vonGerhard Dilger 12.12.2010

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Boliviens Widerstand auf dem Weltklimagipfel gründet auf dem ökosozialistischen Programm der Regierung Morales

Von Jürgen Vogt und Elvira Treffinger

Es war nach Mitternacht, und der Weltklimagipfel schon Stunden über der Zeit, als Pablo Solón stur bei seinem Nein zu den vorgelegten Kompromissen blieb: Wieder und wieder betonte der bolivianische UN-Botschafter: „Es gibt keinen Konsens.“ Bolivien könne keiner Vereinbarung zustimmen, die den Untergang der Erde und der Menschheit bedeute.

Die Delegierten aus 194 Ländern in Cancún hielten den Atem an: Würde die mühsam errungene Einigung einzig und allein an Bolivien scheitern? Die Regierung des südamerikanischen Landes verfolgt seit Jahren einen ökologisch-sozialistischen Kurs. Präsident Evo Morales geißelt Luxus und Verschwendung, fordert Klimagerechtigkeit „für die Völker der Welt“.

Evo Morales und Pablo Solón im April auf dem Alternativen Klimagipfel von Cochabamba

In Cancún stand Bolivien am Ende allein mit seinem Widerstand. Kuba, Ecuador und Venezuela, die zunächst mitzogen, verstummten. Aber die Regularien der Vereinten Nationen verlangen Beschlussfassung im Konsens. Da entschied die Konferenzpräsidentin, die mexikanische Außenministerin Patricia Espinosa, in der Nacht zum Samstag kurzerhand, dass Konsens nicht unbedingt Einstimmigkeit bedeuten müsse – und erklärte die Gipfel-Kompromisse per Hammerschlag für beschlossen. Die Vorbehalte Boliviens würden in den Konferenzdokumenten vermerkt werden. Stürmischer Beifall, die Delegierten waren erleichtert, dass der Gipfel zu einem Ergebnis fand.

Bolivien will sich damit nicht abfinden. UN-Botschafter Solón kündigte an, sein Land werde beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Einspruch gegen den Kompromiss von Cancún und sein Zustandekommen einlegen. Präsident Morales verurteilte die Beschlüsse als schlecht für die Völker der Welt, aber gut „für die Imperien und die kapitalistischen Länder“.

Damit folgt Morales seiner „grünen Agenda“. Noch während der Klimakonferenz wurde in Bolivien ein Gesetz verabschiedet, das „Mutter Erde“ (Pachamama) den Status eines Rechtssubjekts gewährt und damit auf Schutz. In der indianischen Tradition des Andenraums wurzelt das in die Verfassung von 2009 aufgenommene Konzept des „guten Lebens“ (Sumak Kawsay). Es steht für eine Lebensweise im Einklang mit der Natur, die an Gerechtigkeit und am Gemeinwohl orientiert ist.

Schon vor einem Jahr, im Dezember 2009, bei der Kopenhagener Klimakonferenz hatte sich Bolivien zusammen mit Venezuela und Kuba gegen windelweiche Abkommen ausgesprochen. Als Reaktion auf das Scheitern des Kopenhagen-Gipfels lud Morales im April öffentlichkeitswirksam zu einer Weltkonferenz der Völker über Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde nach Cochabamba ein.

„Jenseits von Ideologien, Volksgruppen, Ländern und Regionen ist die Verteidigung des Lebens und der Mutter Erde eine Verantwortung aller“, sagte Morales vor den 35.000 Teilnehmern aus 147 Ländern. Sie formulierten weitreichende Forderungen: ein Weltklimagericht und eine Kürzung der Rüstungsausgaben, eine Halbierung der Kohlendioxid-Emissionen der Industrieländer in zehn Jahren und die Abführung von sechs Prozent ihrer Staatsetats an einen Weltklimafonds.

Auch in Cancún sah sich Bolivien als Stimme der armen Völker. „Wir sind ein kleines Land, aber ein Land, das seine Prinzipien hat“, sagte UN-Botschafter Solón in der dramatischen letzten Nacht des Gipfels. Ein Land, das für andere Länder spreche, etwa für die vom Anstieg des Meeresspiegels bedrohten kleinen Inselstaaten.

Dass die Gipfel-Leitung Boliviens Nein ignorierte, kritisierte Solón als undemokratischen Regelverstoß: „Heute ist es Bolivien, morgen kann es irgendein anderes Land sein.“ Seine Hartnäckigkeit trug ihm Respekt ein. Solón freut sich über Glückwünsche und Solidaritätsadressen aus zahlreichen Ländern. (epd, 12.12.10)

Und der BUND erklärt dazu:

Für Hubert Weiger, den Vorsitzenden des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), steht nach dem Weltklimagipfel nicht Bolivien am Pranger, sondern angeprangert gehörten die Blockierer vor mehr Klimaschutz. Das Veto Boliviens gegen die schwachen Beschlüsse von Cancún finde die Unterstützung seiner Organisation, sagte Weiger. Für ihn sei die Stimme Boliviens gegen die Cancún-Vereinbarungen ein deutlicher Hinweis auf die Mängel in der internationalen Klimaschutzpolitik. In Cancún habe außerdem nicht nur die bolivianische Regierungsdelegation gegen die Gipfel-Beschlüsse protestiert. Zehntausende politisch Engagierte, einfache Bauern und Landlose seien parallel zum Klimagipfel für mehr Umwelt- und Klimaschutz und mehr Gerechtigkeit auf die Straße gegangen.

„Der bolivianische Präsident Evo Morales kritisiert die Schwäche der Cancuner Beschlüsse zu Recht. Mit den bisher vereinbarten Minderungszielen für CO2-Emissionen und der Einrichtung fragwürdiger Schlupflöcher wie den CO2-Zertifikatehandel lässt sich der Klimawandel nicht wirksam bekämpfen“, sagte Weiger. Die Erwärmung der Erdatmosphäre steuere weiter auf die Fünf-Grad-Marke zu. Daran ändere auch das Mantra der politisch Verantwortlichen aus fast allen Regierungen, sie wollten die Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzen, nichts.

„Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel oder der USA-Präsident Barack Obama die Ergebnisse von Cancun über den grünen Klee loben, dann stellen sich zwei Fragen. Erstens, reicht der Cancún-Kompromiss? Und zweitens, was haben die beiden eigentlich in der letzten Zeit zum Klimaschutz beigetragen? Da fällt einem nicht viel ein“, sagte Weiger.

Es habe wenig Sinn, beim internationalen Klimaschutz weiter auf Blockiererstaaten wie die USA, Japan, Kanada, Australien und China zu warten. Zurückgewiesen werden müssten auch die Versuche von Mitgliedsstaaten der EU zur Aufweichung der Klimaschutzziele und zur Schaffung weiterer Schlupflöcher. Es sei dringend erforderlich, sämtliche Auslandsinvestitionen, die mit den Einnahmen aus dem internationalen CO2-Zertifikatehandel getätigt würden, stärker an Umweltkriterien zu binden. Auf keinen Fall dürften Atom- und Kohlekraftwerke oder der Bau von naturzerstörenden Riesen-Staudämmen mit Geldern aus diesem Handel gefördert werden.

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