Silva versuchte Littin mit einem nächtlichen Telefonat davon zu überzeugen, seinen Film zurückzuziehen, der war selbstverständlich tief gekränkt, und mancher unterstellte der Jury, sich vor einen politischen Karren spannen zu lassen. Dabei bedurfte es gar keiner Einflussnahme von oben, um „Dawson“ durchzusetzen, den Film, der von dem Lager erzählt, das die Militärs nach dem Putsch von 1973 für hochrangige Politiker der Unidad Popular auf einer patagonischen Insel einrichteten. Der Film ist alles andere als herausragend, aber Oscar-Juroren sind eben leichter mit groß angelegten Dramen und Durchhaltegeschichten zu beeindrucken, als mit kleinen, psychologisch exakten Gesellschaftsstudien.
Wie auch immer – an dieser Stelle sei jedenfalls eine schöne neue Website empfohlen: „Cine Chile“, die „Enzyklopädie des chilenischen Films“ hat sich zur Aufgabe gemacht, ein möglichst komplettes und übersichtliches Archiv aus technischen Daten, Kritiken, Interviews und Trailern bereitzuhalten. Das hat der chilenische Film auch längst verdient, der in den vergangenen beiden Jahrzehnten mehrere Dutzend Premieren junger Regisseure erlebte – auch dank vergleichsweise üppiger Förderung durch die staatliche BancoEstado. Darunter war viel Seichtes und auch handwerklich Schlechtes, aber mit der Zeit kristallisieren sich Namen und Gesichter heraus, die eine spannende eigene Sprache sprechen. Wer sich für den chilenischen Film interessiert, für den ist „Cine Chile“ ganz großes Kino.