vonWolfgang Koch 31.05.2007

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Die Eröffnung des Hermann Nitsch Museums in Mistelbach war ein historischer Tag für die Regionalgeschichte. Landeshauptmann Erwin PRÖLL (ÖVP) bekundete in seiner Festrede am 24. Mai – in auffälliger Abwesenheit sozialdemokratischer Politiker – die feste Absicht, Niederösterreich zu einem »Kulturland« zu machen. Und er tat das mit soviel Pathos, dass man dachte, die Erde in diesem Winkel Östereichs sei mit finsteren Wäldern überzogen, und darin noch immer das einsame Kind.

Kulturland heisst ja zuerst einmal Agrarland, das brandgerodet und von pflügenden Bauern urbar gemacht werden muss, Kulturland heisst Blut, Schweiss und Tränen – nicht Freizeitspektakel, Kunstgenusszone, Erbauung an Höherem.

Aber das Bauernmühsal hat Pröll mit dem Satz »Wir schaffen aus Niederösterreich ein Kulturland« nicht gemeint, sondern, dass Landwirtschaft und Industrie in dieser Ecke Österreichs einem bedenklichen Niedergang erleben, wollte er sagen, und darum zwischen den sanften Hügeln des Weinviertels endlich die Dienstleistungsgesellschaft und der Massentourismus Einzug halten sollen. Im Übrigen, so Pröll in Richtung der stocksauren FPÖ, sei Kunst keine Frage des Gefallens, sondern des Gestattens.

Der Künstler Hermann NITSCH schenkte vor den 2.000 versammelten Gästen der Stadtgemeinde Mistelbach ein grossformatiges Schüttbild, und er war von seinen eigenen Dankesworten für das Museum derart gerührt, dass seine Stimme gleich dreimal in Tränen erstickte. Das seinerseits über soviel offenbar gewordenes Gefühl gerührte Publikum verschaffte dem Redner jedesmal durch langanhaltenden Applaus eine Atempause, damit er weiter sprechen konnte.

Am Ende des Festaktes und der Einsegnung der grauen Gebäude sang die Menge gemeinsam die Niederösterreichische Landeshymne, wobei ein Gutteil der Festgäste – nämlich der schicke Teil der Kunstbegeisterten, Sammler und Adabeis – allerdings wie angeklebt auf dem Hintern sitzen blieb. Patriotismus, fremder zumal, war schliesslich noch ein Anliegen beim Busserl-Treffen.

O Heimat, dich zu lieben, getreu in Glück und Not.
Im Herzen steht’s geschrieben als innerstes Gebot.
Wir singen deine Weisen, die dir an Schönheit gleich,
und wollen hoch dich preisen, mein Niederösterreich.

Die Architektur des gepriesenen Museumszentrums Mistelbach (MZM) erinnert auf den ersten Blick an einen Baumarkt, nur dass es dramatisch an Parkplätzen und Einkaufswägelchen vor dem Eingang fehlt. Man vermag den Museumskomplex der Architekten Johannes KRAUS und Michael LAWUGGER erst zu schätzen, wenn man erfährt, dass es sich hier um dem Umbau einer vorgegebenen Bausubstanz handelt. Die beiden transformierten das ehemalige Heger-Fabriksensemble zu einer Anlage mit sanften Anleihen bei der Klosterarchitektur (Langhalle mit Seitenschiff, Claustrum, Krypta und zentrale Piazza).

Am gelungensten ist mit Sicherheit das Forum unter freiem Himmel: im Westen steil ansteigende Sitzbänke vor einem Freiraum und einer quadratischen Betonwand mit eingegossenen Holzbalken. Von den oberen Rängen aus hat man zusätzlich einen Blick auf eine glasbegrenzte Terassenebene. Unten, in der Mitte der Freifläche, ein flaches Wasserbecken, das in derselben Dimension wie besagte Betonwand aus dem Boden geschnitten ist. Das kühle Element Wasser wurde mit groben Kieselsteinen unterlegt und bildet so einen natürlichen Magneten für Kinderplantschen oder ausgelassene Partygäste, die ihr Tanzbein abkühlen möchten.

Mit dem Austellungsangebot darf man durchaus zufrieden sein. Noch nie wurde die Aktionen und Relikte des Orgien Mysterien Theaters in einer permanenten Schau so ausführlich vorgeführt. Dasselbe gilt für die Aktionsmalerei.

Erschöpfend ist die Darstellung des Gesamtlebenswerks durch Bilder, Videos und Installationen allerdings nicht! Es fehlen wichtige Aspekte von Nitschs Aktivitäten: sein stark umfehdetes literarisches Schaffen z.B., die Wortdichtung, wird vollkommen ausgeblendet; detto sein seinsphilosophischer Anspruch, auf tausenden Druckseiten dargelegt (hier hätte eine Vitrine mit Buchausgaben und Orginalmanuskripten nicht fehlen dürfen).

Das Nitsch Museum im MZM verschweigt auch die kosmologische Dimension des O.M. Theaters, also das, was Arthur SCHNITZLER die »Überheblichkeit gegenüber dem Raum« genannt hätte. Nitschs Wunsch, die Unendlichkeit zu erobern spiegelt sich ja am stärksten in seiner Sehnsucht nach den Sternen. Weltraumkarten in den Partituren und die Teleskope im Arbeitszimmer des Künstlers belegen deutlich, wie wichtig ihm der existenzielle Schauer vor dem All ist (hier hätten die Architekten ruhig Anleihen bei Michael HEIZERSs Double Negative in Utah nehmen können. Schliesslich betont Nitsch immer wieder, dass er die Land Art mag).

Auch kommt die Bedeutung der Partituren viel zu kurz in diesem Museum. Gerade diese peniblen Konzepte für Aktion und Musik auf Millimeterpapier machten den Unterschied des Wiener Aktionsimus zur Gutai-Kunst in Osaka und Tokio ab 1954 aus. Nitsch wollte vom Beginn der ersten Malaktion am 18. November 1960 an, dass das reale Geschehen ohne sein Zutun von anderen wiederholt werden kann (»Ein Schwamm wird in rote Farbe getaucht und über der Bildfläche ausgedrückt«). Der Wiener Aktionismus stellte mit solchen Anweisungen an die Akteure seine Leistung auf eine Ebene mit der kompositorischen Praxis von Musikkonzert und Oper.

Auffällig in Mistelbach: die Ausstellung von besonders farbenfrohen Schüttbildern. Bislang war das Markenzeichen der Nitsch-Malereien stets ein schmetterndes Rot – Kirschrot, Zinnoberrot, Weinrot, Feuerrot, Krebsrot –, das der Künstler primär wegen der Farbintensität und nicht wegen dem Symbolwert (Saft des Lebens) gewählt hat. Fraglos kommen die knallbunten Rinnflächen den angebotenen Familiensonntagen weit mehr entgegen. Wie überhaupt die Besucherfreundlichkeit dieser Kunst nun in Mistelbach einen gewaltigen Schub nach vorne erlebt.

Beispiel Merchandising. Gab es in den Neunzigern schon mal ein mit einem Schüttbild bedrucktes Badetuch, um das einen ganze Strandbäder beneideten, so explodiert gegenwärtig das Angebot an Museumsartikeln: Es gibt Nitsch-CDs und Nitsch-Kalender, Nitsch-Postkarten und Nitsch-Wein.

Die Mistelbacher Cafékonditorei Schreiber, Marktgasse 5, hat Nitsch-Schokolade und Nitsch-Naschwerk in sehr geschmackvollen Verpackungen herausgebracht. Die Oberfläche der dunklen Süssigkeit ist von heftigen Gesten roter Marzipanspritzer gezeichnet, und im Weltinneren der Konfektkugeln lauert – nicht zu knapp – ein hochprozentiger Nebel.

Besucherinformation: www.mzmistelbach.at, Öffnungszeiten: DI – SO, 10.00 bis 18.00 Uhr, Eintritt: EUR 7,00.

Verkehrverbindung: Schnellbahn S2 (stündliche Verbindungen von Wien nach Mistelbach), mit dem Auto Bundesstrasse B7 Richtung Brünn, Abfahrt bei Schrick Richtung Mistelbach.

© Wolfgang Koch 2007
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