vonMargarete Stokowski 14.10.2012

Buchmesseblog

taz-Autor*innen bloggten live von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Ein Schmöckerladen für Buchliebhaber*innen.

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Mein Lieblingsbuch der Messe. Mitgenommen ins Hotelbett.

Also, wovon ich bisher nicht die Ruhe hatte zu berichten: Die Lesung am Mittwochabend im Steinernen Haus. Fee Katrin Kanzler und Britta Boerdner stellten ihre Romandebüts vor: „Die Schüchternheit der Pflaume“ und „Was verborgen bleibt“, beide erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt.

Britta Boerdners Buch hab ich nicht gelesen, aber mit der „Schüchternheit der Pflaume“ bin ich ungefähr zur Hälfte durch und ganz bezaubert.

Okay, ein bisschen davon entzaubert sich auf der Lesung, weil Fee Katrin Kanzler gar nicht überm Boden in einer Glitzerwolke schwebt, wie ich dachte. Das Buch ist so irrsinnig poetisch, dass ich dachte, das muss eine Elfe geschrieben haben. Ist aber auch gemein mit dem Namen, wie soll man denn das nicht so assoziieren.

Vielleicht sollte man, bevor man dieses Buch liest, alle Fenster schließen und alle elektrischen Lichter ausmachen und eine Kerze anzünden. Irgendwie so etwas. Außerdem alle schmutzigen Wörter aus dem eigenen Kopf raus scheuchen und Ohrwürmer verabschieden. Und den Kaugummi raus nehmen. „Die Schüchternheit der Pflaume“ von Fee Katrin Kanzler ist so voller Sinneseindrücke und Empfindungen, die in unglaublich poetische Sprache gefasst sind, dass man es ansonsten nicht aushält. Man darf es auf keinen Fall in der U-Bahn lesen.

Wer den Alltag mitnimmt in diesen Roman, denkt schon auf der ersten Seite: Geh weg. Das ist zu viel. Zu viel Empfindsamkeit und Feinfühligkeit, Kitsch, Kitsch, Kitsch! Und dann liest man weiter. Weil man nicht anders kann. Und denkt: Oh. Oh. Oh.

Ehrlich gesagt, haben mich die ersten Seiten sehr an die Ästhetik des Zeit-Magazins erinnert, das hat mich gestört. Diese Mischung aus Hochkultur und Kleinigkeitenkult. Pflaumenhaut, Mozarts Requiem, eine Kaffeepackung, Latein, eine Cocktailparty auf Eichenparkett, der Mond, der Samtbezug auf einem Hocker, verschiedene Nagellackfarben. Dann aber mischte sich immer mehr Leben in die Erzählung, und ich verliebte mich ein bisschen in das Buch. (Im Zeit-Magazin kommt ja dann auch irgendwann das Sudoku und das Rätsel. Das Beste, meistens. Nicht immer.)

„Die Schüchternheit der Pflaume“ ist eigentlich kein Roman, sondern ein Gedicht auf 318 Seiten. Es ist so voller ungewohnt fragiler und bildreicher Sprache, dass man beim Lesen fast reizüberflutet wird. Ein Sinnesporno. Im positiven Sinne.

Die Ich-Erzählerin ist eine junge, bekannte Musikerin, deren Namen man nicht erfährt, und die einfach ihren Tag erzählt. „Sie weiß ihren Namen selbst nicht“, sagt Fee Katrin Kanzler auf der Lesung. (Ich musste ein bisschen an Sophie Hunger denken.) Und, dass ihre Hauptfigur „schon etwas psychisch angeknackst“ ist, ein „überfettes Ego“ hat und „eigentlich nicht sympathisch“ ist, so wie sie sich „bei den Männern bedient“. Ehrlich gesagt finde ich sie bisher sehr sympathisch, aber vielleicht hab ich auch noch nicht weit genug gelesen. Ich liebe die Szene in den Kapiteln „Mandelseife“ und „Kirschkerne“, wo sie auf einen ihrer Männer sauer ist und ihm einen Bleistift in die Brust rammen will, dann aber doch nur seine Brusttasche vom Hemd abreißt („Das ist besser.“) und mit ihm in der Badewanne Sex hat. „Dein Sperma wirbelt als kleiner Cirrus durch den Abfluss.“

Ob es schwierig gewesen sei, die Figur nach dem Schreiben loszulassen, fragt die Moderatorin der Lesung. „Nee“, sagt Fee Katrin Kanzler, „es hat eher gut getan.“ Vier Jahre habe sie an dem Buch geschliffen, dann sei es gut gewesen, es abzugeben.

Ja, das war gut, weil jetzt kann ich es lesen.

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https://blogs.taz.de/buchmesse/2012/10/14/jetzt-mal-in-ruhe-die-schuchternheit-der-pflaume/

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