vonChristian Ihle 15.02.2009

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The Exploding Girlexplodinggirl

1. Der Film in einem Satz

It’s life, and life only.

2. Darum geht’s

Al und Ivy sind schon seit frühen Schultagen miteinander befreundet und verbringen die Sommerferien miteinander. Nach und nach wird deutlich, dass Al mehr als freundschaftliche Gefühle für Ivy entwickelt. Ivy ist aber noch mit Greg zusammen, zumindest glaubt sie das.
Als Greg per Telefon Schluß macht, versucht Al zaghafte, etwas linkische Annäherungsversuche, die Ivy zunächst blockt.

Eine der schönsten Genrewortneuschöpfungen, die uns der Filmjournalismus in den letzten Jahren bescherte, ist „Mumblecore„. Mumblecore zeichnet sich durch die Absenz jeglicher plottreibender Einflüße aus, arbeitet kaum mit Kamerabewegungen, Close-Ups oder gar Montage, bevorzugt die Improvisation und zeichnet so ein direktes, „unverfälschtes“ Bild vom „Leben“. Mumblecore ist vielleicht die filmische Entsprechung von im eigenen Schlafzimmer auf 4-Track-Geräten aufgenommenem Ultra-LoFi-Singer/Songwriter-Twee-Pop, bei der man um alles in der Welt nicht verstehen kann, was der Typ da eigentlich gerade singt.

So sind Filme wie „Exploding Girl“ natürlich ein Gegenentwurf zum schnellen Schnitt, den die MTV-Generation mit der Muttermilch aufgesogen hat und mögen die Geduld des einen oder anderen zu sehr auf die Probe stellen. Kann man sich aber auf „Exploding Girl“ einlassen, belohnt Bradley Rust Grays Film mit einer lebensnahen, zarten Geschichte um das Suchen und Finden in der späten Adoleszenz und zwei wirklich fantastischen Darstellern in Person von Mark Rendall und Zoe Kazan (der Enkelin von Elia Kazan, „Faust im Nacken“), die in Zukunft sicher noch für Aufsehen sorgen werden. Einer der schönsten Filme dieser Berlinale.

3. Der beste Moment

Bezeichnend, dass der lustigste Moment des Films aus einer improvisierten Szene heraus entstand, wie der Regisseur erklärte: Ivy zieht Al damit auf, dass er immer das gleiche T-Shirt trägt. Dabei handelt es sich aber eigentlich um eine Konversation der beiden Schauspieler, die auf dem Weg zum nächsten Drehort waren während die Kamera nur noch ungezielt mitlief.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Wem Pavements Musik immer schon zu strukturiert und zu kommerziell war.

* USA
* Regie: Bradley Rust Gray
* imdb

My Suicide

SCTH

1. Der Film in einem Satz

Suicide Isn’t Painless / It Hurts Like Hell

2. Darum geht’s

Als Gabriel Sunday in seiner Videofilmklasse gefragt wird, was er als nächstes Projekt in Angriff nimmt, wenn die Aufgabe einen persönlicher Blick auf sein Leben einfordert, antwortet er, dass er seinen eigenen Selbstmord verfilmen wird. Anfangs nimmt ihn keiner ernst, aber sein Leben kommt dem schüchternen Nerd wie ein schlechter Film vor, warum sollte er also nicht auch seinen Selbstmord drehen?
Seine heimliche Liebe, das all-american-girl Sierra (Brooke Nevin mit der besten Rolle des Films) wird dadurch erstmals auf ihn aufmerksam. Allerdings nicht, wie man anfangs denkt allein des Trubels wegen (wie Verhaftung vom Schulgelände weg), der um Gabriel gemacht wird, sondern weil sie selbst nicht weniger depressiv ist und ihre inneren Schmerzen durch Rasiermesser lindern versucht. Die beiden schließen einen Selbstmord-Pakt…

„My Suicide“ ist in so ziemlich allem der Gegenentwurf zu obigem „The Exploding Girl“. David Lee Millers Film ist ein Angriff auf alle Sinne, kurze Szenen, viele Schnitte, tausend verschiedene Einflüsse und hunderte Referenzen von Matrix zu Donnie Darko machen My Suicide manchmal beinahe schwer zu ertragen. Gleichzeitig wird die extreme Bricolage aber auch nicht nur um ihrer selbst verwendet, sondern versucht die Unordnung in Gabriels Kopf zu spiegeln.

SPOILER
So angenehm es ist, dass „My Suicide“ darauf verzichtet, mit erhobenem Zeigefinger abzuurteilen oder gar Gabriel und Sierra, die beide im Überfluß leben, abzusprechen, dass sie den Wunsch nach Freitod haben könnten, so sehr stört es auch, dass beiden der letzte Schritt erspart bleibt und stattdessen ein Dritter, der erst kurz zuvor als Figur wirklich in den Film eingeführt wurde, Selbstmord begeht und so der Zuschauer den Tod einer Figur, für die er noch gar keine Empathie entwickelt haben kann, als „Ersatz“ für die beiden Hauptfiguren präsentiert bekommt. Dieser Trick in der Erzählung wirkt wie ein billiger Ausweg, um zu einem konventionellen Ende zu gelangen, ohne das eigentliche Anliegen ganz auf der Strecke zu lassen.

3. Der beste Moment

Als Gabriel erstmals entdeckt, dass Sierra sich selbst Schmerzen zufügt und er – genau wie alle bei ihm nach seiner Selbstmordankündigung – nicht mit Verständnis reagiert, sondern ihr die Rasiermesser wegnehmen will.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Offensichtlich die tatsächliche Zielgruppe Jugendlicher, da My Suicide von der (selbst jungen) 14plus Jury der Berlinale mit dem „Gläsernen Bären“ als bester Film der Jugendfilmreihe ausgezeichnet wurde

* USA
* Regie: David Lee Miller
* imdb

An Education

dorfpunks

1. Der Film in einem Satz

Oxford oder Paris, das ist hier die Frage.

2. Darum geht’s

Die 16jährige Jenny (Carey Mulligan, toll!) ist eine hervorragende Schülerin, von der ihre Eltern hoffen, dass sie den Sprung nach Oxford schafft oder als Ersatzlösung wenigstens einen reichen Mann heiratet.
Als das biedere Mauerblümchen, das von Camus und französischen Chansons träumt, den rebellischen Endzwanziger David kennenlernt, ist es um sie geschehen. Der Filou führt sie auf Konzerte, Kunstausstellungen und letzten Endes sogar nach Paris aus.

Erst später merkt Jenny, dass David seinen Lebensstil mit Diebstählen bezahlt. Was sie nach anfänglichem Schock sogar noch akzeptiert – bis sie nach ihrer Verlobung Davids anderes Geheimnis entdeckt…

Das Drehbuch des Audience-Award-Gewinners des Sundance Festivals von Nick Hornby hat vor allem in der ersten Hälfte einige schöne Szenen und Dialoge zu bieten, in denen insbesondere Vater Alfred Molina glänzen kann. Die ernüchternde zweite Hälfte ist dagegen weniger überzeugend und Jennys Rückkehr zum einfachen Leben, zum Streben nach Erfolg durch Arbeit vorhersehbar.

3. Der beste Moment

Der wunderbare Vorspann.

4. Diese Menschen mögen diesen Film

Wer sich gerne etwas amüsiert und den Rebellen in sich spürt, aber dann doch lieber rechtzeitig ins Bett geht.

* Regie: Lone Scherfig
* imdb

(Christian Ihle)

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