vonMargarete Stokowski 08.10.2014

Buchmesseblog

taz-Autor*innen bloggten live von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Ein Schmöckerladen für Buchliebhaber*innen.

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Sofi Oksanen ist so ziemlich der Star dieser Buchmesse. Sie hat gestern als Vertreterin des Gastlandes Finnland die Eröffnungsrede gehalten und über Finnlandisierung gesprochen. „Die mit den Haaren“, hat taz-Kollegin K. sie genannt. Genau, die mit den Haaren, mit den Dreadlocks, die in jedem Text über Oksanen erwähnt werden. Siehe Foto.

Sofi Oksanen stellt bei der Zeit ihren Roman „Als die Tauben verschwanden“ vor, den ich für fluter.de rezensiert habe. Sobald der Text online ist, werde ich den nachträglich hier verlinken. (Wenn ich, ähm, dran denke. <— ha!)

Es geht um Estland in den 40er und 60er Jahren und darum, wie dieses kleine Land an der Ostsee erst von den Russen, dann von den Deutschen und dann wieder von den Russen besetzt wurde. Oksanen – die selbst halb finnisch, halb estnisch ist – verfolgt die Lebensgeschichten zweier Paare, beginnend im Zweiten Weltkrieg: Roland, der Widerstandskämpfer, und seine Verlobte Rosalie, die plötzlich stirbt; und Juudit und Edgar. Edgar ist Kollaborateur, er schlägt sich immer wieder auf die Seite der Machthaber und versucht überall zu profitieren, er lügt, fälscht und verrät. Juudit, seine Frau, wäre ihn spätestens seit der Hochzeitsnacht gerne los.

Vor allem Edgars Werdegang wird von Oksanen gründlich beleuchtet. “I was tempted to stay with every character of the book”, sagt Sofi Oksanen, sie sei dann aber bewusst beim “nasty guy” Edgar geblieben, weil er als Kollaborateur derjenige war, dessen Geschichte sie am spannendsten fand: Für die Recherche hat sie sehr viel in Akten und Memoiren gelesen – und dabei auch geübt, mit Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg zu schießen –, aber die Memoiren, die es gibt, werden meistens nicht von denen geschrieben, die die Seiten gewechselt haben: „The collaborateurs are not the ones to write their memoirs.“

Sofi Oksanen fragt sich, ob Deutschland ein bisschen hinterher ist, was die Rechte Homosexueller betrifft: Ihr Roman sei bisher in rund 20 Sprachen übersetzt worden, aber nirgendwo habe man in den Rezensionen so viel darüber gesprochen, dass die Figur Edgar schwul ist. Oksanen sagt, es sei ein Entwicklungsschritt im Engagement für die Rechte Homosexueller, zu erkennen, dass auch homosexuelle Menschen gut oder schlecht sein können – genau wie alle anderen auch.

Die Moderatorin, die auf Englisch immer Estland statt Estonia sagt, fragt Oksanen, ob sie Angst habe, weil sie sich oft politisch äußert und z.B. Kritik an Russland übt. Angst wovor, fragt Oksanen. Naja, sagt die Moderatorin, gestern jährte sich ja die Ermordung von Anna Politkowskaja im Jahr 2006. Nein, sagt Oksanen, sie habe keine Angst vor Russland, sie habe nur Angst um die Menschen, die dort leben.

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