In meiner SPON-Kolumne heute habe ich geschrieben, dass ich das neue Buch von Charlotte Roche ein bisschen enttäuschend fand, ein bisschen gut und ein bisschen wie Shades of Grey für Leute mit Thermomix. Charlotte Roche auf dem Blauen Sofa habe ich dann vorhin wegen genau dieser Kolumne verpennt, aber jetzt ist sie nochmal beim Spiegel am Stand, also hin da!
Ihre ersten beiden Bücher hab ich als Hörbuch gehört, und ich fand sie gut, und erst das dritte hab ich auf Papier gelesen, und ach, Mann, ich weiß nicht, es gibt ab und zu so tolle und gute Seiten und dann wieder so schlimme Wiederholungen und Product Placement all over und Klischeekram. (Hier eine Besprechung von Annabelle Seubert.)
Nun also: Interview mit Spiegel-Redakteurin Claudia Voigt (jetzt kommt gleich wieder die Kommentatorin hier, die mir vorgeworfen hat, ich würde jetzt hier im taz-Blog Schleichwerbung für den „hitlerlastigen“ Spiegel machen. Passen Sie auf, gleich kommt noch mehr!).
„Ich kann nur schreiben, wenn ich mich vorher lange genug vom letzten Buch erholt hab“, sagt Charlotte Roche, „das muss alles abgeschlossen sein.“ Überhaupt müsse alles ordentlich sein, und zwar maximalst: Wenn sie ein Buch schreibt, ernährt sie sich gesund, macht Sport und versorgt die Kinder und geht dann zum Arbeiten in ein Architektenbüro, mit Kopfhörern auf – „damit ich deren Estrich-Kram da nicht immer hören muss“ – und dann ist sie ganz bei sich und legt los. „Alle äußere Form muss unerträglich spießig sein, damit ich mir so was ausdenken kann“, sagt sie. Außerdem müsse sie weg vom Internet, weil sie nämlich Spiegel-Online-süchtig ist uns sonst immer da abhängt, oder Serien guckt.
Auf die Idee für das neue Buch kam sie durch einen Zettel im Bioladen, auf dem eine junge Frau – genau wie später im Buch – sich als „Mädchen für alles“ anbot, Babysitter, Haushalt, alles. „Ich fand das so krass“, sagt Charlotte Roche, „weil das ist ja total sadomaso!“ Sie hat dann erst versucht, aus der Sicht des Mädchens für alles zu schreiben, ging aber nicht. Dann also aus Sicht der Frau, die die Babysitterin einstellt, aus Sicht der Arbeitgeberin also. „Das ist näher an mir dran.“
Sie wusste ganz früh, „dass es in dem Buch keinen männlichen Sex gibt“, sagt sie. Warum? „Kein Bock!“ Sie ist sympathisch, wie sie so redet, ich denke fast, ich hab zu unfreundlich über sie geschrieben, aber sie sagt später noch, dass sie eh keine Kritiken liest, um sich nicht verrückt zu machen. Ok.
„Es ist aber auch keine gute Werbung für lesbischen Sex“, das weiß sie auch, und ja, das hat mich gestört. Es ist überhaupt kein Tabubruch oder irgendwas, wenn sich die Ehefrau ausgerechnet die hübsche junge Babysitterin schnappt, auf die der Ehemann eigentlich steht, einfach nur um sie zu besitzen und gegen ihren Mann zu gewinnen. Das ist nicht besser als alles was man so auf Youporn findet, leider. Gemeinsames Duschen und einander Waschen im Fitnessstudio und dabei die Seife „irgendeiner Sportlesbe“ benutzen. Naja. Aber sie sagt ja auch, sie wollte eine „grundsätzlich unsympathische Figur“ entwickelt. Geschafft.
Die Moderatorin fragt, ob Charlotte Roche denkt, was da los ist mit den vielen unsympathischen Figuren in Serien – ob sich das Frauenbild langsam ändere. Ja, sagt Roche, und erzählt von irgendeiner Figur in einer Serie, „die lässt immer so richtig den Bauch raushängen, wie ein Mann, die drückt den richtig raus als wenn sie schwanger wär. Wenn ich so was sehe, dann weine ich vor Freude – und das ist kein Indiefilm oder so!“
Die Rolle der Mutter werde in Deutschland immer noch verherrlicht, erzählt sie, man redet nur über vorgehaltener Hand über Probleme mit der Mutterschaft. Vorher könne man sich gar nicht vorstellen, dass dieses Kind dann immer da ist und nicht mehr weggeht. „Nur mutige Frauen mit dicken Eiern sagen: Ich kotze manchmal so richtig darüber ab!“ Dabei würde das allen helfen, findet sie, den Müttern und den Kindern.
Insgesamt sei ihr feministisches Ziel, vor allem Facettenreichtum zu zeigen: „Alles ist okay.“ Auch eine sehr gute Mutter kann Feministin sein, oder halt eine schlechte Mutter, oder eben alles. „Es muss so sein, dass alles möglich ist – dass eine Frau alles werden kann, egal ob eine traditionelle Rolle oder nicht.“
Ob sie deswegen auch am Ende des Buches mal das Thema Gewalt bei bürgerlichen Frauen aufgreife, wird sie gefragt. Klar. „Frauen sollen nicht immer nur den Mann mit Pilzen vergiften, sondern auch mal zu ner scharfen Waffe oder nem stumpfen Gegenstand greifen.“
Am Ende wird sie noch gefragt, ob Erfolg sie abhängig mache. Mit „Feuchgebiete“, dem ersten Roman, war sie acht Monate oder sowas auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller-Liste. „Man wird wirklich geisteskrank“, sagt sie, „ich dachte, ich sterbe, wenn ich auf die 2 falle.“ Aber jetzt versucht sie das positiv zu sehen mit dem dritten Buch, das unmöglich genauso erfolgreich werden kann: „Das war wahrscheinlich der größte Erfolg meines Lebens und das ist auch befreiend. Ich muss nicht noch so ein Buch schreiben, um was zu essen zu haben.“ Überhaupt habe sie mehr Respekt für sich, seit sie nicht mehr Moderatorin, sondern Schriftstellerin ist: „Ich nehme mich selber ernster und andere mich auch. Fernsehen versendet sich. Aber ein Buch bleibt.“ Sie sei immer Scheidungskind und „Nomadenkind“ gewesen, und „dass ich jetzt ein Buch anfange und auch zu Ende schreibe, das ist das eigentliche Wunder.“ Und das klingt sehr schön und sehr frei, wie sie das sagt.
Alles was von Charlotte Roche geschrieben wurde ist nicht nur leicht und flüssig zu konsumerien bzw im anschluß daran auch zu verarbeiten sondern von einer besonders reichhaltigen Intelligenz ausgestattet. Ich werde mir jedes neue Werk anschaffen ohne auch nur vorher eine Rezession zu lesen!