vondorothea hahn 23.04.2010

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Bevor ich in dieses Land kam, habe ich nicht geahnt, wie wichtig das tägliche Brot sein kann. Was es bedeutet, in eine knusperige Baguette zu beissen, deren Inneres sich weich an Zähne und Gaumen schmiegt. Oder in ein würziges, schweres Landbrot, von dem jede Scheibe eine Mahlzeit für sich ist.

Früher bin ich einfach in die Bäckerei gegangen. Natürlich fand ich das Biobrot in Berlin teuer. Und natürlich hat mich in Paris geärgert, dass die Tarife der BäckerInnen schneller steigen, als der Lohn für meine journalistische Arbeit. In der Warteschlange bei meinem Bäcker im 20. Arrondissement bin ich deswegen auf die Idee mit dem „Croissant-Index“ gekommen. Der Index zeigte, wie viele Zeilen ich schreiben musste, um ein Croissant zu verdienen. Es wurden jedes Jahr mehr.

Doch gemessen an meinen Erfahrungen mit dem Brot in den USA lag das alles weit unterhalb der Schmerzgrenze. Während in Paris immer neue Bäckereien aufmachen – deren Brot zwar teuer ist, aber immerhin köstlich – gibt es in den meisten Stadtteilen von Washington keine einzige Bäckerei.

In Frankreich veranstalten die BäckerInnen alljährlich Wettkämpfe, um die besten aus ihren Reihen zu finden. Die Medien berichten über Zeremonieen, bei denen die Gewinner Medaillen als „meilleurs ouvriers de France“ erhalten. Manchmal steckt ihnen der Staatspräsident persönlich die Orden ans Revers. Und immer fördern die Auszeichnungen das Geschäft. Die PariserInnen essen nicht nur gern, sondern sie reden auch viel über das Essen. Der Name einer guten Bäckerei spricht sich schnell herum.

In den USA kommt das Brot aus der Fabrik. Die US-HautstädterInnen erwerben es bei monatlichen Vorrats-Einkäufen am Stadtrand. Als Erstes stopfen sie ihre Kofferräume mit Lebensmittelvorräten voll. Anschließend ihre Gefrierschränke. Dann ihre Bäuche. Auch bei Broten gilt dabei der landesübliche Pragmatismus: Der Preis muss stimmen.

Die meisten Supermärkte in Washington haben meterlange Regale mit Broten. Darin lagern Waren, die „Roggenbrot“, „Pumpernickel“ und „Baguette“ heissen. Aber deren Konsistenz und Geschmack nur gabt vage an die europäischen Namensgeber erinnern. Sättigen tut das Brot aus dem Supermarkt auch nicht.

Es kommt aus der Plastiktüte. Es ist quadratisch. In Scheiben geschnitten. Geschmacksneutral und duftlos. Und derart mit Konservierungsmitteln voll gestopft, dass es nach drei oder vier Wochen im Kühlschrank immer noch nicht schimmelt. Dazu ist es schlaff und kraftlos. Selbst getoastet, bietet es kaum Widerstand.  Reinbeissen und Kauen ist nicht. Im Rohzustand lassen sich ganze Pakete dieses Brotes ohne Anstrengung zwischen zwei Fingern auf wenige Millimeter zusammen drücken. Ich habe es ausprobiert.

Vor den Brotregalen, in den Supermärkten dieser Stadt, mußte ich mehrfach Wutanfälle unterdrücken. Wo immer es Alternativen gab – mexikanische Tortillas, indisches Naan, koschere Matzen oder Knäckebrot – habe ich zugegriffen. Und natürlich bin ich auch zu den Bio-Supermärkten und zu den wenigen Bäckereien am anderen Ende der Stadt gefahren, um die Brote auszuprobieren. Manche sind lecker. Aber sie kosten so viel wie Käse in Paris.

Ich grübelte bereits über eine Diät ohne Brot, als ich über den Bauernmarkt am Dupont Circle in Washington geschlendert bin. Es ist ein Straßenmarkt, wie es sie in Paris zu Dutzenden gibt: Mit echten Gurken – darunter kleine, krumm gewachsene und fleckige – die tatsächlich nach Gurken duften. Und mit Marmeladen, die außer Zucker und Geliermittel auch erkennbare Fruchtbestandteile haben. Es war ein Sonntag mit strahlendem Sonnenschein.

Plötzlich lag es vor mir: Dunkelbraun, kreisrund, radgroß und mit Spuren von hellem Mehl auf der gerillten Kruste. Ich blieb mitten im Gedrängel stehen und starrte es an. Wie vom Schlag getroffen. Das Stückchen Brot, das mir die Bäckerin zum Kosten reichte, habe ich mit geschlossenen Augen gegessen. Es war knusperig und weich, säuerlich und würzig.

Natürlich habe ich ein Viertel ihres Brotes gekauft. Vor allen Dingen aber habe ich von ihr ein Wort gelernt, das mein Leben in Washington verändern sollte: „Sourdough“ – Sauerteig. Die Bäckerin sagte auch, es sei nicht schwer, Brot selber zu machen. Es brauche bloß etwas Geduld und Übung.

Beides fehlt mir gänzlich. Aber am Abend jenes Tages habe ich mein erstes Brot gemacht. Es war ein Hefebrot und gelang nicht schlecht. Am nächsten Morgen habe ich Sauerteig angesetzt. Auch der verschaffte mir ein schnelles Erfolgserlebnis. Schon nach drei Tagen blubberte er und warf Blasen. Als der Bier-Geruch aus dem Sauerteig-Glas aufstieg, wußte ich, dass auch dieser Versuch gelungen war.

Seither bin ich brotmässig autark geworden. Ich füttere meinen „Ansatz“ regelmässig mit Wasser und Mehl. Ich schaue dem Teig beim Gehen zu. Und ich probiere neue Formen und Techniken aus. Mein bisher bestes Stück ist die „flûte au levain“, die ich gestern aus dem Backofen geholt habe – eine kleine Sauerteigbaguette. Dergleichen habe ich früher zu besonderen Anlässe bei meinem Bäcker im 20. Arrondissement in Paris gekauft.

Mit meinen eigenen, europäischen Broten bin ich auf Abstand von den Regalen der Supermärkte gegangen, in denen die Plastiktüten voller Brot gestapelt sind. Aber einem Teil der hiesigen Gesellschaft bin ich näher gerückt. In den USA ist die Brot-Back-Community groß. Und ich bin jetzt ein Teil von ihr. Die Community bespricht im Internet und bei Wochenendseminaren, wie die Blasen in die Krume kommen, wie viel Fahrenheit nötig sind und wann der Pinselstrich Wasser auf die Brot-Kruste muss.

In Washington habe ich dank meiner neuen Community mehr über französisches und deutsches Brot erfahren, als in meinem ganzen Leben zuvor. Die besten Anleitungen zum Baguette-Backen plaudert eine Amerikanerin im Internet aus. Sie lebt in Paris.

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