vonDonata Künßberg 24.10.2022

Buchmesseblog

taz-Autor*innen bloggten live von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. Ein Schmöckerladen für Buchliebhaber*innen.

Mehr über diesen Blog

Im Außenbereich der Messe hing ein riesiges Transpi, darauf stand: „Wer Bücher liebt, kauft in der Buchhandlung“. Ich finde, das ist eine sehr höfliche Art, „Fick Amazon“ zu sagen. Demgemäß und da ich nicht weiß, welche Buchhandlung ihr nebenan habt, sind hier überall die Verlage verlinkt, falls ihr euch die genannten Bücher vielleicht genauer ansehen wollt. 

In ganz Europa gibt es keinen Schnee mehr, der sibirische Tourismus boomt. Tim hätte sich gerne einen runtergeholt, hat aber noch kein Internet in der neuen Wohnung. In Der Hausmann von Wlada Kolosowa treten Comic, Blog, Tagebuch und Chat als Erzählform nebeneinander auf. Die Nachbarin von oben muss die Rente zusammenhalten und gaunert sich mit Kleinstdiebstälen durch Berlin. Nachbar Maxim kommt aus der Ostukraine, er kann auch keine großen Sprünge machen – alle sind auf eigene Weise mit Armut und Prekarität beschäftigt.

Ich habe das Buch auf dem Weg ins Hotel im Arm gehalten wie ein Baby, die Person hinter mir auf der Rolltreppe kommentierte: „Das ist ein ganz wunderbares Buch, das Sie da haben!“ Ich drehe mich um, es ist Frank Menden, Mitglied der Buchpreis-Jury. Auf Instagram schreibt er über „Der Hausmann“, dass es gerade die verschiedenen Erzählweisen seien, die dem Roman seinen Sog verleihen. Agree! (Folgt ihm dort mal, für seinen buchlastigen Account wurde er schon für den Buchblog-Award nominiert.)

Österreich wird 2023 Gastland der Buchmesse Leipzig

Das sehr schöne Buch, auf ein Geschirrhangerl gebettet. Foto: Screenshot

Was für ein schöner Zufall. Später erzähle ich einem Mitarbeiter vom Leykam-Verlag davon (da ist „Der Hausmann“ erschienen) und zeige ihm den Post von Frank Menden auf meinem Handy. „Ach toll, mit Geschirrhangerl!“, sagt er.
Österreich wird 2023 Gastland der Buchmesse Leipzig sein und ich freue mich schon total auf vermehrte Austriazismen wie diesen im deutschen Alltagsgebrauch. Weil ich während der Unterhaltung die App geöffnet habe, sehe ich Instagrams aktuellen Vorschlag, wem ich folgen könnte. Eberhard Seidel. Der Name kommt mir bekannt vor, aber ich kümmere mich erst mal nicht weiter darum.

Kollege Frank arbeitet am taz-Stand, er hat auch zufällig jemanden auf der Messe getroffen, seinen Nachbarn. Den mag er gern, denn er sei „sehr wach“. „Was machst du denn hier?“, fragt Frank – und sein Nachbar Behzad Karim Khani sagt: „Ich hab ein Buch geschrieben.“ Das Buch heisst „Hund, Wolf, Schakal“ und gewann bereits den „Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals“.

Am Sonntag kaufe ich dann doch noch Bücher ein. Ich kann nicht anders, es ist zu verführerisch, so viel Auswahl gibt es ja nirgendwo sonst. An allen Publikumstagen wurde auch verkauft, aber ich hatte es eigentlich vermeiden wollen, weil… ich eine ganz spezielle Sache fürchte.

Ein Redigat der Vergangenheit

Regelmäßig träume ich, packen zu müssen. Ich beeile mich, meine Sachen einzusammeln, die überall verstreut sind. Ich habe Anhäufungen gemacht, von denen ich nun nur die obersten Schichten abhebe, darunter liegt ohnehin das verzichtbare, angestaubte Zeug. Aber wer Müll zurücklässt, verrät fast alles über sich selbst (das lehrt uns die Archäologie).

Während die Eile immer größer wird, durchsuche ich deshalb muffige Relikthaufen und finde immer mehr wertvolle Dinge, die ich dringend noch mitnehmen muss. Mit wachsendem Gepäck und vollen Händen hetze ich durch völlig verdreckte Räume mit immer höheren Stapeln Erinnerungsmüll, den ich noch durchsehen muss, bevor ich abreisen kann. Ein Redigat der Vergangenheit, das kein Ende findet. Ich schaffe nie die Abreise.

Wer sowas träumt, möchte mit exakt einer Tasche am Bahnsteig stehen. Das klappt natürlich überhaupt nicht, ich hatte bei der Anreise schon zwei, schließlich werden es vier; die Last der Beute beträgt, ich habe gewogen, 9.1 Kilo – nur die neuen Bücher jetze.

Döner, Katze Rauchi und Comic-Empfehlungen

Eins davon ist „Döner. Eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte“ von Eberhard Seidel. Das hatte ich sowie schon länger haben wollen und Whaaaat? Woher weiß der Meta-Konzern, welchen Pfad mein Leben nehmen wird? Ich habe das Buch doch nur ganz zufällig entdeckt. Aber der Autor wurde mir seit Tagen bei Insta vorgeschlagen, ich flippe aus. Natürlich folge ich ihm jetzt, denn ich hatte ihn immer schon was fragen wollen. Nämlich, ob er auch weiß, warum sich Gyros-Buden nicht gehalten haben. An „Dschüros“, wie meine Mutter sagte, erinnern sich viele Landeier wie ich. Döner lernten wir erst später, in größeren Städten kennen.

Von meinem ganz eigenen Geld habe ich auch Schichten“ von Pénélope Bagieu gekauft und im Zug nach Hause gelesen. Der autobiografische Comic zeichnet mittels „Geschichten aus ihrer Kindheit und Jugend das Portrait der erwachsenen Frau, die sie geworden ist.“ Eine Geschichte handelt von der 19 Jahre dauernden Beziehung zu ihrer Katze Rauchi, die zum Lebensende hin immer blasen- und stuhlinkontinenter wird. Als liebende Betreuerin eins alternden Hundes fühle ich mich der Autorin gleich sehr verbunden.

Ich habe in Sachen Comic unbedingt noch mehr zu empfehlen. Und das mache ich auch, im nächsten Post. Ich komme einfach mal wieder nicht los.

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/buchmesse/2022/10/24/91-kilo-neue-buecher-im-gepaeck/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert