Vor einigen Wochen ging durch dieses Blog als Reaktion auf eine kleine Geschichtsstunde („Vier langweilige Stunden pro Woche … was das wieder lange her ist oder immer ohne ein‘ passiert…“) ein sogenannter „Flamewar“, in dem – augenscheinlich – jugendliche Fans Samy Deluxe für die Textzeilen „Und wir haben kein Nationalstolz und das alles bloß wegen Adolf – ja toll schöne Scheiße der Typ war doch eigentlich ’n Österreicher“ sowie „Ein Monat waren wir kurz stolz dann mussten wir uns wieder schämen denn es heißt wir haben beide Weltkriege gestartet“ bejubelten und gegen jegliche, auch gut begründete, Kritik mit verbalen Entgleisungen und Bedrohungen ins Feld zogen.
In einem Interview mit dem Stern wurde Samy Deluxe nun kürzlich auf seine nationalistischen Texte angesprochen:
Gerade haben Sie Ihr neues Album vorgestellt. Für den Song „Dis wo ich herkomm“ haben Sie jüngst im Hitlerblog der „taz“ ordentlich Häme bezogen. Die Zeile „Wir haben keinen Nationalstolz, und das alles bloß wegen Adolf – ja toll, schöne Scheiße, der Typ war doch eigentlich ’n Österreicher“ war da Gegenstand der Kritik.
Ja, das habe ich auch gelesen. Das sollte ein ironischer Ansatz sein. Das hat dem jungen Mann wohl nicht gepasst. Ich habe neulich auf Promoreise in Österreich mit Journalisten zusammen gesessen, dort war das überhaupt kein Thema. Wenn man das Wort „Hitler“ nur in den Mund nimmt, gibt es oft schon Ärger, deswegen habe ich konkrete Lyrics diesbezüglich zumeist vermieden. Dass sich „Nationalstolz“ und „Adolf“ reimen, musste ich einfach mal präsentieren, zwei Worte, die in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Ich finde die Kritik nicht berechtigt, ich habe mich aber trotzdem gefreut, weil es eine Diskussion ausgelöst hat. Es gehört dazu, dass nicht alles bejubelt wird, was man macht. Das haut schon hin. Ich kann das vertreten, es so geschrieben zu haben.
Das sollte ein „ironischer Ansatz sein“, im Ernst? Dass Fehltritte und Unwissen als Humor, noch besser: als „Ironie“ (ja, das kann man schon mal nachschlagen) entschuldigt und verschleiert werden, das ist zwar Alltag, sollte aber nicht so leicht hingenommen werden. Das kann man auch als Journalist mal nachhaken – als „junger Mann“ gleich dreimal.
Das ist mir schon klar, dass für viele Journalisten kein Thema ist – die sollen ja auch was Schönes über den coolen Rapper schreiben und für die Details deutscher – und ebenso österreichischer – Geschichte interessieren die sich im Zweifelsfall auch nicht immer. Davon abgesehen, dass an manchen Orten in Österreich die Uhren ohnehin eigenartig zu ticken scheinen.
Nun, wenn das was Samy Deluxe da machen würde nicht bejubelt werden würde (wie er behauptet), dann wäre das Problem immerhin ein bisschen kleiner. So hat man den Eindruck, dass Samy Deluxe sich nicht nur als Opfer von übervorsichtigen und superpanischen Idioten in Szene setzt, sondern auch noch als einzige Autorität für an Geschichte sonst wenig Interessierte die Nazizeit als Banalität, kleinen Fehler und Lapalie abtut. Davon abgesehen, dass von einer „Diskussion“ nicht die Rede sein kann: Während Samy Deluxe beispielsweise heute Abend mit Stefan Raab und eben im Stern ein klitzekleines Bisschen auf seine „Provokation“ angesprochen wird, habe ich von Mixery Raw Deluxe, die ursprünglich eine Sendung dazu machen wollten, nichts mehr gehört – nachdem ich unter der Bedingung, dass ein Sachverständiger in Sachen Revisionismus und deutsche Geschichte miteingeladen werden solle, zögerlich zugesagt hatte.
Sei’s drum, interessant wäre vermutlich ohnehin weniger der Inhalt des Gesprächs als die Frage, ob Samy Deluxe das Problem verstehen will, gewesen. Dass aber MTV, VIVA und PRO7 sich Samy Deluxe so unreflektiert und ohne jegliches Hintergrundwissen in Szene setzen lassen, das ist mehr als ärgerlich – weshalb die von einem Leser gestartete Leserbriefaktion meine volle Unterstützung hat.
Dies ist der Text, den man – so man unsere Sorge teilt – nach Bedarf variieren und an die Medienanstalt seiner Wahl senden darf:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit dieser E-Mail möchte ich Sie auffordern, „Samy Deluxe“ nicht länger ein Forum für die Verbreitung seiner unsäglichen Texte zu bieten. Vielleicht haben Sie das neue Lied „Dis wo ich herkomm“, das täglich auf MTV gespielt wird, bereits einmal bewusst gehört?
Ich möchte auf folgende Textpassagen hinweisen: „Und wir haben kein Nationalstolz und das alles bloß wegen Adolf – ja toll schöne Scheiße der Typ war doch eigentlich ’n Österreicher“ sowie „Ein Monat waren wir kurz stolz dann mussten wir uns wieder schämen denn es heißt wir haben beide Weltkriege gestartet“.„[…] bloß wegen Adolf […]“ ist eine Formulierung, die bereits den Tatbestand der Volksverhetzung gem. §130 III StGB zu verwirklichen geeignet ist. Bei den 12 Jahren Nationalsozialismus handelt es sich um das dunkelste Kapitel der Zivilisation! Dabei kann es keine Rolle spielen, ob Adolf Hitler in Österreich geboren worden ist oder nicht. Er hat gemeinsam mit vielen anderen Deutschen den größten Massenmord in der Geschichte organisiert und durchgeführt. Die daraus resultierende historische Verantwortung kann und darf nicht mit dem Verweis auf den Geburtsort Hitlers abgetan werden.
„[…] es heißt wir haben beide Weltkriege gestartet […]“ ist ebenfalls eine Formulierung, die historische Fakten in unerträglicherWeise relativiert: Deutschland hat sowohl den ersten als auch den zweiten Weltkrieg begonnen! Folglich „heißt“ es das nicht nur, es ist eine historische Wahrheit.
Samy Deluxe darf es nicht gestattet werden auf einer Plattform wie MTV/VIVA weiterhin solche Aussagen, die rechtsextremem Geschichtsrevisionismus gleichkommen, an ein Millionenpublikum zu verbreiten. Sie sind als ausstrahlende Medienanstalt für die gesendeten
Inhalte mitverantwortlich. Statt diese Lieder zu bewerben, sollten Sie sich kritisch mit ihren Inhalten auseinandersetzen und eindeutig Position beziehen, indem Sie die Lieder absetzen. Kinder und Jugendliche dürfen nicht unkommentiert diesem brandgefährlichen Schwachsinn
ausgesetzt werden.Mit freundlichen Grüßen
Und nur um das ein für alle mal klarzustellen: Es geht hier keine Sekunde um oder gegen Hiphop. Es geht hier um und gegen Lügen, Volksverhetzung und Nationalismus. Und dass man schlau und gleichzeitig sogar belustigend mit dem Dritten Reich in seinen Lyrics umgehen kann, das kann man sich bei Form anschauen (aufgepasst bei Minute 3:07). Falls das jemand nach all den Jahren Titanic noch nicht mitbekommen hatte.
(Danke, Philipp)