vonMargarete Stokowski 08.10.2014

Buchmesseblog

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Noch ’ne Finnin: Johanna Sinisalo hat einen Roman geschrieben, der ähnlich toll ist wie der von Sofi Oksanen und doch sehr anders. „Finnisches Feuer“ ist eine Satire auf den Überwachungsstaat, auf Gesundheits- und Schönheitswahn und auf sexistische Normen, verpackt in eine ziemlich durchgedrehte Geschichte über Chilis als Drogen. (Ich hab das Buch für die Literarische Welt besprochen, die diesen Samstag erscheint.)

Im Gespräch mit Stefan Moster, der das Buch auf Deutsch übersetzt hat, hat Johanna Sinisalo heute ihr Buch im Finnland-Pavillon vorgestellt.

Sie erzählt von zwei Schwestern, Vanna und Manna, die im dystopischen Finnland von 2016 zu verschiedenen Arten von Frauen gehören: Manna nimmt am Paarungsmarkt teil, Vanna nicht. Als Manna verschwindet, macht Vanna sich auf die Suche nach ihr. Vanna ist Capserin, d.h. sie ist abhängig von Capsaicin, dem Stoff, der Chilis scharf macht. Chilis aber sind verboten, denn Finnland ist eine „Eusistokratie“, in der alles verboten ist, was das Nervensystem anregt oder ungesund ist: Kaffee, Alkohol, Zigaretten, Handys, die strahlen. Während Vanna Manna sucht, gerät sie zusammen mit ihrem Freund und Dealer an eine Ökosekte, die versucht, die ultimative Chilisorte zu züchten, um der Welt im Rausch zu entfliehen.

Dabei parodiert Sinisalo wunderschön die Muster, die in sexistisch strukturierten Gesellschaften wirken: Die paarungsbereiten Frauen müssen staatliche Kurse besuchen, in denen sie männerfreudliches Verhalten lernen, sie tragen staatliche Kleidung und benutzen staatliche Kosmetik und lächeln den ganzen Tag. Intelligenz und Durchsetzungsvermögen wurden ihnen rausgezüchtet.

Warum so eine scharfe Kritk – ist Feminismus in Finnland nicht ohnehin schon Staatsräson?, fragt Stefan Moster. Nicht ganz, sagt Sinisalo, es gibt immer noch Männer, die Frauen wie Gegenstände betrachten, die man besitzen kann und die möglichst immer Lust auf Sex haben sollen, dazu schön und schlank sein und die Klappe halten – genau das Bild stellt sie in extremer Form in ihrem Roman dar.
Auch die Kritik am Gesundheitswahn konnte sie sich nicht verkneifen, erzählt Sinisalo. In Finnland gibt es immerhin in einem Ministerium eine Arbeitsgruppe, die auf ein rauchfreies Finnland hinarbeitet. Generell finde sie den skandinavischen Wohlfahrtsstaat gut, aber sie fragt sich: Wo ist die Grenze, an der der Einfluss des Staates zur Diktatur wird?

Am Ende empfiehlt Johanna Sinisalo noch ihre liebste Chilisorte, die Habanero. Die sei feurigscharf mit fruchtigen Noten. Aber es gibt so viele tolle und unterschiedliche Chilisorten, sagt sie, das ist wie mit Wein.

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https://blogs.taz.de/buchmesse/2014/10/08/johanna-sinisalo-verbotene-fruchte/

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