vonchina-watch 16.11.2025

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Was passiert hinter der Orwellschen Großen Mauer? Beobachtungen und Kommentare von Au Loong-Yu zu China und Hongkong.

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Mit Trump an der Macht gibt es weltweit ein politischen Rechtsrutsch. Das ist die dringendste Herausforderung, vor der wir derzeit stehen. Aber wie ist die Lage der Linken in China und wo ist dort die extreme Rechte?

Die Linke seit 1989

Vor etwa 25 Jahren, zur Jahrhundertwende, begann der Schock über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens vom 4. Juni 1989 zu verblassen und das politische Leben wurde wieder etwas lebhafter, insbesondere in akademischen Kreisen. Die Debatten lebten wieder auf, wobei sich die Positionen zwischen den „Liberalen“ und der „Neuen Linken“ abgrenzten. Meiner Meinung nach konnten die lautstärksten Vertreter weder als Liberale noch als Linke betrachtet werden. Die Ersteren waren eher Neoliberale, die sich für eine stärkere „Marktorientierung” einsetzten, anstatt eine liberale Demokratie zu fordern. Dies geschah zum Teil (und verständlicherweise) aus Sorge um ihre eigene Sicherheit und zum Teil aus echter Überzeugung vom (kapitalistischen) Markt. Letztere waren meist Nationalisten, die den Parteistaat verteidigten und ihn als Beschützer der „nationalen Interessen“ oder der wirtschaftlichen Interessen „des Volkes“, aber niemals seiner politischen Grundrechte betrachteten.

Darüber hinaus brachte das Zeitalter des Internets auch Stimmen aus dem Minjian, dem „einfachen Volk”, hervor, von „Maoisten” bis zu „Trotzkisten” oder „Sozialdemokraten”. Dies war auch die Zeit der NGOs, die sich für verschiedene Themen einsetzten und Kampagnen durchführten. Auch die akademische Welt und zivilgesellschaftliche Organisationen Hongkongs spielten in diesem Prozess eine bedeutende Rolle. Obwohl diese NGOs keine politischen Kampagnen durchführten, wurden sie dennoch vom Staat streng überwacht, insbesondere diejenigen, die sich mit Arbeitnehmerfragen befassten, aus Angst, sie könnten radikalisiert werden.

Die Blüte politischer Debatten und NGOs veranlasste viele zu der Annahme, dass ein Zeitalter der Liberalisierung bevorstehe. Sie ahnten nicht, dass das Gegenteil der Fall sein würde. Im Jahr 2015 ließ Xi Jinping die meisten ArbeiterInnen-NGOs auf dem chinesischen Festland verbieten und Menschenrechtsanwälte verhaften. Im Jahr 2018 starteten einige maoistische Studenten eine Solidaritätskampagne mit den Arbeitern der Jasic-Fabrik, die eine Gewerkschaft am Arbeitsplatz gründen wollten. Bald darauf wurden sie verhaftet oder einfach entführt, woraufhin studentische „Marxismus-Gesellschaften” an verschiedenen Universitäten verboten wurden. Tatsächlich hatte die Verfolgung von Maoisten bereits vor mehr als 20 Jahren begonnen, als einige Maoisten den verstorbenen Präsidenten Jiang Zemin dafür attackierten, dass er Kapitalisten die Parteimitgliedschaft gewährt hatte. Dies radikalisierte wiederum einige Maoisten, die 2008 die „Maoistische Kommunistische Partei” gründeten, doch schon bald darauf wurde ihr Anführer Ma Houzhi (馬厚芝) 2009 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Mit der umfassenden Unterdrückung Hongkongs im Jahr 2020 rächte sich die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) an der Bevölkerung, weil es es gewagt hatte, sich ein Jahr zuvor gegen ihr Auslieferungsgesetz zu wehren. Sie zerschlug dort jegliche politische Opposition und sozialen Bewegungen, einschließlich der alten und neuen Gewerkschaftsbewegung und der kleinen linken Zirkel. Darunter war die Zerschlagung der kleinen trotzkistische Gruppe geradezu symbolisch – sie war seit fast hundert Jahren die längste und beständigste linke Opposition der KPCh. Vor 2020 hatte die ehemalige Kolonie einer Vielzahl von politischen Dissidenten aus der VR China eine Überlebenschance gegeben.

Hongkonger Bürger marschieren am 15.7.2017 mit Kerzen zum Verbindungsbüro der VR China, um Liu Xiaobo zu gedenken. (Foto: Wikipedia Englisch)

In der VR China gab es seit 1949 keine organisierte Opposition mehr. Ab 1979 gab es eine starke liberale Strömung, die sich jedoch nicht organisieren durfte. Seit 2017, als Liu Xiaobo, der führende liberale Verfechter, im Gefängnis starb, hat der Einfluss der Liberalen aufgrund der Unterdrückung durch Xi abgenommen, obwohl sie es immer noch schafften, gelegentlich von sich reden zu machen. Nur die Nationalisten wurden immer stärker, weil sie die Unterstützung des Regimes hatten. Heute gibt es im ganzen Land keine sichtbare linke Strömung mehr. Noch erschreckender ist die Tatsache, dass die Falun Gong Sekte trotz jahrelanger Verfolgung nach wie vor die lautstärkste und am besten organisierte Strömung im Ausland ist und wahrscheinlich auch in China im Untergrund präsent ist. Als religiöse Sekte, die persönliche Loyalität gegenüber ihrem obersten Führer verlangt, ist ihre politische Ausrichtung weder für die arbeitende Bevölkerung noch für den Kurs der Linken hilfreich.

Was ist das für ein Regime?

Wie charakterisiere ich also ein Regime, das alle Dissidenten unterdrückt, von Liberalen über alle Schattierungen linker Strömungen bis hin zu den meisten unabhängigen Bürgerinitiativen? Ein Bezeichnung ist wichtig, aber bevor ich ihm einen Namen gebe, möchte ich kurz auf seine grundlegenden Merkmale eingehen:

1. Unbegrenzte Staatsmacht, die nicht nur alle öffentlichen Angelegenheiten, sondern auch das Privatleben kontrolliert, von der Fruchtbarkeit von Frauen über den Besitz eines Reisepasses bis hin zur Verhaftung junger Menschen, die Halloween feiern.

2. Der Staat wiederum steht unter der absoluten Kontrolle der Partei, die sich nie die Mühe macht, freie und offene Wahlen abzuhalten. Die Partei wird wiederum von einem Spitzenführer geleitet, der die Verfassung des Landes nach Belieben ändern kann, um sich selbst zu einem lebenslangen Autokraten zu machen, ohne dass es einen legalen Weg gibt, ihn abzusetzen.

3. Gedankenkontrolle und Indoktrination mit der Ideologie der Partei, deren Kern einfach ist tingdanghua, gendangzou (聼黨話,跟黨走) oder „auf die Partei hören und der Partei folgen”.

4. Der chinesische Nationalismus ist ethnozentrisch und betrachtet die Nation als homogenes Ganzes und die Partei als ihren natürlichen Vertreter. Die Partei praktiziert auch einen chauvinistischen Han Chauvinismus (Han ist die dominierende ethnische Gruppe in China), was zu Rassismus, kulturellem Völkermord und Masseninhaftierungen von Tibetern und Uiguren geführt hat.

5. Die Partei betrachtet auch die chinesische Gesellschaft als homogenes Ganzes, sodass Dissidenten eine Bedrohung für die Nation darstellen, die unterdrückt werden muss. Nicht nur organisierte Opposition ist verboten, sondern auch individuelle Opposition wird zum Schweigen gebracht, sobald sie Einfluss gewinnt. Um das Ziel der vollständigen Unterdrückung politischer Opposition zu erreichen, greift der Parteistaat auf umfassende Überwachung und das berüchtigte Sozialkreditsystem zurück. Staatlich geschaffenes digitalisiertes Geld verstärkt die Orwellsche Gesellschaft noch weiter.

6. Seit Mitte der 1950er Jahre ist das Leitprinzip für Wirtschaftswachstum immer der Vorrang von Investitionen in Infrastruktur und Schwer-/Hochtechnologieindustrien vor dem Grundbedürfnissen und dem Wohlergehen der Bevölkerung. Dies war während des Großen Sprungs nach vorn noch extremer und führte 1959 zur Großen Hungersnot. Seit 1979 hat die Partei den Kapitalismus in China wieder eingeführt und damit einen massiven Zufluss ausländischen Kapitals ermöglicht, wodurch die Partei sowohl das Ziel der raschen Industrialisierung als auch das der Ernährung der Bevölkerung erreichen konnte. Allerdings hat die relative Armut ausgedrückt am Anteil des Arbeitseinkommen am Nationaleinkommen tatsächlich zugenommen, da sich die Parteibürokratie gleichzeitig rasch bereichert hat. Sie hat ihr absolutes Monopol auf die politische Macht genutzt, um sich alle Arten von Ressourcen anzueignen, insbesondere solche, die für die Nation von entscheidender Bedeutung sind, und hat sie auf eine Weise kommerzialisiert, die in erster Linie ihr selbst zugute kommt. Es handelt sich um eine bourgeoisierte Bürokratie.

7. Ihre Auslandsinvestitionen gehören seit vielen Jahren zu den fünf größten der Welt. Mit ihren Investitionen strebt sie nach kommerziellem Erfolg und geopolitischer Macht, um Profit und Macht aus der Welt zu schöpfen – das ist nicht schlechter als bei anderen kapitalistischen Ländern, aber auch nicht besser. Überproduktion und Kapitalüberschuss haben die KPCh zwangsläufig auf den Weg des globalen Wirtschaftsexpansionismus getrieben. Darauf folgte auch politischer Expansionismus, da sie sich als legitime Nachfolgerin des imperialistischen/nationalistischen KMT-China versteht und das „Territorium” für sich beansprucht, das aus dieser Sicht dazu gehörte. Aus diesem Grund hat sie die falsche Behauptung der KMT bezüglich der Neun-Punkte-Linie über einen großen Teil des Südchinesischen Meeres übernommen.

Ein rechtsextremes, imperialistisches Regime

Nur ein rechtsextremes Regime weist alle oben genannten Merkmale auf. Während Trump sich noch in der ersten Phase der autokratischen Umgestaltung befindet und noch lange nicht sicher ist, ob er es schaffen wird, ist Xi Jinpings orwellsche Autokratie bereits in ihre digitalisierte Version übergegangen, gerade weil seine Partei bereits die vollständige Kontrolle hat. Die KPCh als etwas grundlegend Progressiveres als die Trump-Regierung zu betrachten, ist eine der größten Illusionen.

Inmitten des Handelskriegs zwischen den USA und China freuen sich nicht wenige Vertreter der internationalen Linken darüber, dass die KPCh „sich gegen Trumps Schikanen zur Wehr setzt“. Auch wenn wir uns vorübergehend über Trumps Misserfolg freuen, dürfen wir nicht vergessen, dass die Erfolge von Xi in seiner Gegenoffensive immer auf Kosten der Bevölkerung gehen. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass Xi angesichts des Handelskriegs (der eher exogen ist) und der innenpolitischen Krise mit Überproduktion und Arbeitslosigkeit (die eher endogen ist) darauf zurückgreift, Chinas Exporte zu beschleunigen. Damit verlagert er das Problem nur an einen anderen Ort, anstatt es zu lösen. Nein, er wird die Krise sogar noch verschärfen. Grundsätzlich bekämpft Xi nicht den Imperialismus, sondern begnügt sich mit seiner persönlichen Agenda des haodaxigong (好大喜功) oder „Streben nach Größe und Ruhm“, während er den kollektiven Interessen der bourgeoisiierten Bürokratie dient. Ob China die Parität mit den USA erreicht hat, ist eine wichtige, aber zweitrangige Frage. Die primäre Frage ist, dass Chinas globaler Expansionismus den Weg des Imperialismus beschreitet. Ehrliche Sozialisten warten nicht, bis die KPCh ihr Ziel vollständig erreicht hat, bevor sie die Welt vor dieser Gefahr warnen.

Als langjähriges rechtsextremes Regime ohne Kontrolle durch das Volk oder durch eine Opposition oder soziale Bewegung von außen stellt die Herrschaft der KPCh eine große Gefahr für das chinesische Volk und den Rest der Welt dar. Ja, der US-Imperialismus ist militärisch und wirtschaftlich immer noch stärker und fügt der Welt derzeit viel mehr Schaden zu. Aber China könnte der Welt ebenfalls immensen Schaden zufügen, da niemand Xi davon abhalten könnte, einen ungerechten Krieg zu beginnen oder vorrangig einen Kampf um die Vorherrschaft über sein eigenes Volk im Inland  und über die Welt zu führen. Ich habe keine Antwort auf diese große Herausforderung, aber das Mindeste, was wir tun können, ist, sie beim Namen zu nennen.

Übersetzung aus dem Englischen von P. Franke, Forum Arbeitswelten 

 

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