vonWolfgang Koch 05.08.2011

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Ich kann Ihnen jetzt schon versichern, dass das deutsche Unwort des Jahres 2011 »Hassblog« heißen wird. Das schließt sich nahtlos an die Selbst- und Fremdbezeichnung der Taliban und al-Qaida-Terroristen von 2001 an: an den Gotteskrieger, und es macht die dazwischen liegenden »notleidenden Banken«, die »Ich-AG« und das »Humankapital« vergessen.

Was ist ein Hassblog? Zunächst nichts als die Steigerung eines nicht moderierten Internetforums, das unter dem Vorwand der freien Meinungsäußerung bewusst oder fahrlässig bedenkliche Kommentare zulässt. Dazu zählen auch alle Blogs, die sich als Aggregate verstehen, also nur Beiträge von anderen sammeln und publizieren.

In der gestrigen Ausgabe der Berner Zeitung fand sich ein Artikel über Breviks Lieblingsautorin Bat Ye’or, die in der Schweiz lebt. Die Kommentare auf der dazugehörigen Website des Mediums hielten sich keine sieben Zeilen beim Gegenstand des Berichtes auf.

Ein gewisser Andy Meier behauptete zunächst: Bevor die Schiesserei auf der Insel begonnen hat, haben mehrere führende Politiker der sozialistischen Partei die Insel verlassen. Sie wurden vom Geheimdienst gewarnt, nahmen aber das Utoya Shooting in Kauf zwecks Stimmenfang.

Und weil auf den Unsinn gleich vier Kommentatoren eingingen, setzte Andy Meier noch eines drauf: Bei uns in der Schweiz nehmen die Muslime mit »Allahu akbar« das Handy ab. Das krächzen die Muslime immer, wenn sie ein Attentat begehen wollen oder sich im Krieg befinden. Wann werden die endlich repatriiert?

Ich möchte mal fragen, warum Zeitungsredaktionen (inklusive der taz) solchen Idiotien überhaupt Raum geben. Von einer Diskussion kann bei derart hasserfüllten Äußerungen und deren Erwiderung keine Rede sein. Diese Wortmeldungen sind doch gezielte Provokationen, die kein Redaktor auf einer Leserbriefseite abdrucken würde.

Warum also lassen die online-Redaktionen das dann aber zu? Um mit beliebig tiefen Leserreaktionen große öffentliche Aufmerksamkeit für die aktuelle Zeitungsausgabe zu simulieren? Um eine Leser-Blatt-Bindung zu erzeugen? Oder gar, weil der elektronische Space für den Unsinn kostenlos vorhanden ist?

Ich behaupte, dass solche nicht moderierten Foren die Grundlage sind für den Wahnsinn, der sich unter dem Stichwort »Hassblog« abspielt. Das Hassblog ist ja nichts anderes, als das bewusste Herbeiführung besagter Konfusion. Hier wird die qualitätssichernde Aufgabe einer Printredaktion vollends in ihr Gegenteil verkehrt.

Ein Hassblog ignoriert das eherne Gesetz des Publizierens, das im Papierdruck zu Recht immer noch hochgehalten wird: nämlich dass der News-, Wissens- oder Unterhaltungswert von Geschriebenen durch Bearbeitung (Auswahl, Titelgestaltung, Kürzung) konzentriert und verbessert werden kann.

Im Hassblog »werden in hysterischer, pathologisch fragwürdiger Art und Weise, Angstszenarien propagiert, die auf den ersten Blick so lächerlich erscheinen, dass viele Menschen die Gefahr, die von ihnen ausgeht, nicht ernst nehmen wollen. Doch diejenigen, die als Leser bleiben, radikalisieren sich, wiegeln sich gegenseitig auf, ergötzen sich an Gewaltphantasien und Kommentierungen, die man zu Recht anderswo nicht posten dürfte« (Ario Ebrahimpour Mirzaie in der Wochenzeitung Die Zeit).

Wenn der Fall Breivik etwas Gutes hat, so dies: dass er die enorme Anzahl hetzerischer und bedenklicher Websites der  demokratischen Öffentlichkeit neu ins Bewusstsein rückt. Die Texte des, von Anders Breivik offen verehrten norwegischen Bloggers Fjordman (hinter dem Pseudonym soll sich ein ehemaliger UN-Soldat aus der Region Tröndelag Ende 30 verbergen), finden sich in deutscher Übersetzung bei »As der Schwerter«.

Unter den extremistischen Spukplätzen in Deutschland verzeichnet PI Politically Incorrect nach eigenen Angaben sogar einen Massenzulauf. Aber die Liste ist noch viel länger. Vom antiislamistischen Endkämpfer Michael Mannheimer führen die Spuren zur BPE Bürgerbewegung PAX EUROPA, EuropeNews und der kuriosen Initiative 1683, die Deutschland und England gemeinsam zum Krieg gegen die »Barbaren« verpflichten will.

Es meine bitte niemand, dass er auf einer dieser Sites an einem offenen, gleichberechtigten Diskurs teilnehmen kann. Die Islamophobie hat zum Aufbau eines sektenähnlichen Netzwerkes über ganz Europa geführt, das keinen Widerspruch duldet. Der Neonazismus mit Runen und Reichsflagge ist irgendwann unbemerkt entschlafen; heute haben wir es mit einer wahren Gefühlsaufwallung zu tun, die die Zuwanderung aus dem Süden in ganz Europa weckt.

Das neue Gespenst heißt Überflutung, »Invasion« – ein Begriff, der an ein Hereinbranden moslemischer Horden denken lässt. Die Hassblogs wettern bedenkenlos gegen die »schleichende Islamisierung«, während die Nord-Süd-Grenze in Europa unablässig verstärkt wird (in Griechenland hebt man gerade einen Graben gegen illegale Migranten aus der Türkei aus).

Die intellektuellen Flagschiffe der antiislamistischen Bewegung im Internet heißen »Gates of Vienna«, »New Right« und »Sezession im Netz«. Welches Ausmaß die verbale Verkriegerung bereits annimmt, und wie wenig die Scharfmacher nach dem Massaker von Oslo bereit sind von ihrer Lynchmentalität ablassen, zeigt »Nürnberg 2.0«.

Nürnberg 2.0 ist eine Initiative, die ihre Aufgabe darin sieht, »die Verantwortlichen zu benennen«, konkret: diese Politiker, Journalisten, Wissenschaftler, Künstler »zu einem geeigneten Zeitpunkt, nach dem Muster des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals von 1945, öffentlich für die Islamisierung Deutschlands zur Verantwortung zu ziehen«.

© Wolfgang Koch 2011

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/breivik-kommentare_wir_alle_wollen_von_nuernberg_20_angeklagt_werden_8/

aktuell auf taz.de

kommentare