vonsaveourseeds 02.06.2010

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Bioökonomie, genauer gesagt „wissensbasierte Bioökonomie“ ist ein neues Schlagwort, das seit einiger Zeit in den Politik-Werkstätten von Berlin bis Brüssel hoch in Kurs steht. Es hat wenig damit zu tun wie Ökonomie „bio”, oder gar Bio-Landwirtschaft ökonomisch wird, sondern umschreibt eher eine Strategie des endgültigen Durchgriffs der Industrie auf die Landwirtschaft. Präsentiert wird sie als zwingendes Gebot der Nachhaltigkeit und wissenschaftlichen Vernunft in Zeiten des Klimawandels und als unausweichlicher Fortschritt auf einem globalen Markt. Agrarsprit und Gentechnik, „grüne Fabriken“ und Bio-Raffinerien, nachwachsende Rohstoffe und Spezialchemie vom Acker verweben sich zu einem als reine Technologie-Entwicklung beschriebenen Konzept radikal veränderter Landnutzung, in dem Bauern nur noch am Rande vorkommen und der Anbau traditioneller Lebensmittel eher als lästige Pflicht erscheint.

„Die Anforderungen des Klimaschutzes, die steigende Kaufkraft und Nachfrage nach Nahrungsmitteln in Schwellenländern mit wachsenden Bevölkerungen ebenso wie die steigenden Rohölpreise haben dazu geführt, dass Agrarrohstoffe ökonomisch aber auch im Bezug auf die nachhaltige Produktion verstärkt im Fokus stehen. Damit haben sich auch neue Märkte für biobasierte Produkte entwickelt. Die Fortschritte in der Biotechnologie und Gentechnik haben gleichzeitig vollkommen neue Möglichkeiten im Lebens- und Futtermittelbereich eröffnet, welche entscheidende Antworten auf die sich stellenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und klimatischen Veränderungen geben können“.

Mit diesen Worten beginnen „Erste Empfehlungen zum Forschungsfeld Bioökonomie in Deutschland“, die der deutsche Forschungs- und Technologierat Bioökonomie aus „unabhängigen Experten“ im Sommer letzten Jahres vorlegte. Finanziert wird er von Forschungsministerin Annette Schavan, die von ihm zum Herbst diesen Jahres Empfehlungen für neue Forschungsschwerpunkte und –strukturen und nichts Geringes als eine „nationale Biomasse-Strategie“ erwartet. Angesiedelt ist der Bioökonomierat bei der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech), die zu zwei Dritteln von der Privatwirtschaft und zu einem Drittel aus Steuermitteln und finanziert wird und sich selbst als Interessensvertreterin der Technikwissenschaften bezeichnet.  Ihr Präsident, Reinhard Hüttl vom Geoforschungszentrum Potsdam, ist zugleich Vorsitzender des Bioökonomierates, dessen Mitglieder die acatech auswählt.

Neben Vertretern von Großunternehmen wie BASF, Dow Chemical, KWS, RWE und dem Investment-Unternehmen One-Equity, sind dies Leiter staatlicher Forschungsinstitute, Gentechniker und Biotechnologen sowie der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes Helmut Born. Hinzu kommen mit Joachim von Braun, bisher Direktor des Instituts für Ernährungspolitik der Weltbank (IFPRI), und dem ehemaligen Leiter der Abteilung Biotechnologie der EU-Kommission, Christian Paterman, zwei ausgewiesene Strategen der Agro-Gentechnik. Paterman hatte in seiner EU-Zeit bereits ein Manifest zur „wissensbasierten Bioökonomie“ initiiert.

Ein wenig böswillig könnte man sagen: Die Regierung finanziert mit 2 Millionen Euro ihre eigene Industrie- und Gentechnik-Lobby und räumt ihr im Koalitionsvertrag zudem einen exklusiven Platz ein. „Mit der Unterstützung des Bioökonomierates werden wir eine international wettbewerbsfähige Strategie zu einer wissensbasierten Bioökonomie erarbeiten und umsetzen. Wissenschaft, Wirtschaft und Landwirtschaft brauchen klare Signale für die Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen und deren Einsatz auf der Grundlage des geltenden Rechts. Die grüne Gentechnik kann einen Beitrag zur Bekämpfung des Welthungers leisten“, steht dort zu lesen. „Die wissensbasierte Bioökonomie kann man somit als Umsetzung des Wissens aus den Lebenswissenschaften in neue, nachhaltige, umweltverträgliche und konkurrenzfähige Produkte definieren“, erläuterte die Ministerin auf eine Anfrage im Bundestag. Auf Fischer, Förster, Biobauern, Umwelt- und Naturschützer, Verbraucher und andere Vertreter der Zivilgesellschaft könnten die mit anderen Gremien exzellent vernetzten Wissenschaftler verzichten, da sie „aufgrund ihrer wissenschaftlichen und beruflichen Erfahrungen über ein breit gefächertes und fachübergreifendes Wissen in zahlreichen der genannten Bereiche“ verfügten.

in seiner ersten Stellungnahme forderte der Rat neben der „Etablierung übergeordneter Forschungsstrukturen im Bereich Bioökonomie“, mehr Forschungsmitteln, Steuererleichterungen, internationalem Wissenstransfer und „Exzellenz“-Nachwuchs vor allem eine weitgehende Überarbeitung des Gentechnikgesetzes und die zügige Schaffung von Akzeptanz für neue Technologien, um Investitionsentscheidungen von Großunternehmen nicht negativ zu beeinflussen. Dies betreffe auch das Klonen von Tieren, Stammzellforschung, artgerechte Tierhaltung und Nachhaltigkeitskriterien beim Import von Biomasse.

„Der Rat spricht sich deshalb dafür aus, Rechtssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen von der Forschung bis hin zur Zulassung und Vermarktung einschließlich transparenter Verbraucherinformationen zu schaffen, um eine verantwortungsbewusste Weiterentwicklung und Anwendung neuer Technologien zu ermöglichen. Politische Entscheidungen sollten dabei wie in vergleichbaren Bereichen der Lebenswissenschaften oder Energieforschung auf Basis unabhängiger wissenschaftlicher Bewertungen und mit einer langfristigen Perspektive getroffen werden.“

Was damit gemeint ist verdeutlicht eine Presseerklärung der acatech während der laufenden Koalitionsverhandlungen. „Demokratische Politik kann die Meinung der Wähler nicht ignorieren. Sie ist aber auch dafür mitverantwortlich, dass die Wähler Fakten zur Kenntnis nehmen. Sie hat eine Aufklärungsaufgabe, bei der die Wissenschaft sie unterstützen muss.“ Ihr Bioökonomierat verwies flankierend auf seine Empfehlungen.

Um bei allem wissenschaftlichen Gestus keinen Zweifel an seiner Wirtschaftsmacht aufkommen zu lassen, rechnen die Herren (und zwei Frauen) Räte hoch, dass sie eine der größten und wachstumsstärksten Branchen der EU vertreten. Atemberaubende 1,6 Billionen Euro setze die europäische Bioökonomie jährlich um: 800 Milliarden in Lebensmittelindustrie und –handel, 400 in der Papierindustrie, 150 in der Forstwirtschaft und 50 in der Chemieindustrie. Der Landwirtschaft bleiben in dieser Potenz-Rechnung 210 Milliarden oder 13%. Mit 15 von 22 Millionen stellt sie freilich fast 70% der Arbeitsplätze. Dies ist übrigens die einzige Stelle in den gesamten Empfehlungen, an der das Wort „Landwirtschaft“ auftaucht, „Landwirt“ und „Bauer“ kommen überhaupt nicht vor, „Landschaft“ nur als Teil des Wortes „Forschungslandschaft“. „Wirtschaft“ und „Wachstum“ finden sich dagegen im Überfluss.

Um die Erhaltung des Wachstums durch Überfluss dreht sich auch die skizzierte Biomasse-Vision. „Um Flächenkonkurrenzen zwischen den Verwendungsarten zu vermeiden, muss das Angebot an Biomasse grundsätzlich gesteigert werden. Dazu bedarf es erheblicher Forschungsanstrengungen, aber auch neuer Formen der Bewirtschaftung.” In Vorwegnahme der neuen Prioritäten aus Sicht der Industrie heißt es auf der Webseite des Bioökonomierates: „Biokraftstoffe sind einer steigenden Konkurrenz durch die Nahrungs- und Futtermittelproduktion ausgesetzt. Gleichwohl sind moderne Bioraffinerien in der Lage, verschiedene Produkte auf Basis desselben Grundstoffes zu produzieren.“ Gewissermaßen nach Tageskurs könnte dann die verarbeitende Industrie und ihre integrierte Wertschöpfungskette diese Rohstoffe als Lebensmittel, Treibstoff oder Energie auf den Markt werfen.

Vielleicht sollten, bevor Frau Schavan und Frau Aigner im Herbst die Biomasse-Strategie ihrer Experten entgegennehmen und in die Tat umsetzen, doch noch ein paar andere Visionen von einer Bioökonomie mit bäuerlicher Vernunft und einer Biomasse-Strategie menschlichem Antlitz bedacht und diskutiert werden?

P.S.

Lust auf mehr? Hier gehts zur EU Konferenz über KBBE – knowledge based bio economy am 14. September 2010

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