vonHans-Ulrich Dillmann 12.01.2011

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

12. Januar 2010: Um 16.53 Uhr (21:53 Uhr UTC) bebt rund um Port-au-Prince insgesamt 43 Sekunden lang die Erde. Das Epizentrum liegt 25 Kilometer westsüdlichwestlich der haitianischen Hauptstadt in der Nähe der Kleinstadt Léogâne in einer Tiefe von etwa 13 Kilometern und dauert. Die Stärke beträgt Angaben des United States Geological Survey (USGS) 7,0 auf der Momenten-Magnituden-Skala. In der Bucht wurden durch die Wucht der Erschütterungen zwei kleinere Tsunamis mit einer Wellenhöhe von rund drei Metern ausgelöst. Noch drei Nachbeben folgten.

Der Flughafen von Port-au-Prince wurde schwer beschädigt, kann jedoch weiter genutzt werden. Beim Beben wird der Präsidentenpalast völlig zerstört. Die katholische Kathedrale von Port-au-Prince stürzt ebenso ein wie die anglikanische Holy Trinity Cathedral. Fast 50 Prozent der Gebäude in Port-au-Prince sind zerstört oder schwer beschädigt. Das Hotel Montaña, Wohnsitz von vielen Diplomaten und Mitgliedern der UN wird ebenso wie das Hotel Christopher zerstört, dem Hauptquartiert der UN-Blauhelmtruppen Minustah. Aus den Zentralgefängnis in Port-au-Prince entkommen rund 4.000 Gefangene. In Léogâne sind etwa 80 Prozent der Gebäude zerstört.

Auch der Amtssitz des haitianischen Staatspräsidenten René Préval wurde schwer beschädigt. Die Kuppeln stürzten ein.

Aufgrund der Zahl der Todesopfer handelt es sich um das schwerste Beben in der Geschichte Nord- und Südamerikas und weltweit das verheerendste Beben des 21. Jahrhunderts. Prominente Todesopfer: Erzbischof von Port-au-Prince, Joseph Serge Miot, im UN-Hauptquartier sterben fast 200 Personen, darunter drei Deutsche und der Leiter der Mission und UN-Sondergesandte für Haiti, Hédi Annabi (Tunesien) sowie dessen Stellvertreter Luiz Carlos da Costa (Brasilien) und der Leiter der internationalen Polizeieinheiten, Doug Coates (Royal Canadian Mounted Police). Der Oppositionsführer und ehemalige haitianische Botschaft in Deutschland, Michel Gaillard und der linke Schriftsteller Georges Anglade sowie der haitianische Musiker Jimmy O. Barikad sterben.

13. Januar 2010: Aus der Dominikanischen Republik treffen erste Rettungstrupps in Port-au-Prince ein. Schwerverletzte werden nach Santo Domingo und dominikanische Großstädte mit Kliniken ausgeflogen.

15. Januar: 100.000 Haitianer, die illegal in den USA leben und 30.000, die abgeschoben werden sollten, erhalten eine auf 18 Monate befristete Aufenthaltsgenehmigung. Am Abend ankerte der Flugzeugträger USS Carl Vinson vor der Küste Haitis, bereit um 600.000 Essensrationen und 100.000 zehn Liter-Tanks Wasser zu liefern. Auf dem Schiff können täglich ~ 1,5 Mio Liter Trinkwasser produzieren werden.

17. Januar: Zwei Nachbeben der Stärke 4,6 und 4,7.

18. Januar: USA stationieren Marines und Infanterietruppe, insgesamt 5.800 Soldaten.

19. Januar: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschließt die Aufstockung der UN-Mission um 3.500 Mann (Soldaten und Polizisten). Der Pariser Club ruft erneut zu einem allgemeinen Schuldenerlass für Haiti auf. Die Auslandsschulden Haitis betrugen am Juli 2009 1,885 Mrd. US-Dollar.

20. Januar: Erneutes Beben von der Stärke 6,1. Nur wenige beschädigte Häuser stürzen ein. Eine Person wird tödlich verletzt.

21. Januar: Erstmals öffnen Geld-Transfer-Institute damit die Haitianer Geld aus dem Ausland empfangen können. Nach Reparatur durch US-Einheiten können in einem Teil des Hafens von Port-au-Prince Hilfsgütern wieder entladen werden.

22. Januar: Die haitianische Regierung erklärt das Ende der akuten Rettungsmaßnahmen und damit das Ende der Suche nach verschütteten Opfern. Um 16 Uhr (21 Uhr UTC) wird die Suche offiziell eingestellt. Eine 84jährige Frau und ein 21jähriger werden lebend aus Trümmern in Port-au-Prince befreit.

23. Januar: Erstmals öffnen Banken. Ein aufblasbarer OP und 30 Klinikzelte mit 100 DRK-Mitarbeitern treffen in Haiti ein.

25. Januar: Zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti wird ein „humanitäre Korridor“ eröffnet, der täglich 24 Stunden offen gehalten werden kann, um humanitärer Hilfe auf dem Landweg nach Haiti zu transportieren ohne Zollabfertigung.

26. Januar: Nach Schätzungen von OCHA, dem UN-Koordinierungsbüro für humanitäre Hilfe haben rund eine halbe Millionen Menschen die Erdbebenregion verlassen und sind zu Verwandten in nicht betroffene Regionen „abgewandert“.

27. Januar 2010: Nach 15 Tagen wird die 16 Jahre alte Darlène Étienne lebend aus den Trümmern eines Hauses geborgen.

3. Februar: Die UN benennen Bill Clinton als ihren Hilfekoordinator.

8. Februar: Die UN-FAO beginnt mit einem cash-for-work-Programm. In den Trümmern des Croix-Bossal-Markts in Port-au-Prince wird ein Überlebender geborgen, der dort als Reishändler arbeitete. Es bestehen aber Zweifel, ob er wirklich die ganze Zeit gelegen hatte oder dort später verschüttet wurde, als er Waren suchte.

9. Februar 2010: Von der haitianischen Regierung wird die offizielle Zahl der Toten mit 230.000 angegeben, da anfangs keine Toten registriert wurden, wird jedoch von 300.000 Toten ausgegangen, 400.000 wurden verletzt, 8-10.000 Menschen verloren Gliedmaßen oder sind gelähmt, 1,2 Millionen sind obdachlos.

31. März: Auf der Geberkonferenz sagen Vertreter von 138 Staaten, internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen Haiti finanzielle Hilfe in Höhe von 9,9 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau zu, die Europäische Union verspricht etwa 1,6 Milliarden Dollar zu.

17. April: Das haitianische Parlament beschließt auf Antrag von Staatspräsident René Préval ein Notstandsgesetz, das ihm in den nächsten 18 Monaten weitgehende Rechte einräumt.

1. Juli: Staatspräsident René Préval verkündet nach heftigem internationalen Druck verfassungsgemäße Neuwahlen für den 28. November.

19. Oktober: Der erste Cholera-Fall wird in der Region des Artibonite bekannt.

25. Oktober: Erste Meldungen, dass die unsachgemäße Entsorgung der Latrinen in einer Kaserne der nepalesischen Blauhelmtruppen Ursache für den Ausbruch der Seuche ist.

1. November: Die US-amerikanischen Zentrum für Seuchenkontrolle (CDC) meldet, dass die in Haiti aufgetauchten Cholera-Erreger mit Stämmen identisch sind, wie sie in Südasien vorkommen. In Nepal gab es im August des Jahres eine Cholera-Epidemie. Die UN weist alle Anschuldigung zurück, UN-Soldaten seien Verursacher der Cholera.

5. November: Hurrikan Tomas löst schwere Überschwemmungen aus. 21 Tote.

28. November: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Nur eine Million von 4,7 Stimmberechtigten beteiligen sich an der Abstimmung. Meldungen von Unregelmäßigkeiten. An Nachmittag kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen oppositionellen Demonstranten und Anhänger des Regierungskandidaten Célestin. 15 der 19 Kandidaten fordern Annullierung der Wahl wegen Wahlfälschungen, für die sie Präsident René Préval verantwortlich machen.

29. November: Der Präsidentschaftskandidat und Pop-Star „Sweet Mickey“ Michel Martelly erklärt sich zum Sieger. Zweitplatzierte sei nach inoffiziellen Auszählungen der UN-Wahlbeobachtergruppe die rechtskonservative ehemalige First-Lady des Landes, Mirlande Manigat. Jude Célestin habe es nur auf Platz 3 geschafft. Martelly und Manigat wollen jetzt Ergebnis anerkennen.

7. Dezember: Erstes vorläufiges Wahlergebnis: Mirlande Manigat (31.30 %), Jude Célestin von der Regierungspartei Inite (22.48 %), Michel Martelly (21,84 %) 12 der 19 Präsidentschaftskandidaten fordern die Annullierung des Urnengangs. Martelly droht mit Aufstand seiner Anhänger, wenn er nicht an Stichwahl teilnehmen kann.

22. Dezember: Aufgeputschte „Bürger“ ermorden in der Region um Jérémie Vodou-Priesterinnen und –Priester als Schuldige für den Ausbruch der Cholera.

27. Dezember: Beginn der Neuauszählung der rund eine Million abgegeben Stimmen.

5. Januar: Der Provisorische Wahlrat teilt mit, dass der Termin für die Stichwahl am 16. Januar nicht eingehalten werden kann. Die Zahl der Cholera-Toten beträgt nach offiziellen Angaben 3.481.

6. Januar: UN beschließt die Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die die Ursachen für den Choleraausbruch untersuchen soll.

10. Januar: OAS-Kommission empfiehlt den Präsidentschaftskandidaten der Regierungspartei, Jude Célestin, von der Stichwahl wegen Manipulationen zu seinen Gunsten, bei der Stimmabgabe auszuschließen.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/chronologie_einer_angekuendigten_kathastrophe/

aktuell auf taz.de

kommentare