vonHeiko Werning 12.08.2011

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Wenn, sagen wir, ein heutiger, topaktueller Nazi mit der Mauser seines Großvaters in eine Synagoge ginge, um dort so viele Menschen zu erwischen, wie er kriegen kann, dann wäre es sicher nicht unberechtigt, von einem Verrückten zu sprechen, einem durchgeknallten, ja, vielleicht auch: Einzeltäter. Trotzdem würde die Überraschung sich in Grenzen halten, wenn die Eingebung, einen Schwung Juden zu töten, nicht einfach mal nur so in seinem, nennen wir es der Einfachheit halber mal: Kopf plötzlich erschienen wäre, sondern wenn sich hinterher herausstellte, dass der Mann vorher jahrelang allerlei Werturteile über das Judentum gelesen hat, die dieses nicht unbedingt im günstigsten Licht erscheinen ließen. Wäre immerhin möglich.

Täte ein zottelbärtiger Islamerer dasselbe, wäre auch hier vermutlich rasch ein Literaturverzeichnis aufzufinden, das eine gewisse Nähe aufzeigt zur antisemitischen Traditionslinie von Mufti Mohammed bis zu Ayatollah Ahmadidingsda oder wer auch immer das ewig gleiche Lied vom bösen Juden in ihm besonders genehmen Tönen singt. Wenn der Mann gut integriert ist, hätte er womöglich auch einen Möllemann-Gedächtnissticker dabei oder die Positionspapiere irgendwelcher Parteisoldaten von der Linkspartei.

So gesehen ist die erbitterte Debatte darüber, ob das publizistische Wirken von Henryk M. Broder, Thilo Sarrazin und ihren Fanboys von den Kommentatoren bei „Bild“ und „Welt“ bis zum spätestens jetzt berühmt gewordenen Blog „Politically Incorrect“, das von minderwertigkeitsbekomplexten Kleinbürgern mit eingeschränkter Sprachkompetenz und einer Phobie vor schnauzbärtigen Männern mit Dönermessern zusammengeschraubt wird, Einfluss auf den Oslo-Terroristen hatte, ziemlich absurd. Ohne eine von Hunderten eifernder Autoren zusammenfantasierte und von Millionen Dummbeuteln geglaubte und weiterverbreitete Wahnwelt einer Islamisierung des Abendlandes, der Dominanz des, wie Broder es noch vor wenigen Tagen in seiner so gern gelobten Humorigkeit und Eloquenz formulierte, „linksreaktionären Gutmenschenpacks“ sowie den, haha, linken Mainstreammedien, die lustigerweise aber ja immer genug Zeilen und Sendezeit zur Verfügung haben, dass einer wie Broder mit dem immergleichen Aufguss seiner dreieinhalb Gedankengänge gut davon leben kann, ohne diesen auf allen Kanälen immer wieder befeuerten Unsinn also wäre Anders Breivik wohl kaum auf die Idee gekommen, seine ganz eigene Agenda des zivilgesellschaftlichen politischen Engagements zu entwickeln.

Gut möglich aber, dass er, gäbe es den islamophoben Massenchor von der „Achse des Guten“ bis zu „Welt“ und „Spiegel“ bzw. ihre internationalen Pendants nicht, stattdessen vielleicht mit der Wumme bei der nächsten Klimakonferenz aufgetaucht wäre, weil er denselben Leuten dann eben den Quatsch von dieser anderen Verschwörung geglaubt hätte, nämlich jener der Klimaforscher, die zur Steigerung der Werthaltigkeit ihrer Windmühlen eine ziemlich raffinierte Theorie der globalen Erwärmung erfunden haben. Dann allerdings würden wir jetzt schon wieder über Broder und sein Gesinde sprechen, denn aus irgendeinem Grund, der in der bisherigen Erörterung der rechtspopulistischen Psyche wenig diskutiert wurde, sind Islamophobe ja immer auch Klimaskeptiker.

Aber natürlich ebenfalls denkbar, dass Breivik ohne den Einfluss der Islamhasser sonst zum nächsten Kindergarten, in den Kleingartenverein oder zum örtlichen Fußballclub gegangen wäre, je nachdem, welche Stimmen ihm was eingeflüstert hätten. Und dort gemassenmordet hätte. Vielleicht hätte er dort aber auch einfach ein Ehrenamt übernommen oder einen eigenen Schrebergarten angelegt und sich darauf beschränkt, mit Hacke und Gift gegen die Einwanderung von Unkraut zu kämpfen, das seine Beetkultur zersetzt, wie die Mehrheit der weltgeschichtlich unauffällig bleibenden Psychopathen sonst auch.

Auch wenn also für Breiviks Massaker das weit verbreitete Gejammere über den Islam die notwendige Bedingung ist – hinreichend ist sie natürlich nicht. Jetzt also Broder eine Mittäterschaft zu unterstellen, ist argumentativ genau auf dem Niveau, das Broder selbst am liebsten pflegt, weshalb man tunlichst die Finger davon lassen sollte. Denn eben jene Wer-hat-Angst-vorm-bösen-Imam-Fraktion arbeitet ja genau so, indem sie halt direkt von Mohammed (Prophet, historisch) zu Mohammed (Terrorist, rezent) herleitet. Oder vom Koran zu irgendwelchen wirren Al-Kaida-Manifesten. Dass der Spieß nun sozusagen umgedreht wird, löst verständlicherweise eine gewisse Schadenfreude aus und ist in gewisser Weise auch hilfreich, weil es den Schmonsens der Argumentationsmuster der chronisch-redundanten Islamhetze offenlegt, die ja eben doch nur spezialisierte Xenophobie ist. Und Dutzende Kommentatoren haben das jetzt lustvoll mal mehr, mal weniger gelungen an Broders eigenen Texten durchexerziert.

Man kann es ja auch endlos weitertreiben: Wie Broder und seine Freunde es nun also vehement von sich weisen, ihre Ideologie der Islamkritik führe zu Terrorismus, nur weil ein ein Terrorist mal Islamkritiker war, während sie jahrelang darauf bestanden haben, die Ideologie des Islam führe zu Terrorismus, nur weil die dann aktuellen Terroristen vorher halt herumislamert haben. Wie sie sich früher darüber lustig machten, wenn Einzeltäter als Einzelfälle bezeichnet wurden und dafür gerne, witzigwitzig, ein hochgestelltes „TM“ an das Wort „Einzelfälle“ hingen, und wie sie jetzt panisch selbst darum bemüht sind, Breivik zum Einzelfall zu erklären, und dabei ist ihnen der Markenschutz plötzlich schnurz.

Entsprechend putzig wirken die Verteidigungsversuche der Sonst-so-Großmäuligen, die eher hilflos ihren beständigen Aggressionsmodus auch in die Defensive mitnehmen. So bemüht Broder sich umständlich unter Zuhilfenahme der Biographie von Tucholsky, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften, mit dem eher niedlichen Kernargument, andere Schriftsteller würden sich so sehr nach Anerkennung sehnen, dass sie jetzt neidisch auf ihn, Broder, seien, weil er wenigstens wahrgenommen worden sei, wenn halt leider auch von einem Terroristen. Das soll vermutlich eine dieser Pointen sein, derer der Mann sich rätselhafterweise gerne rühmt. Aber Mario Barth findet sich am Ende womöglich auch lustig.

Natürlich spielt es aber letztlich keine Rolle, wen Breivik zitiert hat. Dass irgendwelche Verrückten den Stuss glauben, den Broder so schreibt, dafür kann Broder selbst ja schließlich nichts, das muss man ihm schon zugutehalten.

Und Broders Kritiker wären gut beraten, den Ball flach zu halten, denn sollte irgendein irrer Islamerer demnächst auf die Idee kommen, seine ganz persönliche Allah-Paranoia nicht mehr an dänischen Witzzeichnern, sondern an deutschen Witzfiguren auszuleben und mit dem Hackebeil in Wilmersdorf einzufallen, dann hätten sie nämlich sofort das gleiche Problem an der Backe. Theo van Gogh lässt schön grüßen.

Es reicht aber doch auch völlig aus, dass Broder, Sarrazin & Co. das gesellschaftliche Klima so vergiften, dass muslimische oder auch nur muslimisch angenommene Migranten sich zunehmender pauschaler Verunglimpfung und beständiger alltäglicher Diskriminierung ausgesetzt sehen. Denn dafür sind diese publizistischen Mainstreamer mit dem Anti-Mainstream-Impetus selbstverständlich mitverantwortlich, und das ist schlimm genug.

Womöglich hat Broder sogar Recht, wenn er nun schreibt: „Er hätte seine Tat auch dann begangen, wenn ich mein Leben lang nur Bastelbücher geschrieben hätte.“ Vermutlich ist Anders Breivik ihm zumindest in diesem einen Bereich aber klar zuvorgekommen: Wie man Autobomben und Sprengsätze bastelt, um das linksreaktionäre Gutmenschenpack zu erledigen, hat er ja schon hinlänglich zu Papier gebracht.

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