vonWolfgang Koch 01.08.2011

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Ich gerate hier auf allerhand Allotria. Im Grund geht mich ja die deutsche Waffenrechtsdiskussion nichts an. Wohl aber vermag  ich eine politische Einschätzung der sich überparteiisch gebenden Initiative für die Liberalisierung des Waffenrechts in Deutschland zu geben.

Meine Kritiker behaupten unisono eine grundsätzlich gesellschaftspolitisch aufklärerische, also nicht-konservative, im engeren Sinn sogar »libertäre« Ausrichtung der Website http://www.liberales-waffenrecht.de/.

Gegen diese Behauptung sprechen in meinen Augen vier Argumente, und jedes einzelne mit vernichtender Wirkung: 1. die Definition des Begriffs »libertär« anhand der Ideengeschichte, 2. der hohe Vernetzungsgrad der untersuchten Initiative in der rechten Blogssphäre des Internets, 3. die eindeutig rechtsextremen Postings in den Foren der Initiative, 4. der Missbrauch des politischen Diskurses für den triebgesteuerten Unterhaltungsklamauk von Waffenfreaks. Die Argumente im einzelnen:

Der Libertäre ist ein Tölpel der Gemeinschaft

Ja, ich kenne den Unterschied zwischen historischem Anarchismus und Libertarismus, doch ich erkennen letzteren nicht als »libertär« an, sondern schlage ihm ungeachtet seiner  hartnäckigen Selbstdefinition als Engagement eines neuralen Rechtsbewusstseins dem modernen Liberalismus zu, und damit der moderaten Rechten.

Libertäre sind Anarchisten, also Anhänger einer unverzollten Utopie der Herrschaftsfreiheit, sind prinzipielle Marxismus- und Staatskritiker; liberale Waffenrechtler hingegen sind libertaristische Populisten, mithin die radikalste Strömung des freiheitsliebenden Liberalismus, weil sie versucht das Übel durch seine Vermehrung zu heilen (siehe auch »Das politische Oszma-Problem« im Einführungsband meiner »Geschichte der Gewalt«, 2005).

Da können nun liberale Waffenrechtler hundertmal das Gegenteil behaupten, oder sich subjektiv einer unangreifbaren Mitte im politischen Spektrum zuordnen. Es gibt nun einmal eine Ideengeschichte der Politik, in der es genauso auf Faktenwahrheit und Zusammenhänge ankommt wie in der Ereignisgeschichte. [Sie lehrt im übrigen, dass sich jede Idee, die versucht, sich im Meinungskampf außer Streit zu stellen, im Niedergang befindet].

Gustav Landauer und Errico Malatesta waren klassische Libertäre; sie verstanden sich selbst als der jugendliche Flügel einer breiten sozialistischen Bewegung. Sie haben gegenüber dem Staat und dem Zentralismus, ja gegenüber Organisationszwänge überhaupt ihre Skepsis formuliert, ihre Einwände aber doch nie bis zu jenem liberalen Wendepunkt vorangetrieben, der sie gezwungen hätte, dem Staat das isolierte und auf Selbsterhalt bedachte Individuum gegenüber zu stellen.

Im Gegenteil: Als »libertär« galten in der politischen Geschichte stets jene Standpunkte, die dem verhassten Staat das Ideal einer freien Gemeinschaft entgegen hielten. Das Ziel der Litertären hiess nie Bewaffnung, privater Selbstschutz, ja nicht einmal militärische Verteidigung gegen eine Diktatur (zu der sich die Anarchosyndikalisten im Spanischen Bürgerkrieg dann aber doch gezwungen sahen). Ihre gefühlsoptimistische Lehre besagte simpel: Es wird in Zukunft überhaupt keine Gewaltverbrechen mehr geben, weil die wahrhaft permissive, nicht konkurrierenden Gesellschaft keine für Gewalt empfänglichen Persönlichkeiten mehr hervorbringt.

1901 wurde von Edward Allsworth Ross das Konzept der »gesellschaftlichen Kontrolle« propagiert, und noch sechzig Jahre später bewunderten libertäre Autoren wie Colin Ward die historischen Studien zum Stadtleben von Jane Jacobs, die zu zeigen versuchte, wie die Menschheit seit Jahrhunderten in ihren Ballungszentren ein »unbewusstes Netzwerk von freiwilligen Kontrollen und Normen« entwickelt hat und seither das abweichende Verhalten sehr erfolgreich durch Ansehen, Klatsch, Billigung und Missbilligung meistert.

Man muss diesen zivilisatorischen Optimismus der 1960er-Jahre nicht teilen (ich tue es nicht). Aber im ideologiegeschichtlichen Sinn libertär war immer nur die Idee der Abrüstung, nie die Idee eines Distinktionsgewinnes durch Aufrüstung; libertär bedeutet unserer soziales Verhalten nicht auf Angst und Furcht zu verpflichten, nicht auf private Waffenvorsorge, sondern auf gegenseitige Verantwortung durch Nähe und Gemeinschaft.

Es stimmt: Malatesta hat den Zustand der gesellschaftlichen Rechtlosigkeit dem Gewaltmonopol des Staates vorgezogen. Aber dieser Aufrührer war es auch, der diese seine Extremposition dadurch wieder abmilderte und relativierte, dass er die Geschichte nur in der Richtung der Resultanten aller Kräfte voranschreiten sah. Und davon waren die antiparlamentarischen, staatfeindlichen Libertären eben nur eine.

Ein Fall für den Verfassungsschutz

Viele, wenn nicht die meisten Sympathsianten der liberalen Waffenrechtler in deutschland und Österreich findet sich auf noch viel stärker rechtslastigen Sites wie »netzwerkrecherche« oder »rebellogblog«. Der Banner »Wehre dich – liberales Waffenrecht.de« prangt auch bei »As der Schwerter«, einer die offene Gesellschaft steil anfeindende Mythoecke hochgradig islamophober Akteure im deutschsprachigen Raum.

Ich bin kein Experte für Hassblogs oder deutschen Neonazismus, und habe auch nicht vor einer zu werden. Aber eines fällt schon beim oberflächlichen Hinschauen auf: Die an und für sich diskutable Waffenrechts-Initiative, die als gemässigt rechts bezeichnet werden muss, findet den lautesten und nachhaltigsten Beifall bei den Extremisten am politischen Meinungsmarkt.

Von der quantifizierbaren Rechtslastigkeit der Initiative kann auch die Verlinkung mit der »Jüdischen Selbstverteidigungsliga Ahlen« nicht ablenken. Diese dubiose Antifa-Gruppe (falls es eine Gruppe ist) setzt das martialische Gemurmel von Autonomen in die Welt und nähert sich so von der andseren Seite dem äußersten Rand der Raumkoordinate im Links/Rechts-Modell. Es gibt bekanntlich einen Punkt – die Tatmenschenherrlichkeit –, an dem sich die äußerste Rechte und die äußerste Linke, die sich angeblich bekämpfen, überschneiden, ja fließend ineinander übergehen.

Die liberale Waffenrechtsinitiative ist meines Erachtens schon aufgrund der Zustimmung, die sich durch den Applaus von rechtsextremen, rassistischen und demokratiefeindlichen Freunden erhält, ein Beobachtungskandidat für den Verfassungsschutz. Schließlich geht es hier um die für den grundrechtsbasierten Staat elementare Frage des Gewaltmonopols, und da kann es keinem Demokraten gleichgültig sein, aus welcher politischen Ecke die Zustimmung für private Aufrüstung kommt.

Verbale Gewalt gegen Türken

Ich zitiere als nächstes die grotesk-komische Replik eines als mit »Clitus« zeichnenden Forumsteilnehmers der Liberalisierungsinitiative, und zwar eine Replik auf das vorangegangene Geständnis eines »Andreas«, dass er im Allgemeinen lieber ein Messer zur Selbstverteidigung mit sich führe als eine Schusswaffe. Clitus antwortet:

Servus, Andreas Zeig mir doch mal, wie ne Hochschwangere mit nem Messer fünf »Gettotürken« abwehrt, wenn sie noch Einkaufstüten, Kinderwagen und nen Dreijährigen dabei hat….:-)) Und glaube bloß nicht, weil Du ein tolles Messer hast, kriegen die Fünf dich nicht am A…h; die schlachten dich wie einen Hammel (nur weil es »Türken« sind, sind die nicht doof …..) und hinterher erzählen sie dem Richter, Du hättest sie mit deinem Messer provoziert.
Da ziehe ich ne kompakte .22er mit HV-Munition vor; ein Schuß in den Fuß, das Geschoß verformt, bleibt drin und prallt nicht ab und schon hast Du fünf »Hüpftürken«, denen die Lust auf Raubüberfälle vergangen ist.
Wenn der Doktor dann nicht grad Scheiße baut, sind die in zwei Monaten wieder arbeitsfähig….;-))
Gruß Clitus

Erzähle mir bitte niemand, dass solche kabarettistischen Äußerungen in der Öffentlichkeit ein aufklärerisches Ziel verfolgen. Denn das tun sie sicher nicht. Der bei Clitus zweifellos vorhandenen Humor geht zu hundert Prozent auf die Kosten von Migranten, ja er steigert sich von Satz zu Satz krampfhaft zu einem verbalen Gewaltakt, wobei möglicherweise ein vorhandener Triebstau abgeführt wird, aber eben auch das marktgängige Feindbild vom den »kriminellen Ausländerbanden« neu entsteht.

Es verbittet sich in der demokratischen Auseinandersetzung strikt, solche Wortmeldungen als seriöse Teilnahme am Meinungsaustausch anzunehmen. Wenn dieses Gezetter der üble Ton wird, in dem wir politische Argumente miteinander austauschen, können wir gleich einpacken und wieder bewaffnete Parteiorganisationen wie in den 1920er-Jahren bilden.

Nein, meine Damen und Herren Selbstschützer, die Sie die Welt außerhalb Ihrer Initiative in böse »Hintermänner« und noch schlimmere »Friedensapostel« einteilen – das Gelächter über die fünf »Hüpftürken« ist aggressive Menschenverachtung, und wenn auch noch kein Fall für den Verfassungsschutz, so doch zumindest für die moralische Selbstachtung der Demokraten im Land.

Stelle dich, Perverser!

Ich gebe gerne zu, dass das Foto einer schönen Frau mit einer Schußwaffen in der Hand seine subtile Wirkung auf meine Männlichkeit nicht verfehlt. Schließlich war Erotik immer schon mit dem Atout von Verführung und Gefährlichkeit verbunden, schließlich steigern wir den sexuelle Trieb durch das Jagdmotiv und ermatten in einem Scheintod, Hemmungen müssen im intimen Verkehr überwunden werden, Entscheidungen getroffen zwischen Verzicht und Gewährung, ja das kokette Spiel mit dem Geschlecht und seinen symbolischen Stellvertretern ist so alt wie die Kunst der Darstellung selbst.

Ich persönlich kann der trashigen Ästhetik von Guns & Babes, die sich vornehmlich an männliche Waffennarren richtet, zumindest soviel Vergnügen abgewinnen, dass mich die Abbildungen waffenkostümierter Pin-Ups über mich selbst zum Lachen bringt.

Doch ich lehne jede Verbrämung dieser kleinen schäbigen Lust mit politischen Motiven ab. Die prallschenkelige Guerillera mit der Knarre in der Hand empfinde ich als genauso widerlich wie die zum Herunterladen angebotenen Kampagnenfotos der liberalen Waffenrechtsinitiative.

Widerlich, und geradezu obszön wird jeder Gebrauch von SM-Motiven, also Gewaltpornografie, für einen politischen Zweck: man erblickt da auf dieser Website für ein liberales Waffenrecht ein nacktes verblutendes Verbrechensopfer, selbstverständlich eine langhaarige Frau, auf dem Bauch liegend, und mit dem Bildtext versehen: »Sie war ein braves Mädchen, denn sie hatte immer auf die Medien und Politiker gehört, dass sie sich nicht wehren sollte«.

Das nenne ich nun nicht mehr rechts, sondern: fatal. Bei dieser Bildgestaltung schlägt eine unverstandene Perversion zu und greift durch die Verklammerung mit dem unpersönlichen Allgemeinen (der Politik) ins Pathologische aus.

Die BDSM-Bewegung hält für jedermanns Lust an physischen und psychischen Extremsituationen eine beachtliche Anzahl von kommerziellen und nichtkommerziellen Erlebnisräumen bereit. Eine über sich selbst aufgeklärte Gesellschaft hat heute keinerlei Grund, das anstößige Gebiet, in dem Gewaltexpression zum Amüsement wird, in die Sphäre der Politik zurückzuholen. Was unter Erwachsenen »Strictly for Pleasure« ist, muss »Strictly for Pleasure« bleiben.

© Wolfgang Koch 2011

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