vonSchröder & Kalender 12.01.2011

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.
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Wie gemeldet, wurde der Film ›Wer, wenn nicht wir‹ von Andres Veiel für den Wettbewerb der diesjährigen Berlinale nominiert. Angeblich erzählt der Film die wahre Liebesgeschichte von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper, die angeblich an Gudrun Ensslins politischer Radikalisierung scheiterte, so propagiert die Produktion Zero One den Film.

Bekanntlich scheiterte die Beziehung Ensslin-Vesper jedoch daran, dass Gudrun Ensslin sich in Andreas Baader verliebte und Vesper verließ. Der Regisseur Veiel will aber dem Publikum die Urszenen der RAF als ›Tristan und Isolde‹-Seifenoper andrehen. Das ist sein gutes Recht als Regisseur, jeder so gut er kann. Fest steht, dass sich Gudrun Ensslin und Bernward Vesper im Grabe herumdrehen würden, wenn sie erführen, wie hier mit ihren Biographien umgesprungen wird.

Hinzu kommt, dass Veiel nach eigener Aussage den Autor Vesper so darstellt: »Bernward Vesper rebellierte gegen den Nazivater und blieb dessen Gedankenwelt doch immer verbunden … Diese Schizophrenie pflanzt sich in der Geschichte des Protests und der RAF fort: in einer Kontinuität des soldatischen oder auch des Antisemitismus und Antizionismus der Linken.« (Der Spiegel vom 09.08.2004)
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Bernward Vesper 1971 im Büro des März- Verlags kurz vor seinem Freitod
Foto: Jörg Schröder

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Als März-Verleger und Herausgeber der ›Reise‹ finde ich es empörend, dass solchen Klitterungen nun auch noch ein silberner Bär winkt. Denn kein Leser der ›Reise‹ würde Bernward Vesper je vorwerfen, er habe etwas verschweigen wollen. Das Gegenteil ist der Fall. In seinen nachgelassenen Schriften im Anhang zu der ›Reise‹ notierte Vesper: »Die Schonung, die man sich gewährt, gewährt man in Wahrheit den gesellschaftlichen Verhältnissen.« Dieser schonungslosen Unbedingtheit fiel der Autor schließlich selbst zum Opfer, er schied 1971 freiwillig aus dem Leben.

Um Missverständnissen vorzubeugen und als Antwort auf zahlreiche Fragen: Die Zero One Filmproduktion und Andres Veiel haben die Verfilmungsrechte an Gerd Koenens Buch ›Vesper, Ensslin, Baader‹ vom Verlag Kiepenheuer & Witsch erworben, einem Unternehmen des Holtzbrinck Konzerns. Für ›Die Reise‹, die im März Verlag erschien, wurden keine Rechte angefragt. Bei Veiels Film handelt es sich demgemäß um eine Adaption tendenziöser Sekundärliteratur und nicht um die Verfilmung des Lebensbildes von Bernward Vesper, wie er es im Primärtext der ›Reise‹ selbst beschrieben hat.

(JS)

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