vonChristian Ihle 17.02.2010

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Blank City

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=qjzRPRBQngo[/youtube]

1. Der Film in einem Satz:

No Wave in No York!

2. Darum geht‘s:

„If you were prepared to live somewhere that looked like Beirut, and where heroin was easier to buy than groceries, Lower East Side was paradise“ schreibt Simon Reynolds in seinem Post-Punk-Buch „Rip It Up“ über New York. Genau dieses Zeitfenster fängt „Blank City“ ein und zeigt wie eng Kunst, Musik und Film in diesen Jahren verwoben waren. Gerne spricht man ja als Punkhistoriker vom Year Zero durch die Sex Pistols, aber in „Blank City“ wird deutlich, dass jenes Jahr Null, jener komplette Neustart nirgendwo notwendiger, logischer und deutlicher war als im New York der ausgehenden 70er, beginnenden 80er.

Regisseurin Celine Danhier hat in einer Fleißarbeit die besten Bilder dazu gefunden: alte Aufnahmen von einem zerfallenden New York, die Reynolds oben zitierte Aussage tatsächlich bestätigen und einem heute unwirklich, unglaublich vorkommen. Wie mitten in Manhattan Stadtteile so völlig dem Verfall Preis gegeben wurden, wieviele Freiräume dadurch für Künstler entstanden sind und mit welcher Radikalität diese Räume besetzt wurden! „Blank City“ ist zwar untrennbar mit der Punk- und No Wave – Explosion New Yorks verbunden und zeigt alte Aufnahmen der Ramones, Television, Richard Hells und Talking Heads ebenso wie Interviews mit Thurston Moore (Sonic Youth), James Chance (The Contortions) und Debbie Harry (Blondie), doch liegt der Fokus auf der unbeachteteren Seite der Do It Yourself – Zeitwende: dem Filmemachen. Amos Poe sorgte mit seinem sechzigminütigen „Blank Generation“ (für das er Konzerte im CBGB filmte) für den ersten Anstoß. Im Folgenden sollten sich Jon Lurie und Jim Jarmusch, Michael Oblowitz oder James Nares einen ersten Namen im Indie-Film-Bereich machen bis der Übergang zum Cinema Of Transgression vor allem dank Nick Zedd und Richard Kern für Furore sorgte: „We propose that all film schools be blown up and all boring films never be made again.“. Das Cinema Of Transgression war weiterhin dem DIY-Gedanken verpflichtet, bewegte sich aber in seinen Ausdrucksformen von einem kontemplativen Kunstkino eines Jim Jarmusch weg zu wilden, sich der bewussten Grenzüberschreitung widmenden Streifen.

Celine Danhier hat neben den Archivaufnahmen New Yorks der End-70er mehr oder minder alle wichtigen Player der damaligen Bewegung zu Interviews versammeln können und – noch schöner – zeigt enorm viele Ausschnitte aus den zumindest hierzulande praktisch nie aufgeführten Filmen, in denen die jungen Steve Buscemi und Vincent Gallo mitspielten, Lydia Lunch das It-Girl der Szene war und Regisseure den Punk-Ethos – das Nichtkönnen, aber gerade deshalb trotzdem machen – auf die Filmszene übertrugen und den Independent-Film auf immer veränderten.

„Blank City“ ist eine wunderbare Reise in diese Zeit, eine mitreissende Dokumentation mit großartigen Bildern, brillantem Soundtrack und erstaunlich gut gealterten Protagonisten.

3. Der beste Moment:

Neben den vielen alten Filmausschnitten sind es wohl die erstaunlich häufigen Verbindungen zu Deutschland, die immer wieder auftauchen. Ob Jim Jarmusch als erster aus dieser Szene ausgerechnet auf der Berlinale damals seinen ersten Preis gewann und damit Anerkennung und Aufmerksamkeit der Szene zuführte, ob Rainer Werner Fassbinder als Gelegenheitsdrogenbuddy das eine oder andere Mal erwähnt wird oder auch das Cinema Of Transgression dank eines Abbruch einer Berlinale-Aufführung von „Fingered“ Mitte der 80er auf der Titelseite von Variety wieder fand… So erweist sich die Berlinale als idealer Ort für die Welturaufführung von „Blank City“ – wenn schon die Programmdirektion in ihrer Retrospektive zum 60. Geburtstag des Berliner Filmfestivals die New Yorker Bewegung gänzlich ignorierte.

4. Diese Menschen mögen diesen Film:

Punkhistoriker und DIY-Fetischisten. (Christian Ihle)

* Regie: Celine Danhier
* imdb

Welcome To The Rileys

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=RvUTUFMOxQQ[/youtube]
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1. Der Film in einem Satz:

„Twilight“-Star Kristen Stewart lässt in Indie-Drama die Hüllen fallen!

2. Darum geht‘s:

Seit dem Unfalltod ihrer Tochter driften Doug und Lois immer weiter auseinander. Während Mutter Lois vor Schuldgefühlen das Haus nicht mehr verlässt und sich mit Tabletten ruhig stellt, sucht Doug Zuflucht bei anderen Frauen. Doch als Doug eines Tages entdeckt, dass seine Frau vorsichtshalber bereits einen Grabstein mit ihrer beider Namen aufstellen hat lassen, hat er genug. Er flieht nach New Orleans, wo er sich mit einer 16-jährigen Prostituierten namens Alice anfreundet. Alice erweckt seine Vatergefühle zu neuem Leben, und er zieht in ihrer Bruchbude ein, um sie aufzupäppeln. Da erwacht auch Lois aus ihrer Erstarrung und folgt Doug nach Jahren der Isolation nach New Orleans. Auch sie findet in Alice ihre schmerzlich vermisste Tochter wieder, und so führen die drei mehrere Tage lang eine Art Familienleben, welches allen dreien wieder neue Lebenskraft gibt.

„Welcome to The Rileys“ ist ein Film über Väter, wie Regisseur Jake Scott (Sohn von Ridley Scott) erklärt. Es ist aber auch die Geschichte einer großartigen Zusammenarbeit von „Sopranos“-Star James Gandolfini und „Twilight“-Sternchen Kristen Stewart. Dass die Filmhandlung nicht gerade die innovativste ist, lassen wir an dieser Stelle beiseite. Sein schalkhaftes Lächeln und ihre trotzige Teenieschnute harmonieren auf eine ganz wunderbare Weise, und Miss Stewart steht ihrem älteren Kollegen an Ausstrahlung und Charakterstärke in nichts nach. Allerdings: Die nächtliche Kitsch-Szene, in der Lois barfuß durchs Gras läuft und endlich wieder die Sterne sehen kann, die hätte es wirklich nicht zum Verständnis des Films gebraucht.

3. Der beste Moment:

Frauengetuschel in der Umkleidekabine, als Lois mit Alice Unterwäsche kauft und die beiden sich eingestehen müssen, dass sie ihre Oberweite von väterlicher Seite geerbt haben.

4. Diese Menschen mögen diesen Film:

Alle Kristen-Stewart-Fans, denen „Twilight“ dann doch langsam zu blöd wird. (Silvia Weber)

* Regie: Jake Scott
* imdb

Fin (End)

1. Der Film in einem Satz:

Eine Meditation über die Kommunikationsunfähigkeit der heutigen Jugend mit dem Fallbeispiel „Suizid im Internet“.

2. Darum geht‘s:

Die drei Jugendlichen Iker, Ana und Ramia haben sich im Chatroom zu einem Treffen verabredet. Dass der Grund ihrer Zusammenkunft nicht gegenseitige Sympathie sein kann, wird bereits in den ersten fünf Minuten des spanischen Dramas deutlich. Nein, der Junge und die beiden Mädchen haben sich zu einem Ausflug ins Grüne getroffen, an dessen Ende der gemeinsame Selbstmord in Ikers Auto stehen soll. Der 18-Jährige Student ist der Organisator des Suizid-Events: Er kassiert die Mobiltelefone seiner beiden Komplizinnen ein und serviert ihnen belegte Stullen. Die sie auch brauchen. Denn wenn dieser Selbstmord eines nicht ist, dann eine Kurzschlusshandlung. Rund 80 Minuten lang liegen, sitzen und stehen die drei im Wald herum und schweben mit glasigen Augen in anderen Sphären, irgendwo zwischen Leben und Tod. Bis zum Ende ist nicht klar, ob wirklich alle drei die Sache durchziehen.

Die Jugend von heute kann sich einfach nicht entscheiden – und die zwölf Stunden bis zur endgültigen Durchführung des Selbstmords ziehen sich wie Kaugummi. Kein Wunder, denn diese Jugend gehört einer Generation an, die von all den Möglichkeiten und Chancen beinahe erdrückt wird. Das will uns der Argentiner Luis Sampieri mit seinem Film sagen. Aber auch, dass die Heranwachsenden von heute nicht mehr fähig sind, jenseits des Internets zu kommunizieren. Dass ihr Leben von einer Leere und Langeweile bestimmt wird, die sie sogar gleichgültig in den Tod gehen lässt. Mit all dem hat Luis Sampieri natürlich Recht. Trotzdem ist sein Film nur schwer zu ertragen. Die Kamera wackelt ebenso orientierungslos umher wie ihre lebensmüden Objekte. Gesprochen wird selten, und wenn überhaupt, dann sind es nur Unfreundlichkeiten. Und dass Gefühle wie Empathie oder Traurigkeit aufgrund der distanzierten Darstellung gar nicht erst aufkommen, ist natürlich… beabsichtigt.

3. Der beste Moment:

Wenige Stunden vor seinem Freitod wäscht Iker pflichtbewusst sein Auto – womit Luis Sampieri erfolgreich ein deutsches Klischee auf die Spanier übertragen hat.

4. Diese Menschen mögen diesen Film:

Fans von Wim Wenders‘ „Im Lauf der Zeit“ und weiteren Filmen ohne Dialoge und Handlung. (Silvia Weber)

* Regie: Luis Sampieri
* Spanien

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