vonMargarete Stokowski 15.03.2015

Buchmesseblog

taz-Autor*innen bloggten live von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Ein Schmöckerladen für Buchliebhaber*innen.

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Ich wollte noch von Annika Reichs neuem Roman erzählen: „Die Nächte auf ihrer Seite“, erschienen bei Hanser. Ein Buch, das auf eine sehr eigene Art leicht und komplex ist. Es liest sich einerseits schnell weg, andererseits entwickelt es über die Strecke eine ziemliche Tiefe und strickt sich ins so langsam Hirn ein. Okay, das klingt wie eine dämliche Beschreibung für Weißwein. Sorry. Der Reihe nach.

„Die Nächte auf ihrer Seite“ ist die Geschichte zweier Frauen: Ada, deren Exmann Farid nicht zurückkommen wird, mit dem sie aber längst noch nicht abgeschlossen hat. Sie filmt die Paare, die über ihren Innenhof zur Paartherapie laufen. „Schau dir das an!“ sagt Ada einmal zu Farid, „Zuerst denkt man, es geht um die Liebe, aber wenn man genauer schaut, sieht man, es geht ums Vermeiden.“

Und Sira, Farids Schwester, die sich plötzlich in der arabischen Revolution wiederfindet und sich doch nur als halbe Ägypterin fühlt. Sira war auf den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz dabei und kommt dann, zurück in Berlin, nicht mehr klar. Sie schweigt viel, verliert Haare und nimmt ab. Sie fühlt sich als „Teilzeit-Ägypterin“ – „wie eine Deutsche mit ägyptischer Sommer-Identität. Diese Mischung verlieh ihr in Berlin eine gewisse Attraktivität, aber hier macht sie diese Mischung zu einem politischen Leichtgewicht…“ Ägypten war für sie vorher etwas, wo sie Ferien machte, und dann wird es plötzlich zu einem Ort, an dem neben ihr Menschen sterben. Sie selbst fühlt sich aber nicht genug als Ägypterin, um hier für etwas zu sterben. Erst als sie anfängt, Demo-Parolen ins Englische zu übersetzen, ändert sich ihr Gefühl für diese Revolution: Es wird auch ihre.

Beziehungen sind von außen immer leichter zu beschreiben und zu beurteilen als von innen. Von außen, räumlich und zeitlich. Die Paare, die Ada filmt, sind oft lächerlich. „Hat es auf dem Hinweg noch ausgesehen, als spielen die beiden das Hädchenhalten nur, wirkt es auf dem Rückweg, als imitieren sie sich selbst.“ Sie selbst findet ihr Verhalten gegenüber ihrer Tochter Fanny auch oft erst hinterher falsch: „Wie sehr sie Fanny dabei als Blitzableiter missbrauchten, fiel Ada immer erst auf, wenn Fanny schon schlief.“

Bei beiden Frauen, Ada und Sira geht es, so unterschiedlich ihre Situationen sind, um ihren Platz in der Geschichte und damit in der Welt. Das klingt allgemein, und genau deswegen ist es kompliziert. Ada hat das Gefühl, keine eigene Geschichte zu haben, sondern irgendwie neutral zu sein. Westdeutschland, Rheinland, Krieg lange vorbei, bisschen Kirche.

„Immer nur: Vater, Mutter, Kind. Sie hatte das Weltgeschehen schlicht nicht mit sich in Verbindung gebracht. Sie hatte gedacht, sie sei ein Individuum und die Gesellschaft woanders, sie hatte gedacht, ihre Geschichte hätte mit der Geschichte der Welt nichts zu tun.“

Die Leute aus dem Osten haben Geschichten, findet Ada, die haben die Wende. Erst langsam beginnt sie zu verstehen, dass sie selbst auch nicht außerhalb der Welt steht.

„Hatte sie gedacht, dass Regina eine Geschichte hatte, weil ihre Familie aus dem Osten kam und Sira eine Geschichte hatte, weil ihre Familie aus Ägypten stammte, und sie nur eine Familie hatte, aber keine Geschichte, dann löste sich das gerade in Luft auf. Sie alle drei hatten eine Geschichte, die sie ungeschehen machen wollten.“

Bei Sira ist es nicht einfacher als bei Ada. Einmal sagt Ada zu ihr: „Ich weiß nicht, Sira. Manchmal denke ich, du hast dich als Ägypterin erfunden, vor Tahrir warst du nämlich keine, jedenfalls keine solche.“ Es ist sehr leicht, anderen ihre Identitätssuche vorzuwerfen, wenn man sich selbst nicht die Mühe macht.

Bei Regina, die aus der DDR kommt, ist es auch nicht einfacher. „Wieso wollen eigentlich immer alle hören, wie ich den Mauerfall erlebt habe?“, fragt sie. „Als ob es die Jahre danach nicht gegeben hätte!“ Das regt sie auf.

„Ist schon irre“, hatte Regina hinzugefügt, „euer Kaffeespektrum differenziert ihr bis in den letzten Aromawinkel hinein, und uns lasst ihr genau zwei Optionen: Täter oder Opfer, schwarz oder weiß. Als ob Situationen überall komplex gewesen wären, nur nicht in der DDR. Als ob ein Kaffee mehr Rechte auf sein Spektrum hätte als ich.“

Es schleicht sich, über die Länge des Romans, eine Schwermut ein, wenn man diesen Frauen so beim Leben zusieht. Ich könnte ein Wortspiel mit „schwer“ und „leicht“ und „Mut“ machen, das würde vielleicht passen; ich lasse es.

Das mit dem Mut ist so eine Sache, erzählt Annika Reich, als wir uns zum Kaffeetrinken am taz-Stand treffen. Sie hat das Gefühl, der Spruch „Das Private ist politisch“ wird heute in großem Stil falsch verstanden. Als sei das Private schon politisch genug. Als müsse man sich keine Mühe geben mit der Welt, weil man mit ihr nicht so viel zu tun hat. Deswegen interessierte sie ein „Einbruch des Politischen“ ins Leben, wie bei der Halbägypterin Sira in ihrem Buch.

Um für das Buch zu recherchieren, hat sie in Berlin Zettel aufgehängt: Ich suche dich, Anfang zwanzig, du warst bei den Demonstrationen auf dem Tahrirplatz in Kairo und würdest mir deine Geschichte erzählen. Fünf Frauen meldeten sich, und Annika Reich, studierte Ethnologin, führte Interviews mit ihnen und konstruierte daraus die Geschichte von Sira.

Es ist vielleicht ein typisches Frauenproblem, sagt Annika Reich, dass Frauen denken, sie müssten erst mit sich selbst klarkommen, bevor sie sich an die Welt rantrauen. Erst eine Therapie, dann die Revolution. Erst alles ordentlich machen, dann vielleicht was Richtiges anfangen. Wenn dann noch Zeit ist. Und wenn man sich traut.

Annika Reich: Die Nächte auf ihrer Seite. Hanser, 224 Seiten, 18,90 €.

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https://blogs.taz.de/buchmesse/2015/03/15/annika-reich-leichte-schwermut/

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kommentare

  • Sehr geehrte Frau Stokowski,
    ich heisseMaha El-Askary und bin Dozentin an der Sprachen Fakultaet der Ain Shams Universitaet in Kairo. Gerade schreibe ich einen Beitrag zu einer wissenschaftlichen Zeitschrift ueber die Uebersetzung von Demo-Parolen aus dem Arabischen ins Deutsche. Mir sind Ihre wundervollen Worte aufgefallen „Sie selbst fühlt sich aber nicht genug als Ägypterin, um hier für etwas zu sterben. Erst als sie anfängt, Demo-Parolen ins Englische zu übersetzen, ändert sich ihr Gefühl für diese Revolution: Es wird auch ihre.“ Leider habe ich den Roman nicht und muss meinen Beitrag innerhalb von 6 Tagen abgeben. Vielleicht koennten Sie mir bitte diesen Punkt einbisschen mehr erklaeren oder mir schreiben, warum diese Figur „Sira“ die aegyptischen Demoparolen ins Englische uebersetzen wollte und welche Schwierigkeiten sie dabei hatte. Ich koennte dann Teile Ihrer Renzension vielleicht in meinen Artikel zitieren. Ich waere Ihnen fuer eine baldige Rueckmeldung seeeeehr dankbar.
    LG
    Maha El-Askary

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