vonWolfgang Koch 04.08.2011

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Während ich den Fall Breivik bedenke und wende, spaziere ich jeden Tag für ein paar Stunden über Wiens größtes Multikultifest, die 7. Afrikatage auf der Donauinsel, wo sich hunderte, und wochenends tausende Menschen aller Hautfarben an einem erstklassigen Musikprogramm, an überteuerten gastronomischen Angeboten und an Kunsthandwerk aus fernen Ländern erfreuen.

Es ist ein friedliches Fest, und wenn ich den Blick über die Lagerwiese in der weißen Zeltstadt schweifen lasse, erscheint vor meinem geistigen Auge das Massaker, das in Norwegen geschehen ist, noch viel unrealistischer als jeder Gladiatorenfilm.

Nicht, dass es bei solchen neuen Volksfesten keine Unterschiede und Probleme mehr gäbe. Die bekifften westafrikanischen Männer treten nie an der Seite von Frauen auf, es sei denn mit rastazöpfigen Österreicherinnen, die einen von ihnen geheiratet haben. Sie konsumieren nichts und halten zu den bierseligen Indigenen ebenso Distanz wie den zu anderen Zuwanderern Wiens.

Die von Breivik so gehasste islamische Kultur ist zwischen einer Heiltrommerlin, einem akzentfrei deutschsprechenden Schneider aus Benin, der Weizenkörner in kleine »Wärmepölsterchen« einnäht, zwischen den ghanaischen Kinderbuchautor und Schauspieler Patrick Addai, dem Maiskolbenbrater und einem farbigen Vertreter der Wiener Polizei, der Zuwanderer rekrutieren soll, kaum auszumachen.

Besonders auffällig bei diesem Multikulti-Festival darum: die Abwesenheit von türkisch- und ägyptenstämmigen Besuchern. Dabei liegen doch links und rechts der Donau gleich zwei Bezirke, in denen diese Gruppen einen enorm hohen Bevölkerungsanteil aufweisen: Floridsdorf und die Brigittenau.

Woran mag das liegen? Daran, dass es keinen Kebab zu kaufen gibt? Wohl kaum. – Die Antwort ist, dass sich dieser nette Riesenseifenblasenworkschop des Multikulturalismus auf der Donauinsel a] an österreichische Bobofamilien und b] an die afrikanischen Communitys der UN-Stadt Wien wendet. Für die aus der Türkei und Ägypten zugezogenen Underdogs ist schon der Tageseintritt von fünf Euro zu hoch.

Was ich damit sagen will, ist: die Migrationsprobleme haben überall in Europa eine handfeste sozio-ökonomische Grundlage. Der unstillbare Hass, zu dem Breivik fähig ist, beruht auf dem krampfhaften Ignorieren dieser einen simplen Tatsache: er ist unerkannter Klassenhasses auf die da unten.

Wir wissen noch zuwenig über Breiviks beruflichen Werdegang, nichts über seine wahren finanziellen Verhältnisse, die Herkunft der Mittel, mit denen er sich neun Jahre lang auf das Fanal vorbereitet hat. Für gewöhnlich ist der Klassenhass der Topdogs auf die Underdogs dort am stärksten ausgeprägt, wo sich Mittelständler selbst als Abstiegskandidaten sehen. Sie projizieren in die Muslime ihre eigene mögliche Zukunft hinein: von Dreckjobs anhängig zu sein, sich von industrieller Massenware ernähren zu müssen, in Ghettos zu wohnen, kurz: ein Subjekt ohne gesellschaftliches Ansehen zu werden.

Ernst Bloch hat einmal zwei Bevölkerungsgruppen unterschieden, um die Gewaltförmigkeit unserer Lebensverhältnisse zu beschreiben: die »Mühseligen und Beladenen« auf der einen Seite, und die »Erniedrigten und Beleidigten« auf der anderen.

Für die neue islamophobe Rechte in Europa – von den rechtspopulistischen Parteien in den Regierungen bis zum einsamen Terroristen – ist die lebengeschichtliche und situative Distanz zur Fabrik und zur Reproduktionssphäre der Arbeiterschaft charakteristisch.

Ohne Frage sind es die Muslime der Unterschicht, die heute zu den »Mühseligen und Beladenen« zählen. Ihre Lage lässt sich nur vollständig aus dem ganzen Enteignungs- und Unterdrückungsprozess heraus verstehen, wie er sich aus dem Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital ergibt, und wie er mit der Organisation unserer gesellschaftlichen Arbeit und der ungerechten Verteilung des Eigentums verbunden ist.

Breivik aber zählt sich selbst zur Personengruppe der »Erniedrigten und Beleidigten«, denen der Anspruch auf Würde und aufrechten Gang durch die Existenz der moslemischen Migranten versagt bleibt. – Irgendjemand, vermutlich sein Psychiater, wird ihm einmal erklären müssen, dass ein solche Anspruch auf Würde und Glück im Eigenen naturrechtlich nicht begründbar ist.

Wir haben kein Recht auf Entwicklung und Glück unter Unseresgleichen – nirgendwo auf der Welt! Der sportliche norwegische Terrorist ist nichts als das Produkt einer historischen Entwicklung, in der ständig Ghettos gebildet werden; in der ständig Menschen, die nicht bereit oder fähig sind, sich in die sich verändernden Klassenverhältnisse zu integrieren, ausgestoßen und abgesondert werden: bis hinein in ihre psychische und soziale Abschottung, bis dorthin, wo sich das Leben auf Text- und Bombenbasteln reduziert, spricht: auf die Verabsolutierung einer abstrakten Idee: Ethnozid = Kulturmarxismus + Islamisierung.

Zwischen unseren Welten liegt eine unüberwindbare Diskrepanz. Was sich der Islamhasser in seiner klaustrophoben Welt vergibt, das ist die Wahrnehmung der Details, in denen die Wahrheit liegt.

Zurück auf die Donauinsel. Die Kultur der islamisch-arabischen Länder besetzt bei den Afrikatagen bloß ein paar unbedeutende Nischen: Man kann auf Kamelen reiten, Silberschmuck der Tuaregs kaufen. Im Hauptzelt, der »Sahara Lounge«, einer Relaxzone mit Konsumzwang, sitzen zum gelegentlichen Staunen der Kinder drei würdige ältere Männer in malerischer Kleidung bei der Arbeit (wie der lederbehoste Dorfbevölkerungs-Darsteller für die fotografierenden Touristen in den Fremdenverkehrsorten des Zillertals):

Der Kunstdrechsler fertigt Holzinstrumente am Boden, der Silberschmied klopft mit seinem Hämmerchen auf Blechplatten ein, und ein Kalligraf, der nicht deutsch spricht, pinselt mit feierlich dramatischen Gesten »Sultan Wolfgang« auf ein Pappschild, wobei »Sultan« in lateinischen Lettern, mein Name aber in arabesken Schnörkseln entsteht.

Auf diese Weise versetzen die drei Marokko-Darsteller das Publikum in harmlose Urlaubsträume von Basarbesuchen im Orient. Für einen Paranoiker wie Breivik freilich wäre das schon wieder ein Beweis für die Verkommenheit des alten Europas.

Wenn nun einer der drei marokkanischen Herren sein Geschäft gen Mekka verrichten möchte, dann muss er die Sahara Lounge fliehen und seinen Gebetsteppich auf dem groben Asphalt zwischen den Containertoiletten neben der Hauptbühne aufrollen, weil ihm nur an diesem niederen Ort, im Uringewölk der Festivalgäste, das Geldmachen mit der demoskopischen Vielfalt noch Ruhe zur intimen Lobpreisung Allahs gestattet.

© Wolfgang Koch 2011

 http://www.afrika-tage.at/

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