Im Verfahren gegen Nurhan E., Cengiz O und Ahmet I. hatte vorletzte Woche die Bundesanwaltschaft das Wort, letzte Woche waren die Angeklagten dann dran.
Die Anklagevertretung zelebrierte regelrecht ihr Plädoyer. Bundesanwalt Homann, der vielen Lesern noch im Zusammenhang mit der Durchsuchung des Mehringhofes (RZ Ermittlungen) bekannt sein dürfte, übernahm den Part der rechtlichen Würdigung und die Strafanträge, seine Kollegin hatte zuvor die Darstellung des Werdegangs der Angeklagten, das Resümee der Beweislage und Zeugenaussagen übernommen. Das Ergebnis vorweg: Nurhan E soll als „Rädelsführerin“ (sie war angeblich Deutschland – und Europaverantwortliche der DHKP-C) für ganze 10 Jahre hinter Gitter, Cengiz O. als „Parteisoldat“ für 7 Jahre 6 Monate und Ahmet I. als für 4 Jahre 6 Monate.
Die 35 jährige Nurhan ist verheiratet, ihr Mann soll der ehemalige Europaverantwortliche der DHKP-C mit dem Decknamen „Tarek“ sein. Nach Auffassung der Anklage habe Tarek ohne seine Frau seine Aufgaben nicht erledigen können. Sie habe viele Reisen ins benachbarte Ausland unternommen, um dort Geld einzutreiben, teilweise 5-stellige Summen. Sie habe auch Leute zur Trauerfeier für den verstorbenen DHKP-C-Gründer Dursun Karatas beordert. Aattila A , der nicht geladene Hauptbelastungszeuge in diesem Verfahren, den Nurhan durch ihren Vater kennengelernt habe, sei ihre rechte Hand geworden.
Die Anklage meinte, in dem Verhalten der Drei in der Hauptverhandlung Ausdruck einer hierarchischen Ordnung erkannt zu haben. Dies sei von Sprachsachverständigen, die im Auto abgehörte Gespräche aus dem Türkischen übersetzt hatten, auch so geschildert worden. In Nurhans Wohnung habe es Parteizeitungen der verbotenen Dev Sol gegeben, darin sei auch eine Anleitung zum Bombenbau abgedruckt. Das Sommerzeltlager im Juni 2007 im Schwarzwald sei nur als Familienzeltlager getarnt gewesen, in Wirklichkeit sei es eine Schulungsveranstaltung für Funktionäre gewesen, denn das LKA hatte dort ein Programm und Schulungsunterlagen entdeckt. Viele hochrangige Funktionäre aus dem In- und Ausland hätten an dem Lager teilgenommen.
Nach Nurhans Verhaftung sei jedenfalls die gesamte Struktur der DHKP-C in Deutschland und dem benachbarten Ausland zusammengebrochen. Die Anklägerin zitierte aus einem Brief, den Nurhan E. in der U-Haft einen Brief an ihren Vater geschrieben hatte: „Sie sprach vom faschistischen Regime der Türkei, das die deutsche justiz schütze. Sie selbst sei Sozialistin, auch wenn sie ins Gefängnis gehe, werde die Geschichte sie freisprechen.“
Am Nachmittag ergriff Bundesanwalt Volker Homann das Wort.
Aus dem Umstand, dass die Angeklagten als Leitung der „Rückfront“ (der DHKP-C, Anm AH) in Europa sich nicht an Attentaten beteiligt hätten, komme es nicht an, erklärte er. Die Täter hätten sich, „getragen vom eigenen Willen, in die Organisation eingegliedert und diese durch eigene Aktivitäten gefördert. „Ihr Handeln war bestimmt durch ihre Einbindung in die ausländische Organisation“. Sie hätten die terroristische Zielsetzung der Organisation gebilligt.
Und: „Da alle Angeklagten dem engeren Führungskreis der DHKP-C angehören, muß hier nicht entschieden werden, ob die DHKP-C als solche eine terroristische Organisation ist.“
Er zitierte dann eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes, die sogenannte „Dogan-Entscheidung“ vom 27.4. 2001. und den Spruch des BGH von 28. Sept. 2010 zur Revision der Angeklagten im DHKP-C-Verfahren vor dem OLG Stuttgart und fügte an:
„Der BGH hat jetzt festgestellt, dass die DHKPC eine terroristische Vereinigung ist, d.h. der normale Aktivist beteiligt sich in einer terroristischen Organisation.“ Dieser Spruch des Bundesgerichtshofes eröffne „die Möglichkeit einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren“. Der BGH habe sich dem EuGH-Urteil zur europarechtlichen Modifikation der Listung der DHKP-C auf der „Terrorliste“ nicht angeschlossen. Zur Erinnerung: das OLG hatte auf Antrag der Verteidigerinnen Anni Pues und Britta Eder im Dezember 2009 dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Rechtmäßigkeit der Listung der DHKP-C in der EU-Terrorliste zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Verhandlung hatte am 12. Mai 2010 stattgefunden. Der EuGH urteilte am 29. Juni 2010, dass die aufgrund von Beschlüssen der EU (Gemeinsamer Standpunkt und eine Verordnung) 2002 erfolgte Aufnahme der Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C) in die so genannten Terrorlisten wegen Verstoß gegen elementare Verfahrensgarantien ungültig sei. Daher könnten die Beschlüsse nicht dazu beitragen, eine strafrechtliche Verurteilung, die an einen vermeintlichen Verstoß gegen diese Verordnung anknüpft, für die Zeit VOR dem 29.06.2007 zu stützen. (EUGH Urteil vom 29.06.2010, Az.: C-550/09, Hervorhebung von AH).
Im weiteren analysierte Homann das Verhalten der Angeklagten in der Hauptverhandlung. Er begann mit Ahmet I., dem nur Mitgliedschaft in der DHKP-C zur Last gelegt wird. Der hätte sich – vor allem unter dem Einfluss seiner Frau- offenbar von der DHKP-C distanziert und soll daher nur 4 Jahre und 6 Monate ins Gefängnis. Nurhan E und Cengiz O hätten sich von Ahmet I. abgewandt, “ ihn regelrecht links liegen gelassen“. Ahmet I´. habe eine untergeordnete Stellung eingenommen. Die beiden hätten herablassend über ihn gesprochen, das hätten auch die Sprachsachverständigen für türkische Sprache gesagt, und sie hätten ihn auch in der Hauptverhandlung gar nicht beachtet. So habe Nurhan E in einem abgehörten Gespräch einmal über Ahmet I gesagt, „Wer Revolutionär sein will, darf sich nicht durch eine Fußfessel belasten“. Mit dem Ausdruck „Fußfessel“ sei Ahmets junge Frau gemeint. Auch die zahlreichen Zuschauer, in der Regel Angehörige, Freunde und politische Weggefährten der Drei, hätten I. mit Mißachtung gestraft. In der Tat saß I. immer ganz links, direkt vor den Dolmetscherkabinen. Er hatte Kopfhörer auf, weil ihm alles übersetzt wurde, und tauschte relativ selten Blicke mit den beiden anderen. Seine junge Frau setzte sich immer weit nach vorne im Zuschauerraum, weil sie ihn von dort besser sehen konnte. Aber auch sie wird selten von den anderen Zuschauern beachtet. Allerdings wurde von der Bundesanwaltschaft nicht erwähnt, dass Ahmet I. aus Belgien kommt, des Deutschen nicht mächtig ist und erst vor wenigen Jahren nach Köln kam.
Allerdings konnte Bundesanwalt Homann sich nicht verkneifen, dem Mann noch zu drohen: „Sollte der Angeklagte I. aber in seinem Schlussvortrag einen anderen Eindruck erwecken, dann hätte die Bundesanwaltschaft kein Problem, wenn der Senat sie überwinden und eine höhere Strafe verhängen würde.“
Der Parteisoldat
Cengiz O wurde als „typischer Parteisoldat“ bezeichnet. Er habe mit Nurhan E die „Anatolische Föderation“ gegründet, und seine Taten seien vergleichbar mit dem, was Mustafa Atalay (vor dem OLG Stuttgart, AH) zur Last gelegt worden sei. Atalay hatte in seiner Jugend in der Türkei lange Haft erlitten und war schon in der Jugend Aktivist der Linken.
O. sei „in der Haltung kerzengerade, äußerlich unbewegt hat er die Hauptverhandlung an sich vorbeiziehen lassen. Nur wenn Zuschauer ihn angerufen haben, hat er mal gelächelt.“
Cengiz O sei „hochkonspirativ und hocheffizient“, wie sich schon bei seinem Verhalten vor der Verhaftung gezeigt habe.“ Er erweckt den Eindruck, dass er bereit ist, alles für die Partei zu tun und zu erdulden.“ Er habe keinerlei Reue gezeigt, daher sollten ihn 7 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe zur Umkehr bewegen.
Der böse Vater
Und dann nahm Homann sich Nurhan E. vor. Sie mache nicht den Eindruck einer Che Guevara der DHKP-C, wenn man sie so sehe. Homann warf in den Raum, dass Nurhans Vater die Tochter zur Revolution getrieben habe. Der ältere Herr, der immer vormittags der Verhandlung beiwohnt, und nachmittags zur Arbeit als Gemüsefahrer muß, war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Raum. Das war für Homann eine Steilvorlage. Jetzt bei den Strafanträgen habe der Mann nicht den Mumm, zu sehen, wohin er seine Tochter getrieben habe.
Die Tochter habe sich unter seinem Einfluß mit 15 Jahren der Revolution verschrieben. Sie habe die Realschule verlassen, niemals einen Beruf gelernt, sei mit 17 Jahren nach Syrien zur Waffenausbildung gegangen, und habe sich in der Bewegung hochgearbeitet, auch als Betreuerin des ehemaligen Europa-Repräsentanten, des erblindeten Nuri Eryüksel. Doch man solle sich nicht täuschen: sie fülle die Führungsrolle aus. Auch den Hauptebelastungszeugen Aatila A., der ihr Adjutant gewesen sei, habe sie über ihren Vater kennengelernt. Der Vater bestreitet das allerdings vehement.
Dann noch Schelte für die Zuschauer: es sei unverschämt, wie die sich verhalten hätten. (Das „Tayad-Komittee“, dessen Mitglieder regelmäßig anwesend waren, hatte einen „Langen Marsch gegen Isolation“ durch mehrere deutsche Städte durchgeführt und mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten gesprochen. Die Auftaktkundgebung hatte vor dem Eingang zum Gericht stattgefunden. Auch deutsche Linke hatten öfters Solidatitätsaktionen veranstaltet, siehe die Webseite des Komittee gegen § 129, Anm. AH) Und dass zwei der in Stuttgart Verurteilten hierher gekommen wären sei ein Zeichen dafür, dass deren Strafen wohl nicht hoch genug waren. Sie hätten mit ihrem Erscheinen den Angeklagten einen Bärendienst erwiesen.
Nurhan und ihre Mitangeklagten hörten diesen Ausführungen ernst und gefaßt zu. Ich hatte den Eindruck, dass sie sichtlich erschüttert waren. Als sie aus dem Saal geführt wurden, riefen die Zuschauer ihnen aufmunternde Worte auf türkisch zu. Tatsächlich lächelten sie ein wenig, auch Cengiz O, und er hob zum Gruß die Faust, aber zögerlich. Ahmet I. blieb still, wie immer.