vonMargarete Stokowski 11.10.2014

Buchmesseblog

taz-Autor*innen bloggten live von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Ein Schmöckerladen für Buchliebhaber*innen.

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Die wunderbare Gertraud Klemm darf mit ihrem Debütroman „Herzmilch“ nicht unerwähnt bleiben. Klemm, die 1971 in Wien geboren ist, hat in diesem Jahr den Publikumspreis beim Bachmannpreis bekommen und nun auf der Messe ihr neues Buch vorgestellt. Ich hoffe, dass ich das noch für die taz ordentlich rezensieren kann, hier aber schon ein paar Eindrücke.

Die Bachmannjury fand den Text „sehr kunstvoll rhythmisiert“ und  eine „atemlose Anklage“, mit Bildern, die „überraschen, weil sie aus dem Hinterhalt kommen“. Außerdem „sehr schön“ und „bösartig“. Ja, ich stimme überall zu.

Bösartig ist Gertraud Klemm, weil sie wütend ist, wütend auf Strukturen, die ihrer Erzählerin das Leben schwer machen.

Schon der Prolog ist wunderschön:

„Ich träume Frauen, die wie Lurche an Land gehen und atmen lernen. Wie sie die Luft genießen und die Sonne. Wie sie in knackige Blätter beißen und genüsslich den Bauch auf den warme Sand drücken. Sie spazieren im feinen Luftzug und lecken sich übers Auge, wenn ihnen ein Sandkörnchen hineinkommt. Aber am Ende des Traums kehren sie immer wieder ins Wasser zurück.“

„Es ist einfach ein Buch, aber auch eine feministische Öffentlichkeitsarbeit“, sagt Klemm. Ihre Protagonistin wächst in bürgerlichem Umfeld auf und spielt als Kind lieber mit Käfern als mit vermeintlichem Mädchenkrams.

„Ich will zeigen, wie jemand als Mensch auf die Welt kommt und dann zum Mädchen wird“, sagt Klemm, „das ist etwas, das sehr viel mit Aussehen zu tun hat.“

Klemms Protagonistin will zwar gern „einen schönen Zopf“ haben – aber dazu lieber die Freiheit der Jungs („Buben“) als die Eingeschränktheit er Mädchen. Sie will ihren Rotz hochziehen können und nicht lächeln müssen. Sie merkt, als ihre Kindheit („mein Leben ist Zitroneneis“) zu Ende geht, dass die Mutter anfängt, sie beim Essen kürzer zu halten. Sie beobachtet die Mutter, wie sie „all diese Arbeit an sich leistet“, die Frisur, das Makeup, die Kleidung: „All das kommt auf mich zu, denke ich dann.“

So begleitet man die Erzählerin beim Älterwerden. Sie hadert mit ihrem Schicksal als Frau und den Rollen, die für sie vorgesehen sind:

„Was kann ich? Was sich in einem Leben so unterbringen lässt, wenn ungeborene Kinder einem den Weg verstellen. Mein Horizont ist nicht frei, weil große Päckchen herumstehen. In den Päckchen sind die Kinder, die ich haben wollen muss. Nicht jetzt, später.“

Als sie selbst eine Freundin besucht, die schon zwei Kinder hat, quillt der Sarkasmus nur so aus ihr heraus:

„Sie empfängt mich an der Türe, hinter ihr wuseln zwei Kinder, sie hat sie knapp hintereinander bekommen, damit sie noch etwas voneinander haben, das habe ich schon gehört, sage ich, soll ein optimaler Altersabstand sein, sie nickt, alles in einem Aufwasch, lacht sie und zeigt ihre weißen geraden Zähne, unverändert, aber sie hat eine komische Frisur, nicht kurz, nicht lang, sie sieht meinen Blick, ein Kompromiss, sagt sie, ich verstehe.“

Sie läuft durch die Wohnung und betrachtet die Fotos an der Wand:

„…Ikea-Wohnzimmer mit Ikea-Bilderrahmen und Fotos darin, Schwerpunkt Dokumentation der Fortp!anzung, die Erzeuger auf Hochzeitsreise, das Erzeugte, beschnullertes Gesicht in Großaufnahme, später mit Sonnenhut in der Sandkiste,….“

Gertraud Klemm schreibt schöne, starke Sätze, ihre Bilder sind witzig oder sperrig, aber immer besonders, „im Korb unter der Arbeitsplatte liegt der Hund mit einem Fell wie aus Schamhaaren. Er ist so fett, dass er aus dem Korb herausquillt.“ Zum Frauenarzt trägt sie „ihre Organe hin“.

Klemm erzählt bei ihrer Lesung, sie habe selbst versucht, aus den Regeln auszubrechen, die für Frauen gelten, sie habe kurze Haare und weite Klamotten ausprobiert – „aber das hat auch was mit Marktgesetzen zu tun“: Man ist dann eben nicht mehr die attraktive Frau. „Man nimmt sich aus dem sexuellen Kontext raus“, sagt Klemm.

Beim Schreiben dachte sie, sie würde vieles von der Wut, die das Buch durchzieht, später rausstreichen – und ließ sie dann doch drin: „Aufmüpfigkeit ist ein Teil von mir und Wut auch.“

Viele Leserinnen hätten sich durch das Buch in ihrem Lebensmodell angegriffen gefühlt, es gab auch Zurückweisungen von Verlagen: „Das hat natürlich auch wehgetan.“ Aber eben auch getroffen.

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https://blogs.taz.de/buchmesse/2014/10/11/gertraud-klemm-wunderbare-wut/

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