vonDetlef Guertler 27.09.2009

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Nach Bundestagswahlen gibt es manchmal eine neue Mehrheit oder gar einen neuen Kanzler – letzteres bisher allerdings erst dreimal, nämlich 1969, 1998 und 2005. Und hin und wieder auch ein neues Wort, so wie vor vier Jahren die Jamaika-Koalition.

Vielleicht ja auch dieses Mal; nachdem der Wahlkampf schon keine Überraschungen bot, hat das Wahlergebnis durchaus das Zeug dazu. Und weil Überraschungen nach neuen Begriffen suchen, auf die sie gebracht werden können, wird ab heute nachmittag, wenn die Polit- und Presseprofis die ersten Trendmeldung bekommen, die Suche nicht nur nach der richtigen Mehrheit bzw. der richtigen Ausrede, sondern auch nach eben jenem richtigen Wort beginnen.

Ein paar Kandidaten stelle ich hiermit bereits zur Wahl. Geben Sie Ihre Stimme ab oder Ihren Senf dazu (via Kommentar), stellen Sie weitere Kandidaten auf oder lassen Sie sich einfach inspirieren. Sollte einer meiner (oder Ihrer) Kandidaten am heutigen Wahlabend den Durchbruch in den gesellschaftlichen Diskurs schaffen, werde ich ihn selbstverständlich heute noch mit einem Blog-Beitrag unter seinem eigenen Namen ehren.

1. Überhang-Koalition: Kommt zustande, wenn eine Parteiengruppe nur durch Überhangmandate zu einer Stimmenmehrheit im Bundestag kommt. Ist diesmal nach den Prognosen rechnerisch für Schwarz-Gelb denkbar und wäre juristisch korrekt. Käme auf diese Weise allerdings eine Regierung zustande, die weniger Stimmen bekommen hat als die gesammelten Oppositionsparteien, wäre das politisch zumindest anrüchig – Überhang-Koalition wäre der etwas abwertende Begriff dafür.

2. Erpattung: Wenn es zu einem Patt zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün kommt, und eine Mitte-Rechts- bzw. Mitte-Links-Koalition nur daran scheitert, dass FDP und Grüne sich zu fein dafür sind, kann eine Erpattung der deutschen Parteienlandschaft konstatiert werden. Eine große Koalition wäre dann das kleinste, weil einzig verbleibende Übel. Wer aber schon erpattet in den Ring geht, wird kaum die volle Distanz von vier Jahren durchhalten.

3. Entmerkelung: Jedes Zweitstimmenergebnis unter den 35,2 Prozent der vergangenen Bundestagswahl wird als persönliche Niederlage von Angela Merkel gewertet werden und in der CDU die Machtfrage aufwerfen. Reicht es trotzdem für Schwarz-Gelb, dürfte aufbrodelnder Unmut noch einmal gedämpft werden können – da gäbe es schließlich ein paar mehr Posten an die Schwarzen zu verteilen. Eine Neuauflage von Schwarz-Rot mit einer CDU unter Vorwahlergebnis dürfte aber den Anfang vom Ende der Ära Merkel bedeuten. Spätestens in zwei Jahren wäre das Kanzleramt dann entmerkelt.

4. Piratisierung: Ist nicht nur zu konstatieren, wenn die Piratenpartei 1,5 Prozent oder mehr schafft (das war das Ergebnis der Grünen bei ihrem ersten Antreten 1980), sondern kann auch darüber hinaus als Begriff für die Oppositionsarbeit der einst kleinen, jetzt vermutlich deutlich größeren Parteien verwendet werden: die ganze Zeit auf der faulen Haut liegen, keine ernstzunehmenden Alternativen zur Regierungsarbeit anbieten, sondern nur große Töne spucken, und sich am Ende den schwer schuftenden Großparteien die Früchte ihrer Arbeit entreißen. Ein bisschen unappetitlich, aber verständlich: Würden FDP, Grüne oder Linkspartei den Bürgern klar machen, was sie eigentlich verändern wollen, würden sie natürlich nicht mehr gewählt.

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