vonHeiko Werning 18.02.2009

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Der Biologe Christian Neumann (ja, genau, der aus dem Fernsehen, der immer noch unangefochten Platz 1 der Suchbegriffe zu diesem Blog hier anführt) arbeitet seit Jahren intensiv in Venezuela, auf allerlei zoologischen Feldern (und mit Schwerpunkt „Verbreitungsmuster von Klapperschlangen“). Gerade ist er wieder drüben im Einsatz, und da er mir zwei Fotos schickte, auf denen zwei außergewöhnlich schillernde Wesen zu bestaunen sind – er selbst nämlich und das großartige Nacktschwanzgürteltier – bat ich ihn um einen kleinen Gastbeitrag. Erfreulicherweise fand er die Zeit bei einem kurzen Gastaufenthalt im Zoo von Caracas, bevor er wieder ins Feld aufbrach, um seine Klapperschlangen zu suchen. Also, hier schreibt Christian Neumann:

Die Jagd und das Feldbiologen-Blackout

Homo sapiens ist ein Jäger. Wir versuchen ja immer wieder zu verdrängen, dass da mehr Tier in uns steckt, als wir zugeben würden. Kultur bedeutet, diese Instinkte zu kompensieren oder zu abstrahieren. Dies betrifft vor allem den Jagdinstinkt.

In der Wildnis trifft man generell vier Gruppen menschlicher Jäger. Zunächst wäre da der Großwildjäger zu nennen. Er ist sehr bequem und plump, denn er erlegt meist das Tier aus sicherer Distanz heraus. Er erfreut sich daran, wenn der Elefant in der Savanne tot umfällt und während des Sturzes noch zwei Akazien und eine Herde Impalas unter sich begräbt. Die zweite Gruppe besteht aus Touristen. Sie treten häufig in Horden auf. In ihrer visuellen Jagd nach Elefanten bemerken sie nicht, dass sie auf ihrem Weg bereits 53 Echsen, 25 Frösche sowie hunderte von Arthropoden und seltenen Pflanzen zertreten haben. Und dann gibt es noch den Naturfotografen. Er schleicht bedächtig durch die Savanne, sieht in jedem Detail ein Motiv. Wenn er den Elefanten fotografiert, bemerkt er leider zu spät das Rudel Löwen, dass sich hinter seinem Rücken angeschlichen hat, weil sein Teleobjektiv sein Sichtfeld zu sehr eingeschränkt hat. Schade!

Und letztlich gibt es noch diese absonderliche Gruppe der Biologen, die versucht, den Elefanten mit Yanomami-Blasrohrtechnik zu betäuben, um dann Blut- und Spermaproben zu entnehmen und den Dickhäuter bis auf die letzte Borste zu vermessen. Und falls der Biologe den Elefanten nicht zu Gesicht bekommt, dann gibt er sich auch mit einem Haufen frischer Elefantenscheiße zufrieden, an der er genüsslich riecht, um anhand der ausgeschiedenen Aromastoffe die anverdauten Pflanzenspezies zu bestimmen.

Ich gehöre zur letzteren Gruppe der Jäger – den Biologen, die Freude dabei empfinden, Klapperschlangen von Zecken zu befreien, den Hemipenis eines Grünen Leguans zu vermessen oder einen Bandwurm aus dem Enddarm eines Brüllaffen zu ziehen. Auch wenn wir das in der Öffentlichkeit niemals zugegeben würden …

Aber das Biologendasein besteht nicht nur aus solchen Randerscheinungen sondern eher aus intensiver Laborarbeit oder dem Lesen neuester wissenschaftlicher Publikationen. Doch einmal im Jahr dürfen auch wir auf die Jagd, getarnt unter dem Namen „Feldforschung“. Dann dürfen wir unserem infantilen Drang nachgehen, alles in der Natur begrabschen, befummeln und einfangen zu wollen. Und wenn man das Objekt der Begierde entdeckt, dann kommt der Jäger durch: der Blutdruck steigt, Adrenalinausschüttung, erhöhte Sinnesleistung. Plötzlich entwickelt man Superman-Kräfte: da kann es dann passieren, dass man in tiefster Nacht durch den venezolanischen Bergregenwald robbt, beim Anblick des Tieres durch einen reißenden Bergfluss watet, 2-m-Sprünge über glitschige Felsen tätigt, sich an Wurzeln einen Wasserfall hochzieht, um baumelnd in vier Metern Höhe einen zwei Zentimeter kleinen Glasfrosch zu ergreifen, nur um dessen wissenschaftlichen Namen in die tropische Nacht zu säuseln: „Oh, ein Hyalinobatrachium guairarepanense! Wie schön!“ Doch dann kommt das böse Erwachen, wenn sich dieser euphorische Zustand verflüchtigt und man denkt nur noch: „Ach du Scheiße – Wie um Himmels Willen bin ich hier hoch gekommen?“ Der Abgang verläuft dann alles andere als grazil. So etwas nennen wir „Feldbiologen-Blackout“. Ich habe mich in der Vergangenheit in den seltsamsten Situationen wiedergefunden: bis zum Hals im Sumpf, in einer Felsschlucht, nachts in acht Metern Höhe auf einem Baum (ohne Taschenlampe, denn die musste ich fallen lassen, da ich eine freie Hand zum Ergreifen des Frosches brauchte).

Auf meiner jetzigen Reise durch die Savannen Venezuelas habe ich meinen Feldassistenten Kai Nägle dabei. Da verläuft das Feldbiologen-Blackout nicht mehr undokumentiert. Auf unserer Klapperschlangenjagd vor fünf Tagen kreuzte ein Nacktschwanzgürteltier (Cabassous unicinctus) unseren Weg. Gürteltiere, meine Lieblingssäuger – vermutlich weil sie Schuppen haben (das haben wir Herpetologen ja gern). Trotz ihres etwas klobigen Erscheinungsbildes können sie doch recht schnell rennen. Und da war es dann wieder – der Blackout.

Wenn in einigen Wochen in Deutschland die Bandscheiben vom vielen Arbeiten am Rechner wieder schmerzen, wenn man zu faul ist, die Fernbedienung zu betätigen und selbst das Öffnen der einzigen Bierflasche im Haus zur Herausforderung wird … na, dann werde ich mich wie so oft fragen: „Wo sind sie nur geblieben, diese Superman-Kräfte?!“

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