Han Dongfang, Gründer und Leiter des China Labour Bulletin (CLB), ist unter internationalen Gewerkschaftsaktivisten eine bekannte Person. Er hat seinen Sitz in Hongkong, ist aber selten ein Liebling der Medien. In letzter Zeit tauchte er jedoch einige Male in den Medien auf, weil er eine überraschende Aktion unternahm: Er kündigte an, dass er bei den kommenden Legislativratswahlen im Dezember kandidieren würde, wenn er von seiner Partei – der Demokratischen Partei – nominiert würde. Überraschend deshalb, weil er allein kandidieren würde, da fast keiner von den führenden Politikern aus dem oppositionellen gelben Lager, einschließlich seiner Partei, sich die Mühe machte, überhaupt zu kandidieren. Das liegt daran, dass Peking das Wahlsystem so sehr zerstört hat, dass die „reformierte“ Legislative nichts anderes als eine Marionette Pekings ist – potenzielle Kandidaten werden durch das Gesetz zur nationalen Sicherheit überprüft, ganz zu schweigen davon, dass Peking die Uhr so weit zurückgedreht hat, dass der Anteil der direkt gewählten Abgeordneten von 50 auf nur noch 22 Prozent der gesamten Sitze gesunken ist. Hinzu kommt, dass Peking unter Anwendung der neuen Kriterien des Gesetzes über die nationale Sicherheit bereits eine Reihe von Mitgliedern der Gemeinderäte disqualifiziert hat.
Komisch ist, dass Pekings Sprachrohr öffentlich die Demokratische Partei aufforderte, an den Wahlen teilzunehmen, um ihrem Marionettentheater mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Der stellvertretende Vorsitzende der Allchinesischen Föderation der zurückgekehrten Überseechinesen, Lu Wenduan, warnte, dass Peking die Weigerung der Demokratischen Partei als „konfrontativ“ betrachten würde (1). Dies könnte sich jedoch als kontraproduktiv erweisen, da selbst die versöhnlichen Mainstream-Demokraten keine Lust hatten, das Marionettentheater mit zuspielen. Han stand jedoch auf und kündigte an, dass er kandidieren würde, wenn er genügend Nominierungen von Parteimitgliedern bekäme. Er scheiterte.
Han begründete seine Kandidatur mit den Worten:
Ich bin ein Mensch, der seit einem Monat Hunger hat, und wenn ich jetzt ein verschimmeltes Brot in die Hand nehmen kann, werde ich es essen, auch wenn andere das nicht tun würden, und auch wenn ich dadurch vielleicht krank werde. (2)
Han machte sich erstmals einen Namen, als er 1989 von der Regierung in Peking wegen seiner Beteiligung an der Gründung der Autonomen Arbeiterföderation Peking (BWAF) inhaftiert wurde. Er wurde 1992 freigelassen und ging in die USA, lebte aber schließlich in Hongkong.
Befürworter Pekings verwiesen oft auf die Tatsache, dass die Hongkonger Pandemokraten und das CLB von amerikanischen öffentlichen Einrichtungen finanziert werden, als Beweis für ihrer Loyalität zu letzteren. Nach Hans Taten und Worten in den letzten zehn Jahren zu urteilen, ist das nicht so eindeutig, wie die Befürworter Pekings dachten. Ein kurzer Rückblick auf die Vergangenheit Hans wird uns helfen, besser zu verstehen.
Han sprach sich einst für den Aufbau einer unabhängigen Gewerkschaft aus. Er ließ diese Position jedoch vor langer Zeit fallen und ist seither ein begeisterter Befürworter der Zusammenarbeit mit Peking und seinem Allchinesischen Gewerkschaftsbund (ACGB), dem von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) kontrollierten offiziellen Gewerkschaftsverband. Ein wissenschaftlicher Aufsatz beschreibt die Entwicklung von Han folgendermaßen:
Im Jahr 2011 plädierte Han Dongfang in einem Artikel, der im Guardian veröffentlicht wurde, nicht nur für ein konstruktives Engagement, sondern auch für Gespräche über einen Beitritt des ACGB zum Internationaler Gewerkschaftsbund (IGB).
In der Zeitung wird weiter berichtet, dass mehrere NRO in Hongkong (die sich ebenfalls im Dienste der Gewerkschaftsbewegung Chinas engagieren) als Reaktion auf den Artikel von Han Dongfang gemeinsam einen Brief verfassten, in dem sie Han kritisierten und ihre Besorgnis über Han Dongfangs Äußerungen, dass der IGB über einen Beitritt des ACGB diskutieren sollte, zum Ausdruck brachten. Sie wiesen die Vorstellung zurück, dass die neuen Initiativen des ACGB als bedeutende Schritte nach vorn interpretiert werden sollten, da nach wie vor die grundlegenden Rechte der Arbeitnehmer, einschließlich der Grundsätze der internationalen Arbeiterbewegung wie die Vereinigungsfreiheit, nicht gewahrt sind. (3)
Im Jahr 2015 gab Han in einer Anhörung des Unterausschusses für Asien und den Pazifik des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten eine Erklärung ab, die ein Zitat wert ist:
Dies ist das erste Mal in der Geschichte des modernen Chinas, dass die Interessen der KPCh und der Arbeitnehmer vollständig und nutzbringend verbunden wurden. (…) Es ist die KPCh, die die Arbeitnehmer an Bord braucht, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Dabei hat die KPCh eine historische Chance, zu ihrer ursprünglichen sozialistischen Vision zurückzukehren und ihre ideologische Glaubwürdigkeit wiederzubeleben. (…)
Unser Strategiewechsel würde sicherstellen, dass die schönen Versprechungen der KPCh Schritt für Schritt verwirklicht werden, auch wenn er möglicherweise die Herrschaft der Kommunistischen Partei verlängern könnte. (…) Die Vereinigten Staaten sollten China nicht als Bedrohung sehen. (…) Jetzt ist es an der Zeit, sich auf China einzulassen. (…) Das derzeitige harte Durchgreifen wird nachlassen, aber die langfristige Notwendigkeit, eine faire und gerechte Gesellschaft zu fördern, wird immer bestehen bleiben. (4)
Spätere Ereignisse stehen im Widerspruch zu Hans optimistischer Prophezeiung eines „nachlassenden Durchgreifens“. Allerdings muss auch hinzugefügt werden, dass es das Verdienst seiner Gruppe ist, eine Kampagne für Kollektivverhandlungen gestartet zu haben, bevor diese von den Behörden des Festlandes niedergeschlagen wurde und die Partner von Han auf dem Festland im Gefängnis landeten. Bemerkenswert ist, dass all diese Erfahrungen Han nicht davon abgehalten haben, sich bis zum bitteren Ende Hongkongs für eine Zusammenarbeit mit Peking einzusetzen. In den letzten zehn Jahren scheint Han mehr auf der Seite Pekings als auf der Washingtons zu stehen, obwohl er amerikanische Gelder erhält. Ganz zu schweigen davon, dass viele chinesische öffentliche Einrichtungen das Gleiche getan haben, aber das ist eine andere Geschichte. „Ausländische Finanzierung“ als entscheidenden Beweis für Loyalität heranzuziehen, ist ein hohles Argument.
Wir wissen nicht, ob Han in den langen Jahren seines Aktivismus auch von „Mittelsmännern“ angesprochen wurde. Aber im Allgemeinen gab es nur sehr wenige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Hongkong, um die sich Letztere gekümmert haben. Sich mit jedem, der einen gewissen Einfluss hat oder für Peking potenziell gefährlich ist, anzufreunden und ihn dann zu vereinnahmen – das ist nur eine der Säulen von Pekings bekannter tongzhan (wörtlich „Einheitsfront“) Strategie. Wahrscheinlich ist dies einer der Gründe, warum man heute in den meisten demokratischen Massenorganisationen und Parteien Hongkongs immer einige führende Persönlichkeiten findet, deren Worte und Taten mit denen der Peking-Anhänger so identisch sind.
Übersetzung von P. Franke, Forum Arbeitswelten
Quellen:
- Lo Man Tuan Die tödliche Krankheit der Demokratischen Partei und der Weg zum Leben (民主黨的死症與活路 文:盧文端), in Mingpao vom 23.8.2021
- Han Dongfangs Weg der Arbeiterbewegung und die Möglichkeiten von Hongkong (韩东方的工运路与香港的可能性) , in China Labour Bulletin, 5.10.2021
- China’s International Labour Relations: The Evolution and Politics of China’s Interactions with the International Labour Movement and Overseas Labour Organisations , by Rachel Page, PhD Thesis, January 2017, City University of Hong Kong. S. 145f
- China’s Rise: The Strategic Impact of its Economic and Military Growth, Hearing before the Subcommittee on Asia and the Pacific of the Committee on Foreign Affairs, US House of Representatives, June 17, 2015, S. 26, 30, 32