Der Bär flattert heftig in östlicher Richtung.
Während des 9to5-Festivals haben mich viele Teilnehmer, die bei der Diskussion nicht zugehört hatten, nach der Bismarc Media gefragt. Deshalb hier nochmals in aller Kürze: Warum heißt der Kulturbetrieb Kulturbetrieb? Weil es dabei auch um Geschäfte geht. Obwohl dies so ist, werden die Produktionsbedingungen von Werken der Kunst und Literatur meist nicht thematisiert. Wir wollten das 1968 ändern und gründeten die Literaturproduzenten, ein Zusammenschluß von linken Autoren, Verlagsangestellten und Buchhändlern, welche die Produktionsverhältnisse zum Tanzen bringen wollten mittels Gründung von Autorenverlagen, Mitbestimmung und Meinungsfreiheit in Buchhandlung und Verlagen.
aus ›Protest! Literatur um 1968‹, Marbacher Kataloge, 1998
Ich hatte vorher in diversen Verlagen als Werbeleiter und Verlagsleiter gearbeitet und gründete 1969 den März Verlag und die Olympia Press. Bis zu einem gewissen Grade wurden die Vorstellungen der Literaturproduzenten bei März und Olympia Press eingelöst: Alle vier Mitgründer der beiden Verlage wurden Kommanditisten, ich war Komplementär, also persönlich haftender Gesellschafter.
Leider funktionierte unser kollektivistisches Geschäftsmodell nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Meine Mitkombattanten interessierten sich mehr für den Gewinn, einer wollte mich sogar loswerden und selbst den Verlag übernehmen. Zwar hatte ich selbst zwei Jahre vorher per Palastrevolte meinem Prinzipal die von mir geschaffenen Produktionsmittel (sprich Manuskripte) entwunden und den März Verlag gegründet, trotzdem hielt sich meine Sympathie für die nun geplante Enteignung in Grenzen, als sie jetzt mich betraf. Ich verhinderte die Rotz-März-Revolte (Rote Zelle März). In dieser Lage kam mir die Idee neben dem erfolgreich laufenden Verlagsgeschäften eine Agentur zu gründen, welche die nur profitorientierte Arbeit aufhebt – Guy Debord ließ grüßen.
1970 gründete ich in Genf eine Aktiengesellschaft und nannte sie Bismarc Media SA. Im Frankfurter Westend mietete ich ein Stockwerk in einem Hochhaus. Die Agentur wurde ultracool eingerichtet, an den Wänden hing Pop Art von Andy Warhol, Roy Lichtenstein u.a. Ich engagierte Ernst Herhaus, einen Freund von Max Horkheimer, der im Stile der kritischen Theorie dozierte und schwadronierte. Außerdem wurde eine Mitarbeiterin eingestellt, welche die »Ideationen« von Herhaus und mir protokollierte. Wir verfertigten Konzeptionen ohne Kundenauftrag und verwarfen diese wieder, wie geplant. Denn die Arbeit bestand darin Konzepte zu finden und nicht dieselben zu realisieren. Bei der Bismarc Media hieß es laufend: »Stop, schon faul!«, wenn eine Sache anfing, verwertbar zu werden oder anschlußfähig war.
Als sich in der Medienbranche herumsprach, daß im Westend eine Agentur existiert, die keine Aufträge annimmt, brachten die Branchendienste und Nachrichtenmagazine irritierte Kommentare zu Bismarc Media. Und hätten wir die Sache zwei Jahre durchgehalten, wer weiß, wieviel »Plenty of Nothing« noch entstanden wäre.
Firmenschild oben links in einer Vitrine der Kölner Ausstellung ›Außerordentlich und obszön‹, 2006.
Was aus diesem Konzept geworden ist? Wie geplant: Nichts. Oder doch nicht nichts? Es entstand ein anderes, weniger flüchtiges Resultat: das Buch ›Siegfried‹, darin wird das Bismarc-Media-Konzept mit der »eingebauten induktiven Krise« beschrieben. Den Text hatte ich Ernst Herhaus aufs Tonband erzählt. Man wußte also von der Idee, denn ›Siegfried‹ ist, alle Ausgaben zusammengenommen, bis heute in einer Auflage von 105 000 Exemplaren erschienen. Und Diedrich Diederichsen nannte mich nach der Lektüre von ›Siegfried‹ in Spex »den Erfinder des erweiterten Verlegertums und der Business Art«.
(JS)