vonHeiko Werning 19.09.2011

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Foto: Peter Alberts

Ein wenig wirkte Roger Trash wie aus der Zeit gefallen, mit seinen schulterlangen Haaren, den weißen, lang ausgezogenen, spitz zulaufenden Schuhen und dieser pelzigen Russenmütze, die er, wenn das Wetter es eben erlaubte, also grob geschätzt bei Temperaturen, die signifikant unter 30 °C lagen, stets trug. Seine Lieder waren die Form von Rockmusik, die man wohl bald in den Kanon der Klassik aufnehmen wird, dazu mit deutschen Texten, was manch einen reflexhaft zur gedankenleeren Schmähvokabel „Deutschrock“ bewegte. Nein, dem Zeitgeist, das kann man schon mal festhalten, rannte Roger Trash nicht hinterher. Er sah höchstens mal kurz nach ihm auf, um ihm ein paar Zeilen hinterherzurufen. „Lebst du noch oder wohnst du schon?“, fragte er schon vor Jahren, als sich noch nicht jeder Schülerjournalist an dem Ikea-Spruch abgearbeitet hatte, oder auch: „Es gibt immer was zu feiern, ständig ein Event / kommen deine besten Freunde wenn dein Dachstuhl brennt?“
Roger Trash, 1959 im niedersächsischen Diepholz geboren, schildert seinen Werdegang selbst wie folgt: „Klein-Trash spielt in der Kaserne oder sitzt im Kino und träumt von der weiten Welt. Die Russen greifen einfach nicht an. 1966 Flucht nach Münster. Die Karriere auf dem Wilhelm-Hittorf-Gymnasium endet vorzeitig ohne Abitur. Zivildienst mit geistig behinderten Kindern, Gelegenheitsarbeiter. Fensterputzer, Sex-Shop-Verkäufer, Möbelpacker, Kirmesboxer bei der Schlütertruppe sowie kleine Exkursionen als Frauenheld.“ Dann aber fand er zur Musik. Als Jazz-, Pop- und Rockmusiker auf der Bühne, unter Vertrag bei verschiedenen Bands, schließlich auch mit der eigenen. Sein wohl bekanntestes Engagement war als Bassist bei Peter Burschs Bröselmaschine, eine der ersten wichtigen Rockbands im Nachkriegsdeutschland (und ja: genau jener Peter Bursch, den unzählige Gitarrenschüler von ihren Lehrheften kennen). Er zog durch die Republik und spielte, spielte, spielte. War das die weite Welt, von der Klein-Trash geträumt hatte? „1996 dann Boxenstopp, nach 1.500 Konzerten endet die Rock`n`Roll-Odyssee auf der Reeperbahn. Die Batterien sind leer, die Plattenverträge futsch. Das jahrelange Vagabundenleben fordert seinen Tribut. Es gilt, die letzten Reste von Energie und Ambition zu bewahren.“
Trash erfindet sich neu. Er schreibt nun Geschichten und Romane, auf der Bühne sattelt er um vom Rockstar zum, wie es idiotischerweise immerzu heißt, Singer/Songwriter, dabei macht er doch einfach nur Lieder und wäre mit dem Substantiv Liedermacher gut beschrieben. Schöne Lieder. Direkte Lieder. Gern dicht am Gefühl, immer im Bemühen um klare Worte, vor allem aber mit Haltung und Humor und einer Liebe zu schönen Einzelwörtern, die er sich gerne selbst zusammenbastelt oder für seine Zwecke kapert.
Eine meiner Lieblingsnummern von ihm ist eine eher schlichte Ballade über den Gang der Welt mit einem schönen, aber durchaus pathetischen Refrain, seltsamerweise auf Italienisch, „Trebbiano del Rubicone“ heißt sie. Irgendwann fragte ich ihn, was der italienische Text um Himmels Willen eigentlich bedeuten sollte? Berühmte Zeilen eines italienischen Dichters oder Revolutionärs? Das Zitat eines bedeutenden Denkers, der vielleicht vor meiner Zeit in der Alternativszene schwer angesagt war? Nö, antwortete Roger, das sei einfach nur das, was auf dem Etikett der Weinflasche gestanden habe, als er das Lied schrieb. Ich war bezaubert.
Nebenbei spielt er in Theaterstücken und Filmen mit, bringt eine Rio-Reiser-Revue auf die Bühne, schreibt Musik für den chinesischen Staatszirkus und verkörpert in einem Musical Dean Reed,  der als „roter Elvis“ eine romantische Ahnung  pompösen Scheiterns abgibt.
In Würde scheitern – das war überhaupt eines der großen Themen von Trash. Dass er es bei allen Aktivitäten letztlich kaum über den Status eines Hartz-IV-Aufstockers bringt, nimmt er mit Gelassenheit und Humor. „Erfolg, du bist aber schnell geworden / Erfolg, ich wink dir zu“, singt er, in Sachen Selbsteinschätzung macht ihm keiner was vor: „Schmeißt du Perlen vor die Säue? / Ja, das denken ja so viele“, spottet er über das Selbstmitleid sich unentdeckt wähnender und sich dabei zu wichtig nehmender selbst gefühlter Talente. Er macht unbeeindruckt weiter. Auch ohne kommerziellen Erfolg. Dafür nennt er sich „Erlebnismillionär“.

Foto: Wim Weppelmann

Ich habe Roger erst relativ spät kennen gelernt. Ich wohnte längst in Berlin, unterhielt in Münster aber zusammen mit Mark-Stefan Tietze von der „Titanic“ eine kleine Lese- und Lieder-Show, die wir mit der uns eigenen Bescheidenheit nur halbironisch „Weltstars privat“ nannten. Roger kam anfangs als geladener Gast, später war er häufiger dabei, um Mark-Stefan oder mich zu vertreten. Ich mochte ihn gleich, wenn mir auch auf die Nerven ging, dass er häufig dasselbe machte. Es seien aber nun einmal seine besten Nummern, verteidigte er sich. Wir machen aber keine klassischen Shows, hielt ich dagegen, es geht doch um den Prozess, um den Moment, um die Aktualität und aktuelle eigene Empfinden. Nein, es geht um das Publikum, widersprach er. Es ging aber letztlich um gar nichts – niemand in Münster wollte uns hören, wir spielten oft nur vor ein bis zwei Dutzend halbbetrunkener Zufallsgäste.
Da schmeißen wir doch Perlen vor die Säue, beschloss ich, und tat es Mark-Stefan nach, der schon einige Zeit zuvor beschlossen hatte, in Münster nicht mehr aufzutreten. Er ging ganz zur „Titanic“, ich ganz nach Berlin. Roger blieb in Münster.
Er fühlte sich wohl dort, er gehörte dorthin. So gern und so oft er auch weiterhin aufbrach und mit dem Zug durchs ganze Land fuhr, um aufzutreten und, was ihm unterm Strich wohl genauso wichtig war, um Menschen zu treffen, immer kehrte er wieder nach Münster zurück. Er nannte sich nun gerne „Landstreichler“. Die Bahn, das Reisen wurde ein zentrales Motiv in seinem Schaffen; „Ferngeliebt“ hieß sein vorletztes Album, das Video zu dem Lied „Jena Paradies“ spielt in einem Zugabteil, auf Pressefotos stellte er gern eines jener alten IC-Schilder mit den Routen-Informationen hinter sich, auch sein letztes Video handelt von der Trennung durch Abreisen: „Bis dahin, Komplizen“. Das war im Sommer 2009.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=OAZOd9MxHz8[/youtube] Tage später brach er zusammen. Leukämie, diagnostizierten die Ärzte, es folgten ganze Batterien von Chemo-Therapien, der Krebs erwies sich als zäh. Zwischendurch gab es hier und da „Rauchzeichen“, wie er seinen Mails nun gern in den Betreff schrieb. Ein aktuelles Bild, ohne die gewohnte Haartracht. Waren am Ende sogar der Russenmütze die Haare ausgefallen? Das Glatzkopffoto im Anhang hatte den Dateinamen „Call me Locke“. Und wann immer er zwischen zwei Therapien aus dem Krankenhaus kam, wurden gleich neue Auftrittstermine vereinbart, er wollte unbedingt zurück, so bald wie möglich. Reformbühne Heim & Welt, Brauseboys – wir verschoben und verschoben. Im Frühjahr 2010 schien der Alptraum vorerst vorbei. Sie hatten schweres Geschütz auffahren müssen, Trash galt jetzt medikamentös als durchtherapiert, mehr ging also nicht. Er nahm einen neuen Song auf, einen seiner schönsten, „Glück auf“: „Es ist schön hier zu sein / wie du da wieder so stehst / ich trag die schnellen weißen Schuh / wie alles so riecht, wenn du gehst“ Und: „Ich sage super, prima, fett und toll, und alles ist so, wie es sein soll.“
Im Sommer 2010 kam er erneut nach Berlin. Er hatte ein Konzert gemeinsam mit Danny Dziuk. Dass es ihm noch nicht sonderlich gut ging, wurde mir schnell klar: Er bat mich, ihn am Klavier zu begleiten. Und das, obwohl er gut wusste, wie ich Klavier spiele – kein Musiker würde das freiwillig machen. Es wurde trotzdem ein wunderbares Konzert. Wegen Danny Dziuk ja sowieso, aber Roger strahlte eine Bühnenpräsenz aus, die sogar meine zahlreichen Verspieler und Arhythmien vergessen ließ, er wirkte einfach glücklich auf der Bühne, schwach, aber glücklich. Dass er sich, nachdem der erste Rausch des Auftritts sich gelegt hatte, krank und schlapp fühlte, wollten wir beim nächtlichen Döner und Bier im Saray-Imbiss auf die überstandenen Strapazen zurückführen. Das Fieber am nächsten Morgen – sicher nur eine Grippe. Wir saßen in meiner Küche, Roger mit fiebrig-glänzenden Augen und Schweiß auf der Stirn, und sinnlos redeten wir über die Erkältungssaison, und dass die Kinder ja schließlich auch schon wieder Schnupfen hätten.
Es war aber kein Schnupfen. Zwei Tage später lag er wieder in der Uni-Klinik Münster. Es folgte eine Knochenmarkstransplantation, Roger verabschiedete sich, nicht ohne einen neuen prägnanten Begriff zu erfinden: die nächsten Monate verbringe er in der „Liegedisco“. Er überstand es, machte neue Auftrittstermine, aber das bange Warten blieb, ob der Krebs nun endlich klein beigegeben würde. Tat er nicht. Rogers letzter Song wird eine launige Disco-Nummer: „Lass sie alle machen / lass sie alle tun / ich will nur noch schlafen / die Seele nur ruhn“, und: „Ich will an der Matratze lauschen / und hör jetzt schon das Jenseits rauschen“. Der Refrain, mit viel euphorischem Gejubel aufgenommen: „Endlich Feierabend in der Liegedisco“. Er hatte genug: „Jede Feier hat einen Abend / und jeder Scheiß geht auch mal vorbei.“

Foto: Rita Roring

Vorbei ging es dann am 31. August. Über 200 Menschen fanden sich eine Woche später auf dem idyllischen Waldfriedhof Lauheide ein. Roger hatte zum letzten Auftritt geladen, und diesmal waren alle gekommen. Der alte Bühnenfuchs hat sich die Setlist für den finalen Gig noch selbst geschrieben, seine Band soll noch mal spielen, das „Komplizen“-Video gezeigt werden. Als in der restlos überfüllten Kapelle zu Beginn seine eigene Stimme vom Band ertönt, ist es wie ein Schlag in die Magengrube. Und doch seltsam tröstend. Der Sarg in der Mitte, alle um ihn geschart, eng zusammengerückt. Dazu vom Band seine Worte, in seiner Stimme: „Es ist schön hier zu sein / wie du da wieder so stehst / ich trag die schnellen weißen Schuh / wie alles so riecht, wenn du gehst“, und, „Ich sage super, prima, fett und toll,
und alles ist so, wie es sein soll“ – „Glück auf, Baby, Glück auf.

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