vonWolfgang Koch 03.08.2011

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Der Bestseller-Autor Mathias Bröckers, jener deutsche Verschwörungsanalytiker, der am häufigsten unter dem Verdacht steht, selbst ein Verschwörungstheoretiker zu sein, fordert dieser Tage, dass Breiviks Bekennerschrift »2083 – Eine europäische Unabhängigkeitserklärung« dringend zum Gestand von Forschung und Lehre werden soll.

In Wien herrscht da gerade eine ganz andere Stimmung in der intellektuellen Klasse vor. Der Publizist Richard Schuberth, der sich sonst gern als Karl-Kraus- und Ambrose-Bierce-Versteher ins Szene setzt, hält bereits die Aussprache von Breiviks vollem Namen für »verstecke Werbung«.

Breivik, so Schuberth am letzten Wochenende in einem Gastkommentar, hätte die veröffentlichte Meinung geradezu »hypnotisiert«. Die mediale Berichterstattung stilisiere den Mörder zu einer »Pop-Ikone des Bösen«. Der 43jährige Schriftsteller sorgt sich hier angeblich um das »unsichtbare Heer verunsicherter und orientierungsloser Jugendlicher«, derentwegen man kanntlich schon Hitlers publizistische Ergüsse auf den Index gesetzt hat.

Die Stimmung in Wien zerfällt wie schon während der Briefbombenserie in den 1990er-Jahren in zwei Lager: a] die Ignoranten, die am liebsten nie wieder etwas von Breivik hören wollen, und b] die Schuldzuweiser, allen voran die von der FPÖ als »linkes Hetzblatt« und von der Neuen Kronenzeitung als »Bolschewiken-Blattl« diffamierte Wochenzeitung Falter, die in der aktuellen Ausgabe gleich mal den Nachbarn des Österreichers unter Generalverdacht stellt. Schlagzeile: »Ein Drittel unserer Bevölkerung ist anfällig für Ideen, wie Attentäter Anders Breivik sie hatte«.

Ich entscheide mich, vor solch dreiste Alternativen gestellt, bedenkenlos für die Seite des Forscher. Natürlich ist da Kälte zu empfehlen, wo es anrüchig wird, und das wird es bei Breivik auf jeder der 1.518 gestalteten Seiten. Das Interesse, das ich seiner Schift entgegenbringe, entspringt ja dem Entsetzen über das Irreparable. Andererseits ist das wohl nicht das schlechteste Motiv, um einem Extrem des Zeitgeistes auf die Finger zu schauen.

Analytische Schärfe und Brechung durch Ironie schließen im Übrigen einander nicht aus. Schon jetzt gratuliere ich jedem Verleger, der sich entschließen kann »2083« zu übersetzen und in Buchform auf den Markt zu bringen (die dem Autor  Brevik zustehenden Tantiemen wandern dabei hoffentlich auf das Konto einer antirassistischen Initiative).

Schon jetzt beglückwünsche ich jeden Kabarettdirektor auf das Allerherzlichste, dem es gelingt, aus der Begegnung von Kulturmarxisten, Salafisten, Tempelrittern und Sportschützen eine humoristische Abendunterhaltung zustande zu bringen. War Karl Kraus etwa kein Satiriker? Und hat er sich vom Propagandageschehen des 1. Weltkrieg »hypnotisieren« lassen? Hat Charly Chaplin durch den Dreh seines Filmklassikers Der große Diktator (1940) Adolf Hitler etwa nicht zur »Pop-Ikone des Bösen« aufgeblasen?

Na eben, – also was soll das gegenwärtige Lamento der kritischen Intelligenz? Richard Schuberth verwirft alles Pochen auf die Vernunft und dichtet dem Establishment den Rechtspopulismus als »stinkendes Abfallprodukt« an. Also: H. C. Strache als »stinkendes Abfallsprodukt« von Werner Faymann; Stefan Herre und René Stadtkewitz als »stinkende Abfallsprodukte« von Angela Merkel – schön, dass wir solche Geistesblitze mal in einer seriösen Tageszeitung lesen können, die von Oscar Bronner herausgegeben wird.

Zugegeben, die »Protokolle der Weisen von Mekka», wie Bröckers die norwegische Bekennerschrift nennt, sind keine einfache Lektüre. Das beginnt schon mit der Collagetechnik, in der sie verfasst ist.

Das ehemalige Nachrichtenmagazin Der Spiegel plapperte es vor, und alle plappern es jetzt nach: Breiviks Bekennerschrift sei »einfach im Copy-And-Paste-Verfahren aus Blogs Gleichgesinnter zusammengestellt« – das klingt, als wäre ein fanatisierter Mensch irgendwie verpflichtet zu hundert Prozent authenische Sätze aus seiner Waldeinsamkeit heraus zu formulieren.

Wir haben die Hexenjagd auf den deutschen Außenminister Karl-Theodor zu Guttenberg wegen der »groben Verletzung wissenschaftlicher Standards« beim Verfassen seiner Dissertation noch im Ohr. In moralisierenden Kontext einer Politik, in der sich das Objekt selbst als Vorbild für seine Wähler anpreist, ist die Verurteilung eines Plagiats ja auch noch nachvollziehbar.

Im Zusammenhang mit Breivik aber ist das nichts als ein läppischer Untergriff. Warum sollte der Mann nach Zitierregeln vorgehen, die heute außerhalb des akademischen Betriebs hoffungslos veraltet sind? Das Schreiben hat sich doch dank des Personal Computers und seiner Vernetzung längst aus der Gutenberggalaxis (hier nicht der Außenminister, sondern Johannes Gensfleisch von Sorgenloch) entfernt.

Seit der klassischen Moderne mühen sich Literaten, die Collage zur kreativsten und ergiebigsten Form des Ausdrucks zu nobilitieren. Es ist ohne Wert, wo ein Satz herstammt. Die alles Schreiben beherrschende Frage im 21. Jahrhundert lautet doch, wie aus dem Chaos von Zitat, Parodie, Paraphrase und Verdrehung neue Inhalte oder neue Formen geriert werden können.

Die Polemik gegen das Copy-And-Paste-Verfahren im Zusammenhang mit Breivik offenbart nur Hilflosigkeit. Er ist kein avantgardistischer Autor, doch sein Schreiben gewiss zeitnäher als das der meisten seiner Kritiker.

Worauf es ankäme, das ist nicht die Verurteilung des Textverfahrens; worauf es ankäme, das wäre aus dem Konvolut die scheinrationale Stimme des Wahnsinns herzuhören, Schritt für Schritt die Paranoia der Selbstauflösung des Täter/Autors im unpersönlichen Allgemeinen nachzuvollziehen.

© Wolfgang Koch 2011

 http://www.heise.de/tp/artikel/35/35228/1.html

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