vonMargarete Stokowski 23.03.2017

Buchmesseblog

taz-Autor*innen bloggten live von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Ein Schmöckerladen für Buchliebhaber*innen.

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Morgens steige ich aus dem Taxi und treffe Ronja. In meinem Taxi saßen Leute von einem Verlag drin, der nicht meiner ist, in Ronjas Taxi saß ein Mann drin mit einer Flasche Rum. Der Mann war auch nicht Ronjas Mann. Willst du auch einen Rum, fragt Ronja, und ja, warum nicht, ist ja schon nach dem Frühstück. Es ist 10:20 Uhr und beim zweiten Rum 10:22 Uhr. Gestern hatte ich überlegt, ob ich mal versuche, eine Messe lang nichts zu trinken.

Ronja und ich haben dann eine Veranstaltung zusammen zum Thema: schlechte Laune. Dachte ich. Aber dann ist es eine Veranstaltung über Wut. Ich hatte vorgeschlagen, dass wir über das Recht auf schlechte Laune reden, weil das ein Bereich ist, in dem Ronja und ich uns überschneiden, aber irgendwie ist es dann doch Wut, und das ist lustig, weil beides ja gar nicht dasselbe ist. Man kann auch gut gelaunt wütend sein oder schlecht gelaunt aber ohne Wut, aber gut, vielleicht ist das egal, weil wir beide beides können, Multitalente wir. Frauen mit bösen Gefühlen. Das Gespräch kann man hier nachgucken.

Dann: Türkei. Die Themen Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit sind auf dieser Messe dauerpräsent, gerade weil einige Leute eben nicht da sein können. Die Romanautorin Aslı Erdoğan war viereinhalb Monate inhaftiert und ist zurzeit unter Auflagen für die Dauer des Prozesses frei. Sie darf die Türkei nicht verlassen, kann nicht zu Festivals oder Preisverleihungen, zu denen sie eingeladen wird, und vor allem kann sie nicht fliehen vor der lebenslangen Haftstrafe, die ihr droht. Eine Auswahl politischer Essays von Aslı Erdoğan ist jetzt auf Deutsch im Knaus-Verlag erschienen: „Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch“.

Auf dem Blauen Sofa sitzt statt Aslı Erdoğan einer ihrer Übersetzer, Oliver Kontny, und Alexander Skipis vom Börsenverein des deutschen Buchhandels. Aslı Erdoğan wird aus dem ZDF-Studio in Istanbul zugeschaltet, das klappt einigermaßen, immerhin. „Es ist für mich die schwierigste Phase in meinem Leben“, sagt sie. Sie ist nicht optimistisch, was die Zukunft angeht. „Ich bin Schriftstellerin, ich habe nur geschrieben.“ Es gehe aber nicht nur ihr so, sagt sie. Tausende andere Leute, aus allen möglichen Berufsgruppen, sitzen im Gefängnis – „mit Anklageschriften, die man sich gar nicht vorstellen kann, oder auch ganz ohne Anklageschrift.“

„In der Türkei ist Schreiben zu einer schicksalhaften Tätigkeit geworden“, heißt es in einem ihrer Texte. „Man kann nicht schreiben, ohne sich seine Hand zu verbrennen“, sagt Aslı Erdoğan heute, „,und die Bedingungen sind jetzt so, dass unsere Hände und unsere Haare brennen.“

Es ist schwer, ihren Text zu hören, den der Übersetzer Oliver Kontny vorliest:

„Ich will nicht Mittäterin sein an dem Grauen, dass ein einzelner, komplett verbrannter Kieferknochen eines zwölfjährigen Kindes in einem Keller gefunden wurde. Und nichts zu tun haben mit den fünf Kilo Fleisch und Knochen, die jemandem mit den Worten ausgehändigt werden: ‚Dies da ist dein Vater.‘ Und nichts zu tun haben mit der Tüte voller Asche, die jemand anderem ausgehändigt wurde mit den Worten: ‚Dies da ist dein Kind.‘ Ich will nichts zu tun haben mit dem schrecklichen Verbrechen an der Mutter, die wochenlang vor einem Krankenhaus wartet, um nur einen Knochen ihres Kindes zu ergattern. Ich will nicht Mittäterin sein an der Ermordung von Menschen, und auch nicht an der Ermordung von Worten, an der Ermordung der Wahrheit.“

Es ist schwer das zu hören an einer Bühne, auf der im Halbstundentakt Neuerscheinungen vorgestellt werden, wo Leute mit Tüten rascheln und auf Laptops tippen – ich auch – und dann weitergehen und Kaffee mit Milchschaum trinken und finden, der Kaffee war mal besser auf der Messe.

Danach irre ich eine Weile blöd rum, sitze im Pressezentrum, versuche zu schreiben, fühlt sich sinnlos an, laufe weiter, trinke Sekt, finde eine Postkarte mit einer Elster, sitze irgendwo rum. Besorge mir das Buch von Aslı Erdoğan, lese, lasse es wieder, laufe weiter.

Treffe Sarah Schmidt, sie sagt, sie hat mein Buch beim Zähneputzen gelesen und fand das meiste gut. „Beim Zähneputzen?“, frage ich. „Ja, immer morgens und abends eineinhalb Seiten oder zwei“, sagt sie. „Eineinhalb Seiten sind drei Minuten“, sage ich, und sie sagt: „Genau. Ich hab sehr saubere Zähne jetzt.“

Strande bei Hanser, wo F. steht und fragt: „Willst du den neuesten Gossip hören?“ Ich sage, ja, und denke, er erzählt mir vielleicht, wer von wem schwanger ist, aber er sagt: „Ich habe gehört, sie erschießen hier die Tauben.“ – „Was?“ – „Sie erschießen die Tauben, die hier reinfliegen in die Messehallen. Wie soll man die sonst rauskriegen? Die scheißen ja alles voll.“ – „Aber meinst du wirklich… sie erschießen sie?“ – „Ich weiß nicht. Man könnte sie ja auch zum Compact-Stand umleiten und dort scheißen lassen, aber ich hab gehört, sie werden erschossen.“ – „Das können die doch nicht machen?“ – „Weiß auch nicht.“

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https://blogs.taz.de/buchmesse/2017/03/23/erster-messetag-brennende-haende-und-die-tauben/

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