vonSigrid Deitelhoff 16.07.2009

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Dass er ein hervorragender Schauspieler ist, weiß ich schon, seit dem ich ihn in der musikalisch-szenischen Lesung „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny gesehen habe. Das er – Thomas Rühmann – aber auch ein brillanter Damaturg ist, wurde mir erst während des letzten Prinzenbad-Kultur-Blind-Date im „Theater am Rand“ bewußt.

Die Bearbeitung und Umsetzung des Romans „Mitten in Amerika“ von Annie Proulx als Theaterstück vor der Kulisse einer abgelegenen Landschaft im Oderbruch war exzellent und rief bei uns allen ein Gänsehautfeeling hervor.

Der Roman erzählt die Geschichte von Öl, Windrädern und Schweinefarmen in den Panhandles von Texas und Oklahoma, die Zerstörung der Landschaft und ihrer traditionellen Bewirtschaftung durch industrialisierte Betriebe und von Bob Dollar, einem jungen Mann auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Geschichte befaßt sich mit den Biografien der skurilen Bewohner. Mit einem merkwürdigen Sinn für Humor widersetzen sie sich der Zerstörung dieser abgelegenen Landschaft.

Die bildreich geschilderte Landschaft im Roman spiegelt sich im Blick des Theaterbesuchers beim Betrachten der Kulisse. Eine glatte, weite Landschaft. In der Ferne Heuballen, Pferde und ein altertümliches Windrad. Am Horizont Wälder. Die Protagonisten gehen langsam von den Feldern kommend auf die Bühne zu. Das Spiel beginnt. Wir Zuschauer tauchen ein in eine andere Lebenswelt.

Die Poesie der Sprache, die ich so sehr in den Romanen Annie Proulx‘ schätze, geht in dem Theaterstück nicht verloren. Ganz im Gegenteil – durch das Arrangement der Szenen wird sie verdichtet und weist auf ein hohes Maß an künstlerischem Fingerspitzengefühl hin.

Wunderbar gespielte Szenen auch von Ursula Karusseit und Jens-Uwe Bogadtke. Und die musikalische Begleitung durch Tobias Morgenstern war wie immer professionell und hervorragend.

Gäbe es das „Theater am Rand“ nicht, müßte es erfunden werden. Es ist natürlich schade, diesen Geheimtip preis zu geben. Aber inzwischen ist der Geheimtip keiner mehr, er ist – nach den Kennzeichen der Autos, die vor dem Theater parken, zu urteilen – inzwischen Kult unter den Berlinern.

Interessant ist dieses Theaterkonzept auch über den Kulturaspekt hinaus. Es werden einige Arbeitsplätze dort am Rand Deutschlands durch das Theater geschaffen. So mußte der benachbarte Ziegenhof nicht schließen, sondern verkauft seine Produkte in der Theaterpause, um nur ein Beispiel zu nennen.

Darüberhinaus wurde das gesamte Theater-Areal zur gentechnikfreien Zone erklärt. Vorbildlich ist die Kooperation des Theaters mit verschiedenen Künstlern, aber auch mit anderen Projekten, die sich um „Randthemen“ wie nachhaltige Landnutzung und Klimaschutz bemühen.

Das Theater am Rand an der Zoll­brücke in Zäckericker Loose liegt direkt an dem Oder-Neiße-Radwanderweg. Wer auf einer Fahrrad-Tour hier vorbei kommt, sollte unbedingt eine Rast einlegen und vorbei schauen. Es lohnt sich!

Übrigens: Die Zuschauer zahlen den Eintrittspreis beim Austritt. Dort entscheiden sie, was ihnen das Kunsterlebnis wert ist. Die nächsten Theatereinnahmen werden u.a. für die Begrünung des Dachs und den weiteren Ausbau verwendet.

Thomas Rühmann, Jens-Uwe Bogadtke und Ursula Karusseit in „Mitten in Amerika“ von Annie Proulx

„Theater am Rand“ in Zollbrücke, Zäckericker Loose

Fotos: Sigrid Deitelhoff

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