vonHelmut Höge 06.06.2009

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Nicht nur gibt es derzeit im Handel mehrere Bücher über soziale Bewegungen – historische Untersuchungen, die mehr oder weniger den Eindruck vermitteln, dass ihr „Gegenstand“ in etwa so abgeschlossen untersucht werden kann wie die DDR, daneben machen auch immer mehr Bewegungsmelder im Internet auf. So z.B. seit einigen Tagen die tageszeitung – mit ihrem neuen Arbeitsplatz: „bewegung.taz.de“.

In der Holztaz wird diesbezüglich schon seit längerem auf die Bewegungsexperten Roland Roth und Dieter Rucht zurückgegriffen. Die beiden stellten im vergangenen Jahr im Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) ihren Campus-Handbuch „Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945“ vor – und gelten seitdem als Kenner dieser doch recht flüssigen und damit schwer handhabbaren Materie.

Eigentlich sollte auch der schon seit langem über die linken Bewegungen forschende und publizierende Historiker Markus Mohr in ihrem Campus-Buch mit von der Partie sein. Er zog sich jedoch noch gerade rechtzeitig zurück – aus diesem von der SZ sogleich zu einem „Standardwerk“ erklärten Machwerk. Vor allem deswegen, weil darin plötzlich auch der für den Verfassungsschutz tätige Autor Dr. Thomas Grumke mit einem Beitrag über die „rechtsextremistische Bewegung“ vertreten sein sollte. „Ein VS-Spitzel in einem akademischen Buch mit einer Laufzeit von mindestens sieben Jahren zu sozialen Bewegungen, von denen einige Autoren über eine lange Diffamierungs- und Leidensgeschichte mit eben diesen honorigen Verfassungsschutzämtern verfügen? Das ist unfassbar,“ schreibt Markus Mohr in einem langen Text – über eben diesen Sammelband von Roth und Rucht.

Über den Beitrag des VS-Spitzels Grumke heißt es weiter bei Markus Mohr:

Nach einigen eher skizzenhaften Bemerkungen über Momente kleinteiliger
Bewegungsmobilisierungen im Neofaschismus spitzt Dr. Grumke seine diesbezüglichen Überlegungen
schließlich in die Formulierung zu, dass der „Dreh- und Angelpunkt der rechtsextremistischen Bewegung
(…) jedoch die NPD/JN“ bleibe, um dann Fortzufahren, dass deren Bedeutung als „die einflussreichste und
signifikanteste rechtsextremistische Organisation (sogar) mit den Wahlerfolgen und dem damit verbundenen Zugang zu einer Vielzahl von Ressourcen, insbesondere der staatlichen Parteienfinanzierung, noch gewachsen“ sei. (S. 485) Diese Hinweise mögen zunächst so ganz falsch nicht sein, alleine der Begriff einer „Vielzahl von Ressourcen“ für jene verdammte NPD macht doch jeden neugierigen Tageszeitungsleser
sofort hellhörig. „War da nicht irgendwann einmal das fulminant gescheiterte NPD-Verbotsverfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht!“ schoss es mir durch den Kopf. Und genau so ist es: Im Laufe jenes nach
dem Sommer 2000 seitens der Bundesregierung in Gang gesetzten Verfahrens sickerte nach und nach durch, dass von den im Verbotsantrag aufgeführten vierzehn Zeugen aus der NPD mindestens 10 – d.h. zwei Drittel aller öffentlich als NPD-Aktivistenbenannten Zeugen ! – auf der Pay-Roll der Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz standen. Nachdem es den Bundesverfassungsrichtern zu bunt wurde, und diese die Verbotsantragsteller ultimativ dazu aufforderten, die Zahl der seit dem Jahre 1996 in der Partei geförderten Spitzel zu benennen, (Vgl. Müller FAZ vom 8.5.2002) wurde seitens der Verfassungsschutzbehörden – wenn auch in interessiert verdrehter Formulierung – eingeräumt, das von allen Bundes- und Landesvorstandsmitgliedern in der NPD „weniger als 15 Prozent“ auf der Lohnliste der Ämter stehen. Diese Aussage umfasste 560 Personen und bezog sich auf den Zeitraum von 1996 – 2002. Legt man diese Zahlen zugrunde, so darf eine Zahl von ca. 80 NPD-Aktivisten veranschlagt werden, die für Jahre eine zum Teil enorme finanzielle Unterstützung für ihr faschistisches Engagement von den Landes- und Bundesämtern für Verfassungsschutz erhielten. (Vgl. Müller FAZ vom 30.7.2002) Von keinem geringeren als dem 36 lange Jahre vom Landesamt für Verfassungsschutz in NRW mit über 350.000 DM unterstützten hochrangigen NPD-Antisemiten Wolfgang Frenz, der als Zeuge vor dem Bundesverfassungsgericht vorgesehen war, wurde das in einer in Teilen sehr transparent wie integer geschriebenen Lebensbeichte besonders hervorgehoben. (Vgl. Frenz Schlapphutaffäre, 2002; M. Dietzsch, A. Schobert) Und dabei soll es sich nicht um bedeutende – um hier mit der von Dr. Grumke eingeführten Begrifflichkeit zu sprechen, – „Ressourcen“ für die NPD handeln?

Die Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer und Siegfried Broß sowie die Richterin Lerke Osterloh
sahen das in der Mitte März 2003 getroffenen Abbruchsentscheidung des NPD-Verbotsverfahren ähnlich. In
einem Minderheitsvotum führten sie aus, dass „im Zusammenwirken mangelnder `Staatsfreiheit´ des
angebotenen Tatsachenmaterials“ von einer „fehlenden Staatsfreiheit der Führungsebenen“ der NPD
gesprochen werden müsse. (Bundesverfassungsgericht 2003) Dabei werden sich die
Bundesverfassungsrichter an den in der Abbruchsentscheidung mehrfach erwähnten prototypischen
Nationalsozialisten Frenz sicher noch gut erinnert haben: Denn wegen ihm hatte das Bundesverfassungsgericht ab dem 5. Februar 2002 gleich eine ganze Reihe von Verhandlungstermin platzen lassen, was sicher nicht oft in der Geschichte dieser Institution vorgekommen ist.

Diese ganze miese Geschichte zwischen der NPD und seinem Arbeitgeber erwähnt der „VS-Spitzel“ Grumke jedoch nicht. Dafür reiht er die Neonazis begrifflich in die Reihen der linken Bewegungen ein. Markus Mohr schreibt:

In den Überlegungen zu der „Abgrenzung des Gegenstandes“ verweist Dr. Grumke darauf, dass die Debatte um die Frage, ob der Neofaschismus als „eine soziale Bewegung“ zu verstehen sei, mit dem „abrupten Anstieg rechtextremistischer Gewalt vor allem gegen `Fremde´(…) die zum Teil pogromartige Ausmaße annahm“ zusammenfiel. Allerdings stuft er dann in einer dazu gesetzten Fußnote den Begriff des Pogroms am Beispiel der „zu trauriger Berühmtheit gelangten“ Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen Ende August 1992 zu der Formulierung der „Ausschreitungen“ herunter – eine Formulierung, auf die noch zurück zu kommen sein wird, (S. 476) Dr. Grumke weiß der neofaschistischen Bewegung zunächst einen Anspruch
„auf einen fundamentalen gesellschaftlichen und politischen Wandel mit Mitteln des kollektiven Protest bis
zum Anwendung von Gewalt“ zuzubilligen. (S. 476). Und dann benennt er deren Mittel völlig zutreffend
damit, dass bei dieser „über Jahre hinweg (…) Menschenjagden und Tötungen zur Anwendung“ komme, die
er – wie bitte, liest man das richtig? – als ein „breites Aktionsrepertoire“ qualifiziert. Doch schon im
unmittelbar darauf folgenden Satz bescheinigt der Autor dem Neofaschismus erneut, dass man diesem, nun mal „das Streben nach grundlegenden sozialen Wandel“ nicht absprechen dürfe. (S. 477) Und glaubt man dem Verfassungsschutzautor im Fortgang seiner Beschreibungen weiter, war für „Anfang der 90er Jahre“ ein „erhebliches Aufkommen fremdenfeindlicher Gewalt“ zu konstatieren. (S. 478) Verblüffend, das
ausgerechnet ein Politologe sich mit der Formulierung eines „erheblichen Aufkommens“ einer
Sprachmetapher bedient, die aus dem Wetter- oder Verkehrsbericht entlehnt ist – an anderer Stelle
bezeichnet Dr. Grumke „rechtsextremistische Gewalt“ als eine „Welle“ (S. 476) – die anzeigt, dass an
diesem Punkt Politik aufhört und insofern auch nicht mehr weiter gedacht werden soll.

usw..

Markus Mohr hat sich in seinem 33seitigen Text auch noch mit anderen Autoren-Beiträgen in dem Reader sowie mit denen der beiden o.e. Herausgeber beschäftigt. Seit Text wird hoffentlich bald irgendwo veröffentlicht, ich will deswegen nicht allzuviel daraus hier vorwegnehmen.

Neulich war ich zum ersten Mal wieder im Werkbund-Archiv, das seit einiger Zeit in der Kreuzberger Oranienstraße domiziliert ist. Unter den Katalogen, die dort verkauft werden, vermißte ich „Nilpferd des höllischen Urwalds“. Der Katalogverkäufer im Werkbund-Archiv wußte nicht einmal was davon. In diesem Katalog (aus dem Anabas-Verlag) sollten die Spuren von den Situationisten bis zu den letzten Ostberliner Hausbesetzern verfolgt werden, die auch Thema einer gleichzeitigen Ausstellung waren. U.a. wirkte daran Dieter Kunzelmann mit, dem ich assistierte. Er zog sich jedoch irgendwann wütend zurück, und ich aus Solidarität mit, außerdem gab es dabei noch Ärger mit der taz-chefredakteurin Georgia Tornow.

In der taz schrieb ich darüber später:

Ein Gedicht des ehemaligen Berliner AL-Abgeordneten Dieter Kunzelmann – über „Rohwedder, Hanno Klein und Diepgen“ – sollte eigentlich die Werbung für eine Ausstellung des Werkbundarchivs über „die Situationistische Internationale, die Gruppe Spur und die KommuneI“ einleiten. Doch es schien, spätestens als ‚Bild‘ es als Mordauruf an Diepgen interpretiert hatte, den Ausstellungsmachern zu heikel. Kunzelmann, um dessen politische Biographie sich genaugenommen die ganze Ausstellung drehte, zog daraufhin wütend seine Exponate zurück. Nachdem dann auch noch ein anonymer Drohbrief auftauchte, zog auch der zweite Exponat-Besitzer, H.P. Zimmer, seine wertvollen Stücke zurück. Übrig blieb ein Torso, der dann auch gar nicht mehr im Gropius-Bau, sondern in einer Kreuzberger Werkstatt zur Schau gestellt wurde. Der Ausstellungskatalog Nilpferd des höllischen Urwalds (Anabas-Verlag, Gießen) ist trotzdem lesenswert. Aber in ihm wurde noch weniger als in der Ausstellung der Anspruch der Aussteller eingelöst, die Spuren des Situationismus und der KommuneI bis zu den letzten Westberliner und den jüngsten Ostberliner Hausbesetzern zu verfolgen. Dieses ganze Kapitel fehlt. Es gibt gute Gründe dafür, zu bestreiten, daß Hausbesetzungen – also die außerplanmäßige Immobilisierung eines Teils der jungen Generation – überhaupt zu ihrer Mobilisierung, im Sinne einer sozialen Bewegung, taugen. Dennoch muß der Verzicht, sie in der Situationismus- Ausstellung zu thematisieren, eher mit der fortgeschrittenen Selbstbeschränkung der Museumsleute erklärt werden: Sie trauten sich ganz einfach nicht an diese noch nicht ganz erkalteten Spuren heran.

Zum Glück gibt es dazu jetzt einen weiteren Katalog: Bewegungslehre – Botschaften aus einer autonomen Wirklichkeit, herausgegeben von der Agentur Bilwet (Edition ID-Archiv Berlin-Amsterdam 1991). Es geht darin um die Amsterdamer Hausbesetzer, um verschiedene „Highlights“ ihrer Bewegung, einschließlich einer unaufdringlichen Verallgemeinerung ihrer Aktionen – Bewegungslehre eben. In diesem Katalog sind es vor allem zwei Kapitel, die hier auf geschärftes Interesse stoßen dürften: einmal das über die „Anti-Medien-Bewegung“ und zum anderen das Kapitel über die Amsterdamer „Nolympic-Kampagne“, die so erfolgreich war, daß am Schluß das IOC auf seiner entscheidenden Tagung mit 125 zu fünf Stimmen gegen Amsterdam votierte. Dem vorausgegangen waren monatelange Aktivitäten der Anti-Olympia-Gruppen, die an Effizienz und Gemeinheit nichts zu wünschen übrig ließen. Ähnliches könnte ich mir hier nur vorstellen, wenn die Linken es zum Beispiel über sich brächten, zusammen mit den Neofaschos beispielsweise ein ausländerfreies „Olympia 2000“ zu fordern. Dann könnte das Amsterdamer IOC-Abstimmungsergebnis sogar noch überboten werden. Aber vielleicht schafft der neue Olympia-Chef Walter Momper das auch ganz alleine. Übrigens ist dabei auch Kunzelmann wieder mit von der Partie: Wegen Beteiligung an einer Anti-Olympia-Fahrraddemo muß er sich demnächst vor Gericht verantworten. Es gibt sie eben wirklich, die Kontinuität einer sozialen Bewegung von den Anfängen der Situationistischen Internationale bis in die urbanen Konfliktfelder unserer Tage. Aber darüber bräuchte man eigentlich keine Zeile zu verlieren – geschweige denn eine ganze Ausstellung im Gropius-Bau.

Festinstallierter Bewegungsstopper in Pilonenform, als beschnittenes Ranggewächs camoufliert auch noch, auf dem Parkplatz der Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg.

Vorübergehende Bewegungsstopper, aufgestellt von Bauarbeitern im Hamburger Schanzenviertel.

Gegen Diebstahl gesicherte Pilonen als Bewegungsstopper in Hamburg.

Zwei Sorten von Bewegungsstoppern: Speed-Breaker mit Pilon in einem Hamburger Gewerbehof.

In Hinterhand bzw. Hinterhalt gehaltener Pilonenstapel als Bewegungsstopper auf dem Gelände einer katholischen Gemeinde in Hamburg.

Eher in Vorderhand gehaltener Pilon als Bewegungsstopper in Gloucester. Photo: Peter Grosse

Noch einer – etwas außerhalb von Gloucester, am Abzweig zur Rainbow Terrace. Er stoppte mindestens den in Bewegung befindlichen Peter Grosse – insofern der sofort anhielt und aus seinem Auto ausstieg, um ihn zu photographieren.

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