian Ihle)