vonMargarete Stokowski 24.03.2019

Buchmesseblog

taz-Autor*innen bloggten live von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Ein Schmöckerladen für Buchliebhaber*innen.

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Gegen Ende noch zwei Buchempfehlungen. Die erste hatte ich schon angekündigt: „Erwachsen“ von Jasper Nicolaisen (im Querverlag erschienen), ein Buch, zu dem ich ein Zitat gegeben habe, das sie hinten drauf gedruckt haben. „Ein Buch, von dem man adoptiert werden möchte“, hab ich gesagt. Weil es einfach so gut ist. Das sieht man von vorne erst mal nicht. Weder der Titel noch das Cover sind so, dass man denkt: Darauf hab ich gewartet. Vom Stil her eher so „das Jobcenter hat jetzt auch optisch frische Flyer für die jungen Leute“.

Aber dann. Die Geschichte. Eine der Hauptfiguren ist Thomas, den wir am Anfang auf der Beerdigung seines Partners kennenlernen, und der im Folgenden versucht mit seiner Trauer und überhaupt mit sich selbst fertig zu werden. Weil er sich das alleine nicht so richtig zutraut, sucht er sich Einzelfallhilfe und bekommt sie in Form einer Person, die selbst Einzelfallhilfe bekommt: Spritney Bier, von ihrem eigenen Einzelfallhelfer konsequent als „Herr Bier“ bezeichnet, eine tief religiöse Diva. Eine weitere Hauptfigur ist das Kind, das Thomas mal gezeugt hat, das bei seinen zwei Müttern lebt und von denen nun die Schnauze voll hat. Das würde für eine Geschichte eigentlich schon reichen, aber da haben wir von den Vampir-Connections noch gar nicht angefangen zu reden, die sich irgendwann auftun.

Das mit den Vampiren erklärt auch ein bisschen, warum die Buchpremiere zu „Erwachsen“ in einem Berliner Fantasy-Buchladen stattfand. Am Anfang erklärte Jasper Nicolaisen, dass es okay ist, wenn Leute sich während der Lesung Getränke holen oder rumlaufen: „Ich lese sonst eigentlich für Kinder unter fünf, also ich bin dran gewöhnt, dass Leute einfach aufstehen und weggehen und in der Nase bohren und sagen, dass es langweilig ist.“

Langweilig wird es dann das ganze Buch hindurch aber nicht, so viel kann ich sagen. Stattdessen sehr oft lustig, und irgendwo zwischen liebevoll und wahnsinnig, was sich ja auch gar nicht widerspricht. Irgendwann beim Lesen hab ich mich gefragt, wer eigentlich die Zielgruppe für dieses Buch ist. Könnte mir vorstellen: Leute verschiedenen Alters mit Neigung zu Rollenspielen, aber auch Jugendliche ohne solche Neigung, aber dann wäre ich zum Beispiel gar nicht mit drin.

Habe Jasper Nicolaisen dann selbst gefragt, er sagt, seine Zielgruppe sind: „Bisexuelle Familienväter, die wissen wollen, wie es weitergeht – und alle, die sich mit ihnen rumplagen müssen. Es hilft aber auch schon, wenn man sich dafür interessiert, ob Männlichkeit eigentlich immer so beschissen sein muss. Oder ob sie überhaupt sein muss. Wenn man was Lustiges lesen will und/oder sich für Musik, Fotografie, Familien und schlaues Gelaber interessiert, kann man auch reinschmökern. Halt für alle Fans von Thomas Mann und Valerie Solanas!“

Apropos Fans von Thomas Mann. Zum zweiten Buch: „I’m every woman“ von Liv Strömquist. Das ist vom Cover her für mich persönlich auch kein Knaller, aber insofern egal, als dass ich es mir eh besorgt hätte, weil die beiden anderen Graphic Novels von ihr, „Der Ursprung der Welt“ und „Der Ursprung der Liebe“ (alles avant-Verlag) auch schon gut waren. Alle diese Bücher haben gemeinsam, dass sie einen riesigen Haufen interessanter Fakten aus Kulturgeschichte, Politik, Psychologie so verarbeiten, dass am Ende lustige feministische Comics draus werden und man jedes Mal noch was lernt, auch wenn man dachte, man weiß schon einiges.

Beim ersten (Ursprung der Welt) geht es  um die Kulturgeschichte von Vulva und Menstruation, beim zweiten (Ursprung der Liebe) um verschiedene Ideen zu Beziehungen und Liebe (bisschen schwächer als das erste, finde ich), und im dritten, neuen, unter anderem um den Mythos des männlichen Genies – und die Frauen, die unter diesen Genies litten.

Es geht los mit Karl Marx: „Seine Forderung, dass die Arbeiter aller Länder sich gegen ihre Ausbeuter erheben sollten, hinderte Karl Marx nicht daran, mit seinem Dienstmädchen ins Bett zu gehen. Man kann sich darüber aufregen, dass Karl Marx überhaupt ein Dienstmädchen hatte, aber noch schockierender ist, dass er damit prahlte, sie geschwängert zu haben. Das Dienstmädchen (ihr Name war Lenchen) hatte, gelinde gesagt, keine guten Arbeitsbedingungen. Außer, dass sie während ihrer Arbeitszeit mit Karl Marx ins Bett gehen musste, hatte sie sich auch um seine bettlägerige Frau Jenny Marx zu kümmern.“ – Jenny Marx, die es auch nicht ganz einfach hatte an Karls Seite. Es geht weiter mit Edvard Munch, der sich betrunken in den Finger schoss und dann fand, die Frau an seiner Seite sei daran schuld, weil sie ihn hypnotisiert hätte. Unangenehm.

Ein anderer schöner Comic in dem Buch handelt von zwei schwulen Gänsen in einem Park. Liv Strömquist erzählt, dass viele Leute daraufhin gesagt hätten, „jetzt können endlich alle sehen, dass Homosexualität etwas NATÜRLICHES ist“ – und was an diesem Argument schräg ist: „Die Frage ist: Warum braucht es ein TIER, um ausgerechnet diese Art menschlichen Verhaltens zu legitimieren? (…) Es ist, als würde man beispielsweise nach einem Otter suchen, der Diät macht, damit es OK ist, Diät zu machen.“

Beide Bücher: gute Unterhaltung auf dem Weg zum Ende des Patriarchats.

 

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