vonWolfgang Koch 11.08.2011

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Der Begriff Kulturmarxismus ist ein jeder Realität entbehrendes Hauptversatzstück der Breivik’schen Fanalschrift. Die Ideologen der äußeren politischen Rechten fassen damit seit Jahren all das zusammen, was ihnen gerade nicht in den Kram passt: Klassensolidarität, Political Correctness, Gendergerechtigkeit, Liberalismus, Humanismus, Marxismus-Leninismus.

Breivik hat sein Feindbild, das multikulturelle Europa, als »EUdSSR« bezeichnet, und als hätten wir an seinem »Antikommunismus« noch nicht verstanden, dass er ein Kind von Gestern ist, ein paradox-fernes Echo auf die ideologische Rigidität im Zeichen des nuklearen Patts von Ost und West, bringt er in seiner Bekennerschrift auch noch diesen Begriffschwamm Kulturmarxismus in Stellung.

Das Wort rührt noch vom ’68-Schock her. Seit damals sind Rechtsintellektuelle in den USA und in Europa von der Vorstellung besessen, von marxistischen Klassikern lernen zu müssen, weil sie nicht weiter in den Schmöckern von Otto Bismarck und Eric Voegelin, Robert Michels und Arnolt Bronnen, Carl Schmitt und Leo Strauss blättern wollen.

Vor allem einem unter den linken Säulenheiligen erweist die Rechte seither Tribut: dem Italiener Antonio Gramsci (1891-1937). Die Gesellschaftstheorie dieses Marx-Revisionisten verwarf systematisch die »mechanische« Auffassung, wonach die ökonomische Basis bestimmt, was wir denken. Der Gramscismus legte den Denkweisen und dem Alltagsverstand mehr Gewicht bei, als andere Marxismen; er betonte deren aktive Rolle im historischen Geschehen.

Gramscis »Philosophie der Praxis« wollte mit der Revolutionierung der Verhältnisse im Überbau beginnen, er wollte beim menschlichen Willen Kulturarbeit leisten und die Massen dabei zu neuer Bewusstheit ihre Lage führen. Die Vorstellung, dass wir uns geistig nicht aus dem sozialen Elend lösen könnten, verwarf Gramsci als »primitiven Infantilismus«.

Gramscis leuchtende Idee, eine Volkskultur der Massen zu schaffen, wirkt bis heute auf die Rechte elektrisierender als auf die Linke, die immer schnell dabei ermüdet, die eigenen Argumente zu wiederholen. Die Rechte verbindet damit die Vorstellung, die Lufthochheit über den Stammtischen wieder zu gewinnen – ihrem natürlichen Ausgangsbiotop.

Nicolas Sarkozy: »Seit 2002 also begann ich einen Kampf um die Kontrolle der umstrittenen Ideen. Im Grunde habe ich meine Lehren aus Gramsci gezogen: Die Macht wird durch Ideen gewonnen«. – Genauer gesagt: durch die eine, unablässig einhämmernde Idee, während Alternativen zu Schweigen gebracht werden.

Erstaunlicherweise meint die Rechte ihre einstige Hegemonie durch gesellschaftliche Liberalisierung schrittweise verloren zu haben. Heute erblickt der Gramscismus der Rechten in jedem liberalen TV-Intendanten, in jeder Reformpädagogin, in jedem aufgeweckten Kabarettisten einen Angehörigen jener »Intellektuellenklasse«, die der italienische Theoretiker als elitäre Führungsschicht mit dem Beackern der Kultur betraut sehen wollte.

Überall Manipulierte und Manipulateure, Wasserträger des Koran, Masterminds des Multikulturalismus, Sympathisanten des Dschihad, linksliberale Spin-Doctoren, … – Für halbwegs nüchterne Menschen ist der Kulturmarxismus ist ein abstruser und politisch völlig untauglicher Begriff zur Beschreibung der sich verändernden Realität.

Warum hat denn der Verlust der dauerhaft auf Konfrontation gestellten Ost-West-Polarität 1989 bei so vielen Menschen einen so mächtigen Wunsch nach neuer Verkriegerung wachsen lassen?

… nach einem neuen Rom und einem neuen Karthago, nach Werten, die wir in den reichen Zonen des Nordens durch ihr Gegenteil definieren, nämlich durch die feindseligen »Barbaren des Südens«, durch fundamentalistische Kopftuchträgerinnen und eine Flut von Bootflüchtlingen – Bot sich denn im Millenium das Feindbild der Islam nicht wie von selbst an?

Breivik ist eine Übergangsfigur in diesem Wandel: von der Truman-Doktrin und den strammen Gulag-Warnungen über die reale neue Limes-Mauer von Schengen, errichtet gegen eine »Überfremdung« durch ein zu großes humanitäres Herz mit den Asylsuchenden, von Truman bis eben zum revitalisierten Kreuzfahrer gegen Orient, der mit Waffen und Bomben gegen eine Müllhalde überlebter Ideen bei den Muslimen loszieht.

Da betrat also in Oslo und Utoya ein emotionsloser Messianismus in der Operettenausstattung von Tempelritter, Freimaurer und Outdoor-Athlet die historische Bühne. Es ist nicht nur die entsetzliche Tat, es ist auch diese falsche Remineszenz an eine vergangene Epoche und ihre Idiosynkrasien, die Breivik als Nationalisten bloßstellen.

Denn um nichts anderes handelt es sich hier: um einen nationalistischen Terrorismus, der das Fanal zum herbeigewünschen Volksaufstand setzt, zur Deportation der muslimischen Bevölkerung und zum Erschießen der Linken.

© Wolfgang Koch 2011

 

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