vonJakob Hein 04.01.2010

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog


Fehlende Schritte

Das Internet – weltweiter Verbund von Millionen von Computern auf der ganzen Welt. Man kann kommunizieren mit Dubai, Peking, Adelaide und Fellingshausen. O.k., meistens wird es dazu benutzt, damit Jugendliche aus Fellingshausen mit anderen Jugendlichen aus Fellingshausen über ihre Lehrerin oder eine Klassenkameradin schreiben können, aus der Schule, aus der sie gerade gekommen sind, bevor sie sich schnell an den Computer gesetzt haben. Und dann kann man darüber schreiben, dass die Hausaufgaben von der fiesen Frau Kallenbach voll gemein und zuviel sind, und genau betrachtet bräuchten die Fellingshausener Jugendlichen für ebendiese Hausaufgaben weniger Zeit als für ihre Cyberattacken gegen Frau Kallenbach, sei sie nun fies oder nicht. Demnächst wird sie jedenfalls zumindest bei diesen Jugendlichen den Eindruck, dass sie fies sei, wieder bestätigen, wenn die Jugendlichen nämlich das verdiente „Ungenügend“ für ihre schnell vor Unterrichtsbeginn dahingewurschtelten Hausaufgaben bekommen, müde vom Late-Night-Chat. Das Internet, voll von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.
Ich habe schon viel ins Internet gestellt. Videos, Kommentare, Bilder, Veranstaltungsankündigungen. Eigentlich ziemlich viel, wenn man darüber nachdenkt. Und bisher hatte ich immer den Eindruck, mich in einer ziemlich kleinen Seitenstraße des Internets aufzuhalten, eine, wo kaum mal jemand vorbeikommt. Also klar, Freunde schauen mal rein, kommen dich gezielt besuchen, aber so eine Hauptstraße, wo dir Millionen ins Schaufenster schauen, da will ich gar nicht wohnen. Ob ich einen Veranstaltungshinweis ins Internet stellte oder nicht, machte letztendlich gar keinen Unterschied. Wenn ich einen Kommentar hineinstellte, meldeten sich in einem Jahr mal drei Leser, von denen ich zwei kannte. Ich habe sogar ein Wiki zum Mitmachen eingerichtet, wo ich Wörter für ein Online-Lexikon sammele, da haben sich in zwei Jahren etwa sechs Leute mit Vorschlägen gemeldet. Schöne Vorschläge, nette Leute, aber so in etwa muss man sich die Geschichte vorstellen.
Dann habe ich einmal etwas zum Thema „Klima“ ins Internet gestellt. Genau an den gleichen Ort, auf die gleiche stille Straße, wo auch sonst immer meine Beiträge stehen und sich gemütlich mit den freundlichen Nachbarn unterhalten. Innerhalb von einer Woche kamen mehr als zwanzig wildfremde, wahnsinnig unfreundliche Leute in mein Viertel vom Internet und schrien unfreundlich und feindselig herum. Offensichtlich gibt es also eine größere Gruppe von Menschen, die das Internet regelmäßig nach Beiträgen zum Thema Klima durchsuchen und dann lauthals und vehement an den Stellen herumkreischen, wo ihnen die Meinung nicht passt. Es gibt dafür zwei Erklärungen: Entweder gibt es eine große Zahl von Menschen, die sich in der vorherrschenden Meinung von Politik und Wissenschaft nicht wiederfinden und die daher versuchen, wenigstens im Internet ihre Meinung zum ihrer Meinung nach angeblichen Klimawechsel zu verbreiten, oder diese Art von Reaktionen ist in irgendeiner Art unterstützt. In jedem Fall ist diese Meinung nützlich für alle Arten von Industrien, Wirtschaftszweigen, Lobbyisten und Faulpelzen, denn die Meinung geht in etwa so: Der Klimawandel ist erstunken und erlogen, alles ist in Ordnung, wir sollten uns lieber anderen Fragen zuwenden. Diese anderen Fragen sind dann wahlweise die islamistische Bedrohung, das Zerbrechen der Wertegesellschaft oder die sinkende Stillquote.
Mir fehlen in dieser Argumentationskette einige Schritte, an denen man meiner Meinung dringend abbiegen müsste, und dann womöglich zu vergleichbaren Schlüssen wie die als „Klimaalarmisten“ diskreditierten Millionen, nach Meinung der Skeptiker falsch informierter, hysterisierter und gleichgeschalteter.
Nehmen wir einmal, nur zum Zwecke der Befreiung des Denkens, an, dass die Argumente der Skeptiker zuträfen. Dann gäbe es zwar noch das Problem, welche Argumente das sein sollen, denn die Bandbreite in deren Lager reicht vom Nahen einer Eiszeit über den Zweifel an der Erwärmung des Weltklimas bis zur Akzeptanz einer Klimaerwärmung, jedoch dem Negieren des Menschengemachten dieser Erwärmung. Nehmen wir also den kleinsten gemeinsamen Nenner der Skeptiker und gehen wir davon aus, dass, wenn es überhaupt eine Klimaerwärmung gäbe, diese nichts Wesentliches mit dem Menschen zu tun hat. Ist denn dann die Schlussfolgerung daraus, dass die Schlussfolgerungen der „Klimaalarmisten“ falsch sind?
Das erinnert an den Alkoholabhängigen, der jeden Tag zwei Flaschen Schnaps trinkt, dann aggressiv wird, seine Frau verprügelt, am nächsten Morgen einen Filmriss hat, schrecklich stinkt, längst schon seinen Job verloren hat und nun beim Arzt zur Blutentnahme erscheint. Und – wer hätte das für möglich gehalten? – seine Leberwerte sind in Ordnung. „Seht Ihr!“, wird nun der Abhängige triumphierend rufen. „Alles Quatsch!“ Der Arzt wird womöglich sagen, dass die niedrigen Leberwerte darauf zurückzuführen sein könnten, dass seine Leber mittlerweile schon am Absterben und gar nicht mehr in der Lage sei, die erhöhten Werte zu produzieren. „Typisches Arzt-Blabla“, wird der Alkoholabhängige ihn anherrschen. „Ihr wollt doch immer nur Geld verdienen.“ Seiner Sache bestätigt, trinkt er weiterhin zwei Flaschen Schnaps, an Feiertagen auch mal drei. Wir wollen an dieser Stelle bewusst offen lassen, ob er daran stirbt oder tatsächlich diese Alkoholmenge prima verträgt und eines Tages im hohen Alter friedlich in seinem Bett einschläft.
Würde denn irgendjemand ernsthaft die Meinung vertreten, die Lebensführung dieses Menschen sei einwandfrei? Einverstanden, seine Leberwerte sind in Ordnung, aber sollte die Schlussfolgerung daraus sein, dass es so weitergehen soll? Was würde es nutzen, wenn man im Ultraschall eine Leberzirrhose fände? Vermutlich würde der Herr einem weiterhin die perfekten Leberwerte unter die Nase halten. Werte, die er im Übrigen natürlich nicht wiedergeben kann, nicht selbst interpretieren könnte und von denen er nicht wirklich etwas versteht, aber Werte, die ihm plötzlich sehr wichtig sind.
Könnte man sich denn nicht zumindest in der westlichen Welt darauf einigen, dass unsere Art zu leben nicht so ganz hundertprozentig Einwandtutti ist? Und könnte man nicht das CO2 einfach als eine Art Symbol dafür auffassen, was nicht so ganz einwandfrei ist? Inwiefern ist es denn in Ordnung, wenn ein älterer Herr mit einem Auto umherfährt, in das eine Schulklasse passen könnte? Auf welche Weise ist es gut, wenn ein Mensch, der nicht genug Ahnung von Landwirtschaft hat, um eine Brennnessel von einer Maispflanze zu unterscheiden, im Jahr zwei Rinder isst? Warum ist nichts dagegen zu sagen, dass die Erde in ihre Einzelbestandteile zerlegt und verbrannt wird? Woher wissen wir, dass in den Millionen Jahren Menschheitsgeschichte ausgerechnet wir das Recht haben, diese Ressourcen so schonungslos zu verbrauchen? Ist das Teilen nicht christlich und ist die Ungleichverteilung nicht so etwas wie Nicht-Teilen im globalen Maßstab?
Bei den Klimaskeptikern sind ziemlich viele, denen es nach eigenem Bekunden vor allem um Werte und so etwas geht. Könnten nicht wenigstens die meisten von denen sich für den cleveren Schachzug entscheiden, nur zum Schein so zu tun, als würden sie den „Klimaalarmisten“ glauben und durch diesen Trick die vielen wertebetonten Ziele wie Teilen, Gerechtigkeit und Bescheidenheit zu befördern? Aber das geht irgendwie auch nicht. Warum, das werde ich sicher bald erfahren, denn auch diesen Text hier werde ich ins Internet stellen. Und das ist ja voll von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/climategate_und_die_achse_des_bloeden_5_jakob_hein_ueber_klimaskeptiker_und_werte/

aktuell auf taz.de

kommentare