vonMargarete Stokowski 18.10.2015

Buchmesseblog

taz-Autor*innen bloggten live von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Ein Schmöckerladen für Buchliebhaber*innen.

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Gestern wollte ich eigentlich noch zu einer Lesung, aber zwischen Messehallen und Titanicparty war plötzlich weder genug Zeit noch Kraft noch Wärme (es war so entsetzlich kalt), aber erzählen wollte ich trotzdem noch etwas über das Buch.

„Dich hatte ich mir anders vorgestellt“, von Fabien Toulmé, erschienen im Avant-Verlag. Es ist die erste Graphic Novel, bei der ich weinen musste. Toulmé erzählt von seiner Tochter Julia, die mit Trisomie 21 zur Welt kommt, und wie er sie erst überhaupt nicht annehmen kann und dann langsam lieben lernt.

Als seine Frau schwanger wird, hat der Erzähler Fabien große Angst, dass das Kind eine Behinderung haben wird. Kinder mit Trisomie 21 findet er hässlich. Die Ärzte finden während der Schwangerschaft keine Anzeichen dafür, aber als Julia dann geboren wird, sieht sie irgendwie nicht „normal“ aus. Sie hat einen Herzfehler und Trisomie 21. Für Fabien stürzt eine Welt zusammen, er lässt sich krankschreiben und steht unter Schock. Gleichzeitig ist er wütend auf sich, und wütend auf die Eltern von Kindern ohne Behinderung. Julia will er nicht einmal anfassen, und heimlich wünscht er sich, dass sie stirbt.

Erst bei einem Termin bei einer Genetikerin sieht er mehrere Menschen mit Down-Syndrom in einem Raum versammelt – und merkt, dass sie ganz unterschiedlich aussehen: „‘Die Downies‘ waren keine homogene Gruppe.“ Die Genetikerin empfiehlt, Julia nicht zu verhätscheln, dann werde sie sich besser integrieren können: „Nur weil sie ‚behindert‘ ist, braucht sie keine Sonderbehandlung.“ Fabien beginnt, sich zu entspannen. Er und seine Frau versuchen, Julia genau so zu erziehen wie ihre ältere Tochter Louise, die sich mit Julia ganz problemlos versteht.

Kurz vor Julias Herz-OP merkt Fabien, dass er sich Sorgen um seine Tochter macht – und sie offenbar nun endlich liebt. Er fängt an, sie auf dem Arm zu nehmen, zu baden und ins Bett zu bringen. „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“, sagt er eines Abends zu ihr. „Aber ich bin trotzdem froh, dass du da bist.“

Wenn andere Menschen mit Julia nicht klarkommen, versucht er es mit Humor zu nehmen. Am Strand setzt sich eine Mutter mit ihrem Sohn weg, aus Angst vor dem behinderten Kind. „Keine Angst“, sagt Fabien zu der Mutter, „meine Tochter tut ihm nichts, ihr Boxtrainer hat ihr verboten, sich mit Kindern anzulegen, die kleiner sind als sie.“

Am Ende ist Julia drei Jahre alt, geht in die Kita, „spielt mit Puppen und streitet mit ihrer Schwester, so wie jedes andere Kind auch.“

Das klingt wie ein kitschiges Happy End, vielleicht. Es ist aber erstens gar kein Ende, da Julia ja erst drei ist und ihr noch viel bevor steht. Nur der Erfahrungsbericht ihres Vaters endet hier. Und es ist aufgrund der Härte am Anfang gar nicht möglich, ernsthaft von Kitsch zu sprechen, wo der Weg dahin so schwer und hart und kaum erträglich war.

Fabien Toulmé: „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“, Avant-Verlag, 248 Seiten

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