vonWolfgang Koch 18.08.2011

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Kann man christlicher Fundamentalist sein, ohne fromm zu sein? Gewiss kann man das; Frömmigkeit ist keine Voraussetzung für aggressives Sendungsbewusstsein, für antidemokratische Affekte und Letztgültigkeitsansprüche.

Wir kennen das von den arabischen Hijackern von 2001, die aus Fanatismus die westliche, freiheitsliebende Welt mit Passagierflugzeugen zu zerstören trachteten: diese mutmaßlichen Selbstmordattentäter waren keine Männer von Traurigkeit; sie gestanden ihren Vermietern ein Faible für mexikanische Frauen ein und tranken exzessiv Alkohol.

Über den Anführer Mohammed Ata wurden handfeste Sex- und Drogeneskapaden in Florida berichtet – warum soll da ein christlicher Fundi nur Wasser schlürfen dürfen?

Für die katholischen Theologin Saskia Wendel, benutzt  Breivik das Christentum nur »um eine europäische Identität zu konstruieren«. Er misst der römischen Papstkirche die Funktion zu, Schwert im Kampf um ein nationales Europa zu sein.

Allerdings ist in Breiviks Augen der amtierende Papst kein Kreuzzugs-Führer, sondern angekränkelt vom Liberalismus. »Breivik«, so Wendel, »fordert nicht nur eine Revitalisierung des Christentums, sondern auch eine konservative Revolution der katholischen Kirche. Er will die Öffnungen, die das Zweite Vatikanum in den 1960er-Jahren vollzogen hat, rückgängig machen und den alten Exklusivismus ins Recht setzen. Extra ecclesiam nulla salus: Die katholische Kirche ist die einzig wahre Kirche. Er kritisiert ihr Bekenntnis zur Religionsfreiheit und die Öffnung zum Islam«.

Für die Theologin sind das alles klassische Topoi des katholischen Traditionalismus. »Breivik hat zutiefst antimoderne Einstellungen etwa zur Abtreibung, zur Empfängnisverhütung, zur Geschlechtergerechtigkeit. Deshalb polemisiert er auch gegen Frauenordination und gegen die Anerkennung von Homosexualität durch die Kirche. Er lobt den Reichtum der Liturgie und die apostolische Sukzession, setzt die Autorität des katholischen Lehramtes gegen beliebige Deutungen der Schrift und betont die Unfehlbarkeit des Papstes«.

Vielleicht aber ist der Mann nur Christ, um mit einer großen Erzählung aufwarten zu können, um einen neuen revolutionären Mythos in die Welt zu setzen? –  Slavoj Žižek konzendiert dem norwegischen Kampfbeter überhaupt nur »ein säkularer Agnostiker« zu sein: »Das Christentum ist für ihn lediglich ein kulturelles Konstrukt, um sich dem Islam zu widersetzen«.

Ist der »christliche Konservatismus«, den Breivik auf seine Kriegsfahne heftet, also nur ein taktischer Schlachtruf? Mit Sicherheit ist das so. Breiviks Einflüsterer Peder Jensen alias Fjordman trat als »nichtreligiöse Person» für eine Wiederbelebung des Europäischen Christentums ein.

»Ich glaube an eine Kirche, die an Selbstverteidigung glaubt und die bereit ist zum Kampf für ihre Prinzipien und Werte«, lesen wir in der Bekennerschrift. Hier konstruiert einer einen Mythos in Hinblick auf den kommenden Aufstand.

So einer wird niemals erkennen, dass die Augen der Christenheit gegenüber anderen Kulturen viele Jahrhunderte mit Blindheit beschlagen waren; so einer möchte sie ein für alle mal ausstechen.

Breivik begann seine Vernichtungswerk im Plauderton eines sympathischen Bekenntnisses. Dabei wollte er zeigen, dass er nur ehrenhafter Durchschnitt ist, nicht ständig im Kampfanzug durch die Strassen hetzt. Breivik bezeichnete sich selbst als »100prozentigen Christen«, der zunächst mäßig religiös gewesen sei, später Agnostiker und nun wieder mäßig religiös.

Für die lutherische Kirche Norwegens, in die er im Alter von 15 Jahren durch die Taufe aufgenommen wurde, hat der Attentäter nur Spott und Verachtung übrig. Die »Mehrheit der Protestanten, mich eingeschlossen, haben allen Respekt vor der evangelischen Kirche verloren«, schreibt er. Die Schuld daran trügen die intoleranten Tugendwächter der Political Correctness: sie, so Breivik, hätten die höhere Geistlichkeit fest in ihrem Griff.

Ziel des Befreiungsfeldzugs: die heutige Führungsschicht der christlichen Institutionen soll ausgewechselt, die evangelische Kirche zerstört werden, ihre Mitglieder sollen zum römisch-katholischen Papstglauben konvertieren und eine europäische Einheitskirche bilden.

Auch nach Reinhard Bingener, einem weiteren Analytiker der Breivik’schen Märchenwelt, hat das ideale Christentum für den Mann gar keinen religiösen Zweck, als den, als kulturelle Klammer für ein wehrhaftes Abendland zu dienen. Und er fügt hinzu: »Als christlicher Fundamentalist kann Breivik auch deshalb nicht gelten, weil er sich in seinem 1.518 Seiten starken Schriftenkonglomerat so gut wie gar nicht darum bemüht, seine Ansichten aus der Bibel heraus zu begründen, was das wichtigste Kriterium für Fundamentalismus wäre«.

Rigoros Christsein, Fundi-Bonität, Endzeit-Erleuchtung genießt heute nämlich nur, wer a] auf die Irrtumslosigkeit der Bibel besteht, sowie b] auf leibliche Auferstehung und c] auf den Sühnetod Christi. An solchen Feuerzungen der christlichen Graswurzelbewegung zeigt Breivik in seinem Opus keinerlei Interesse.

Fazit: Breivik ist Christ, aber weder ein »christlicher Konservativer«, noch ein »christlicher Fundamentalist«. Auch wenn uns das Wort noch schwer über die Lippen kommt: dieses evangelische Kirchenmitglied im Ila-Gefängnis in Baerum ist ein christlicher Terrorist – völlig ungeachtet der Tatsache, dass er sich in der Theorie taktisch zum Christenglauben verhält, und in der Gefängnispraxis therapeutisch.

© Wolfgang Koch 2011

 

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