Rage
1. Der Film in einem Satz
Die Modeindustrie ist selbstverliebt und ein Haifischbecken, ja schau einer an, ja wer hätt’s gedacht!
2. Darum geht’s
Ein Schüler begleitet eine Woche lang eine Fashionshow in New York und nimmt dabei Videos mit Beteiligten jeder Couleur auf: vom Pizzaboy zum Financier, vom Supermodel zur Chefkritikerin, vom Modeschöpfer zum Marketingboss. Im Laufe dieser Woche kommen drei Models zu Tode und eine kleine Revolte bricht aus.
Da „Rage“ aber von Sally Potter gedreht wurde, die schon immer einen Hang zum Avantgardistischen hatte (siehe „Orlando“ oder auch „Yes“, in dem ausschließlich in jambischen Pentametern gesprochen wurde), ist natürlich auch „Rage“ keine leichtverträgliche „Der Teufel trägt Prada“ – Variante. Im Gegenteil: weder von Fashion noch von New York sieht man in diesem Film auch nur irgendetwas. Ebenfalls nicht vom Schüler, der alle Interviews führt oder überhaupt einem Requisit: der Film besteht ausschließlich aus Interviews, die allesamt direkt in die Kamera gesprochen und vor einem (je nach Person in verschiedene Farben getauchten) Bluescreen aufgenommen wurden:
Jude Law als weibliches Supermodel
Leider sind weder die Monologe spritzig genug noch hält Sally Potter manchen Darsteller ausreichend die Zügel, so dass ein Hang zum overacting bei mehreren Protagonisten nicht zu übersehen ist.
Gut aus der Affäre ziehen sich gerade noch Steve Buscemi und vor allem Judi Dench. Die große Überraschung ist allerdings das Jungmodel Lily Cole, die zwar zugegebenermaßen nur ein Jungmodel spielt, das aber mit mehr Bravour als viele ihrer hochgelobten professionellen Schauspiel-Kollegen. Zumindest ist sie die einzige, die wenigstens für Sekunden eine Ahnung echter Emotionen in diese kühle, missglückte Satire einbringt.
Warum ein Film wie „Rage“ im Wettbewerb läuft, ist rätselhaft – und wohl auch kein dankbares Los, wie die Massen-Walk-Outs bei der Premiere zeigten. Im Forum, der Plattform für avantgardistische Filme hätte „Rage“ wohl ein offeneres Publikum gefunden. Mit Sicherheit wäre aber dieser Spielfilm, der mit bestechenden Farbkompositionen und einer brillanten HD-Digital-Kamera beeindruckt, als Kurzfilm eine aufregende Erfahrung gewesen. So fehlt dem Drehbuch Witz, Esprit und Schärfe, um das eigentlich interessante Konzept von „Rage“ über fast 100 Minuten Spielzeit zu tragen.
3. Der beste Moment
Generell die ersten Minuten, wenn der Zuschauer noch überwältigt ist von diesen Zelluloid gewordenen Andy-Warhol-Bildern, diesen Farbkompositionen, diesem Schrei nach Pop.
4. Diese Menschen mögen diesen Film
Wem schöne, einfache Bilder und Farbkompositionen genügen und wer Geschichten und Storys überflüssig findet.
* UK
* Regie: Sally Potter
* imdb
(Christian Ihle)
In The Electric Mist
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=oDyVn7RT-yA[/youtube]
1. Der Film in einem Satz
Tommy Lee Jones in einer Film-Noir-Version ohne Femme Fatale, Sinn und Verstand in den Sümpfen von New Orleans.
2. Darum geht’s
Tommy Lee Jones spielt einen Polizisten, der eine übel zugerichtete Frauenleiche entdeckt. Die Kleinstadt in der Nähe eines Post-Katrina-New-Orleans wird von allerhand zwielichtigen Gestalten bevölkert: einem Mafia-Papst turned „Entertainment-Mogul“ (John Goodman, wenigstens einer, der in diesem Film Spaß hat!), ein rassistischer Zuckerfabrikant, Hollywood-Schauspieler, die gerade einen Film in dem Ort drehen, alte Blues-Sänger, die orakelgleich die Wahrheit verkünden und die obligatorischen Handlanger und Schläger der Bösen im Hintergrund.
Der französische Regisseur Bertrand Tavernier wirft in seinem ersten englischsprachigen Film so ziemlich alles in einen Topf, was gerade zur Hand war und fabriziert die verwirrendste Story seit „Chinatown“ mit unnötigen Subplots so weit das Auge reicht – nur um dann die Auflösung der Mordgeschichte derart Deus Ex Machina gleich zu präsentieren, dass man die Leinwand aus Frust zerschneiden möchte. Warum werden wir Zuschauer eigentlich immer für kreuzblöde gehalten?
3. Der beste Moment
Die Szenen mit John Goodman, der zumeist mit nacktem Oberkörper durch den Film wankt.
4. Diese Menschen mögen diesen Film
Wer whodunnit-Rätselspiele mag, bei denen er nur an der Nase herumgeführt wird.
…und offensichtlich auch die Berlinale-Direktion, denn irgendwer muss diesen in vielerlei Hinsicht unterdurchschnittlichen Serienkillerthriller ja vorab gesehen und ihn für gut genug befunden haben, nicht nur auf der Berlinale selbst zu zeigen, sondern ihn auch noch als einen der wenigen Filme in die Hauptreihe „Wettbewerb“ zu berufen.
* Frankreich/USA
* Regie: Bertrand Tavernier
* imdb
Anm.: Levon Helm (The Band) und Buddy Guy spielen kleine Rollen in Electric Mist.
Anm.2: auf der Berlinale und in Europa läuft der zweistündige Directors Cut, im März kommt in den USA aber eine um zehn Minuten gekürzte Version in die Videoregale.
The Beast Stalker
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=klzGZY2X5_s[/youtube]
1. Der Film in einem Satz
Ein von Schuldgefühlen geplagter Cop will einer Mutter helfen, deren Tochter entführt wurde.
2. Darum geht’s
Ein schrecklicher Autounfall während einer Verfolgungsjagd zwischen Gangster und Polizisten soll für alle Beteiligten schlimme Folgen haben. Kinder Unbeteiligter sterben, Dritte werden schrecklich entstellt und die Polizisten von Schuldgefühlen gepeinigt.
Wenige Monate später wird die Tochter einer Staatsanwältin entführt und ein Cop, der bereits dafür verantwortlich war, dass die ältere Schwester der Entführten bei einem Unfall ums Leben kam, setzt alles daran, wenigstens diese Tochter retten zu können. Sein Gegenspieler ist halbblind, entstellt und aus Geldgründen genötigt, das Drecksgeschäft für seine Auftraggeber zu erledigen.
Bis zum überlangen und – leider auch – sehr pathetisch geratenen Ende überzeugt Dante Lams „Beast Stalker“ vor allem weil er neben rasanten Actionszenen wie der formidablen Autoverfolgungsjagd zu Beginn sich Zeit und Ruhe nimmt, die einzelnen Figuren zu entwickeln. Ein jeder hat sein Säckchen Schuld zu tragen und trifft deshalb Entscheidungen, die die Lage anderer und machmal auch die eigene immer weiter verschlimmern. So gelingt Lam die Balance aus Actionthriller und drückendem Drama um Vergebung und Erlösung überdurchschnittlich gut, wenn auch die Spannung etwas zu wünschen übrig lässt und „Beast Stalker“ zwar einen cleveren, aber doch von weitem absehbaren „Plottwist“ als Ende auffährt.
3. Der beste Moment
Die Verfolgungsszene, die letztenendes eben nicht nur kinematographisch brillant gelöst ist, sondern auch zwei Funktionen erfüllt: einmal die These, dass jede Aktion immer andere betrifft und jede Entscheidung Auswirkungen auf das Leben anderer hat und zweitens jene erdrückende Schuld auf jede der Hauptpersonen legt, die den Film im weiteren sowohl antreibt als auch seine bedrückende Grundstimmung verleiht.
4. Diese Menschen mögen diesen Film
Die mit dem pathetischen Hongkongkino der End-80er, Früh-90er kein Problem haben und in ihre Actionthriller gerne auch eine Portion Drama gepackt sehen.
* Hongkong
* Regie: Dante Lam
* imdb
(Christian Ihle)