„Ich habe nicht genug Mittelfinger, für das, was hier passiert“, sagt Beth Trotter. Sie ist Lehrerin. Unter ihren SchülerInnen sind auch autistische Kinder, für die im neuen Haushalt des republikanischen Gouverneurs die Betreuungsmittel gestrichen worden sind. Am
Samstag, zwei Tage nach dem Gouverneur Walker das umstrittene Gesetz unterschrieben hat, ist sie erneut in Madison vor dem Capitol – inmitten einer Demonstration von mehr als 100.000 TeilnehmerInnen. Wie jeden Tag seit dem 14. Februar richtet sich der Protest gegen die Abschaffung der Mitsprachemöglichkeiten am Arbeitsplatz, gegen die Abschaffung von Tarifverhandlungen und gegen die Aushungerung der Gewerkschaften: „Er will uns unserer Stimme berauben.“ Sie hofft, dass ihm das nicht gelingt. Nach der Demonstration sind weitere Kampagnen geplant: Für die Absetzung und Neuwahl einiger Senatoren. Für eine gerichtliche Ungültigerklärung des Gesetzes.
Ihr Mann Frank Trotter kommt seit Mitte Februar täglich zum Capitol in Madison. Mit einem antiken Horn, in das er ohrenbetäubende Tone bläst. Er arbeitet in einem der Kohlekraftwerke , die Gouverneur Scott Walker verkaufen will – ohne öffentliche Ausschreibung und ohne konkurrierende Gebote: „Offenbar will er einen Deal unter Kumpeln machen. Vielleicht mit den Koch-Brüdern. Die haben schon seinen Wahlkampf finanziert.“
Robert Michel hofft, dass bei am 5. April die Anwältin JoAnne Kloppenburg in das Oberste Gericht von Wisconsin gewählt wird. Als Gegengewicht zu den republikanischen Mehrheiten in der Regierung. „In Wisconsin hat alles angefangen. Hierher stammt das Arbeitslosengeld in den USA. Und hier gab es erstmals eine Beihilfe bei Arbeitsunfällen. Diese Ideen haben Immigranten aus Deutschland mitgebracht.“
„So sieht Demokratie aus“, hat Jason Huberty auf den Boden vor dem Capitol gemalt. Er ist seit Anfang der Proteste dabei. War im Capitol, als es besetzt war. Und ist an diesem eiskalten Samstag auf der Strasse. In seinem Kreidekreis wechseln sich Herzen und Menschen ab. Letztere halten sich an Händen. „Natürlich machen wir weiter. Die ganze Welt schaut auf uns. Wir haben noch lange nicht unser letztes Wort gesagt.“
„Ich weiss nicht, ob wir es uns leisten können, beide im öffentlichen Dienst zu arbeiten“, sagt Mary Solorzano. Sie ist Krankenschwesterschülerin in Milwaukee. Ihr Mann Dan ist Spanischlehrer. Mit dem neuen Gesetz wird sein Einkommen um beinahe 20 Prozent sinken. Es kommt dazu, dass er nicht mehr mitreden darf: „Künftig kann die Verwaltung mir sagen, dass ich mehr Stunden arbeiten muss. Oder dass ich Klassen mit 40 oder 50 SchülerInnen betreuen soll. Wenn ich nicht einverstanden bin, können sie mich entlassen. Ohne Einspurchmöglichkeit oder Schlichtungsverfahren. “
Auf seinem Transparent hat David Siegfried zwei wichtige Daten aus der Geschichte von Wisconsin gewürdigt. Auf einer Seite steht das Gründungsjahr des Bundesstaates: „1848. Vorwärts“ Die Andere Seite bezieht sich auf das neue Gesetz: „2011. Rückwärts“. Lynne Roberts prognostiziert: „Wenn Scott Walker in Wisconsin gewinnt, werden andere Gouverneure in den USA ihn nachahmen.“ Beide arbeiten in einer Taxi-Kooperative. Und gehen sonntags in die letzte Freidenker-Kirche von Wisconsin.
Gerry Zastrow, arbeitet als Ingenieur an der Universität Wisconsin in Stevens Point. Er ist zuständig für Fenrstudien. In den vergangenen Wochen hat er die Stimme der nationalen Spitze der DemokratInnen zu Wisconsin vermisst. „Ich glaube an meine Partei. Aber sie hätte mehr tuen können. Ich werde meine Repräsentanten frage, warum unsere Spitzenleute nicht zu uns, nach Madison, gekommen sind“. Er wird 10 bis 12 Prozent von seinem Lohn verlieren. Und er stellt fest, dass die Lohn-Spirale immer weiter nach unten geht: „Vor nicht langer Zeit verdienten die Beschäftigten in der Privatwirtschaft mehr, als wir. Unter Bush II sanken ihre Löhne unter unsere. Jetzt werden unsere Löhne gekürzt.“
Jana Weaver war lange Krankenpflegerin. Seit 15 Jahren arbeitet sie hauptamtlich für die Gewerkschaft der kommunalen Beschäftigten in Wisconsin (AFSCME). „Scott Walker ist zu weit gegangen. Irgendwann schlagen die Arbeiter zurück. Der Gouverneur hat gedacht, wir protestieren ein paar Tage und verschwinden dann. Er hat uns als „auswärtige Agigatoren“ beschimpft. Aber hier kommen fast alle aus Wisconsin. Und wir sind immer noch da.“ Sie glaubt, dass die Gewerkschaft überleben wird: „Künftig müssen wir die Beiträge persönlich einsammeln. Und vielleicht werden auch unsere Einnahmen sinken und wir müssen uns unsere Löhne kürzen. Aber die Leute werden merken, dass sie uns brauchen. Wenn wir keine Tarifverhandlungen führen dürfen,. dann können wir uns immer noch um Diskriminierungen kümmern.“
Al Ciarletta arbeitet beim Finanzamt in Madison, Wisconsin. Bei den Halbzeitwahlen im November hat er für den Republikaner Scott Walker gestimmt. Seit Mitte Februar kommt Al Ciarletta jeden Abend mit einem grossen Transparent vor das Capitol, auf dem steht, dass ihm seine Wahl leid tut: „Mir hat gefallen, dass Walker weniger Staat wollte. Und dass er die Bundesmittel für einen Hochgeschwindigkeitszug abgelehnt hat. Wir haben Busse. Die müssen nur umweltverträglicher gemacht werden. Aber was er mit den Tarifverhandlungen und mit den Gewerkschaften macht, geht einfach zu weit. Dafür habe ich ihn nicht gewählt. „