Im Zuge der »Halbzeitwahlen« in den USA wurde viel über die kulturelle und soziale Spaltung des nach Fläche wie Bevölkerungszahl jeweils drittgrößten Landes der Welt diskutiert. Eine Infografik zu den Senatswahlen zeigt, dass sich diese Spaltung auch in geografischer Hinsicht ausdrückt. Es handelt sich hierbei um keine Teilung entlang zweier Himmelsrichtungen wie Nord/Süd oder Ost/West, sondern – etwas vereinfachend gesagt – um eine zwischen den Küstenregionen sowie deren unmittelbaren Anrainerstaaten einerseits und den Staaten im Landesinneren andererseits. Haben sich hier fast ausschließlich demokratische Kandidat*innen durchgesetzt, sind es dort beinahe durchweg Kandidat*innen der Republikaner. Bemerkenswerterweise wird der Einfluss virtueller Räume (neue Medien, soziale Netzwerke etc.) auf das Wahlverhalten derzeit viel und auch sehr kritisch besprochen, der Zusammenhang zwischen geografischem Raum und politischer Orientierung (Reizwort Heimat) ist dagegen vergleichsweise unterbelichtet geblieben.
Ganz anders kommen dagegen die aktuellen Ausgaben der Marvel-Serien Captain America und Black Panther daher, wo diese politisch virulente Raumfrage sehr explizit verhandelt wird. Wer dem Superheldenteam Die Avangers – dem auch Black Panther und Captain America angehören – einen Brief schreiben will, muss ihn wie folgt adressieren: AVANGERS; Avangers Mansion; 980 Fifth Avenue, New York (siehe D. Dath: Superhelden. 100 Seiten). Die Ostküstenmetropole ist überhaupt der wichtigste Handlungsort innerhalb der erzählten Welt der allermeisten Marvelcomics. Und nichtzuletzt hat auch der Verlag selbst dort seine Dependance. In der Fiktion der Comics als auch der sozialen Wirklichkeit gilt New York einerseits als Ort gelebter Toleranz und Vielfalt. Für andere war oder ist er hingegen Inbegriff verbreiteter Kriminalität (Stichwort Gotham im mit Marvel konkurrierenden DC-Kosmos), Sitz des big business oder schlicht das Sodom unserer Tage.
Für Captain America ist dieser Deutungskonflikt neuerdings zum handfesten (inneren) Widerspruch geraten: Will er einerseits zwar Sinnbild einer Nation sein, so hängt er doch die meiste Zeit mit seinen Besties von den Avengers im kosmopolitanen NYC ab und verteidigt die liberaldemokratische, ›westliche‹ Wertegemeinschaft vom Big Apple aus. Für Comicautor Mark Waid und Zeichner Chris Samnee scheint es verständlicherweise gerade die beste Zeit zu sein, diesen bislang für selbstverständlich gehaltenen Umstand wenigstens zu hinterfragen oder gar ganz neue Wege zu beschreiten. »Kann nicht schaden, sich auch mal ein paar andere Städte anzusehen. Wo sich doch das ganze Land mit Captain America identifizieren soll.« Cap spricht’s, schwingt sich auf seine Chopper und fährt hinein in die tiefste Provinz der Staaten.
Der Titel der solchermaßen als Roadmovie beginnenden Serie Home of the Brave (in den USA erschienen von Januar bis Juni 2018) deutet denn auch vielversprechend eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis des Helden zu seiner zerrissenen Heimat an. Doch das ambitionierte Projekt, den Cleavage zwischen Stadt und Land, Zentrum und Peripherie mittels versinnbildlichender Demonstration des Gemeinsamen zu kitten, scheitert letztlich daran, dass die Comicmacher scheinbar gar keine Ahnung davon haben, worin denn eigentlich das Trennende besteht. Die entscheidenden Fragen wären gewesen, wie und warum sich die Lebensentwürfe und -realitäten z.B. in Bouton County/Nebraska von denen in New York unterscheiden. Und ob bzw. wie Cap America die derart auseinander tretenden Wirklichkeiten dennoch unter einen Hut zu bringen vermag.
Doch nicht nur, dass die Autoren den Ursachen der kulturellen Gespaltenheit der USA nicht auf den Grund kommen; es existiert für sie schlicht keine Gespaltenheit. Cap bereist die Staaten Nebraska und Georgia (beides realiter Hochburgen der republikanischen Partei), geht Fast Food essen (»zweimal Hotdog mit Zwiebeln und Senf«) und quatscht ausgiebig mit den Rednecks. Schließlich zeigt sich schnell: alle sind freundlich, zufrieden, verehren den Superhelden und teilen die (liberalen) Werte, für die er steht. Die derzeit grassierende Melange aus Gewalt und kollektiver Abwertung wird stattdessen einfach auf eine rechtsradikale Gruppierung namens ›The Rampert‹ projiziert, deren Anführer maximal hässlich, gewalttätig und dumpf daherkommen.
Logischerweise will niemand etwas mit diesem Haufen verblödeter Nazis zu tun haben, sodass Steve Rogers die braune Truppe erst einmal stilllegen kann. Führt man sich jedoch die Bedeutung des englischen Wortes rampart vor Augen (Mauer, Bollwerk), merkt man schnell, was an dieser Erzählung nicht stimmt. Denn es ist ja gerade das Versprechen der Mauer (als Sinnbild einer ethnonationalistischen Abschottungspolitik) mit der sich dies- und jenseits des Atlantik derzeit politische Hegemonie erringen lässt. Verfechter eines völkischen und autoritären Politikideals müssen sich nicht an die Macht putschen (wie im weiteren Verlauf der Geschichte), sie gewinnen heutzutage einfach Wahlen.
Weil sie das nicht verstehen, entgleitet Waid und Samnee die Erzählung dann auch vollends. Aus dem Road Movie wird unversehens eine Zeitreise in eine nähere Zukunft, wo Cap schließlich eine faschistische Rampart-Regierung stürzen und das nach der Gewaltherrschaft völlig darnieder liegende Land wieder aufrichten muss. Der Rest der Geschichte ist so seltsam gestrickt, dass man anfängt, nicht mehr nur am Gespür der Autoren für das Erzählerisch-Politische zu zweifeln, sondern an deren Gesinnung selbst: »Invasoren aus Europa« (sic!) nutzen das entstandene Machtvakuum, um in den USA einzufallen. Und als die Staaten in völliger Anomie versinken, fällt den Autoren nichts besseres ein, als Captain America einfach wieder in die Vergangenheit reisen zu lassen und dort am Ursprung des ganzen Desasters sein Werk zu verrichten.
Das ist aber nicht nur ein schauderhaft simples Deus ex machina, sondern im wahrsten Sinne des Wortes rückwärtsgewandt und ein (weiteres) zentrales Motiv der Rechtspopulisten bedienend: Der Glaube nämlich, dass der Schlüssel zur Bearbeitung der gegenwärtigen Herausforderungen in der Vergangenheit und eben nicht in der Zukunft liegt.
Besser gemacht hat das der Journalist und Sachbuchautor Ta-Nehisi Coates (We Were Eight Years in Power), der seit 2016 der Superheldenserie Black Panther als Autor seinen Stempel aufgedrückt hat. Black Panther alias T’Challa ist Herrscher und mythischer Beschützer des fiktiven, irgendwo in Afrika gelegenen Königreichs Wakanda.
Als Coates die Serie übernahm, ließ er das reiche und hochentwickelte Wakanda in einer Reihe von Konflikten erschüttern, die vor allem politisch informierte Leser*innen relativ vertraut vorkommen dürften: Das Land wird auseinandergerissen von einer Rebellion einer sich Das Volk nennenden Gruppierung, welche die Rückkehr zu den spirituell-traditionellen Wurzeln der Nation fordert, und dem Aufstand ehemaliger Leibwächterinnen des Königs, die sich einigen korrupten und absolutistisch agierenden Regionalfürsten Wakandas entgegenstellen. Dieser Fundamentalkonflikt zwischen modernen und traditionellen Kräften, zwischen feministischer und patriarchaler Selbstermächtigung bildet bis heute den narrativen Kern der wiederbelebten Black-Panther-Reihe
Vor diesem Hintergrund der gesellschaftlichen Zerspaltung hat Coates dann in den letzten eineinhalb Jahren zudem noch die große afrofuturistische Erzählung von Wakanda als eine der fortschrittlichsten und entwickeltesten Nationen des Planeten lustvoll destruiert. Es sind seitdem nicht mehr in erster Linie die Anhänger einer für glorreich befundenen Vergangenheit, die das Land terrorisieren, sondern untote Wiedergänger, Symptome einer nicht bewältigten Historie, welche über magische Portale in das Land einfallen und die Bevölkerung heimsuchen. Aufgrund dessen muss sich T’Challa mit der ›tiefen Vergangenheit‹ des Landes auseinandersetzen, das sich wohl auch etwas weniger verdunkelnd ausgedrückt als verdrängter Teil des kulturellen Gedächtnisses bezeichnen ließe.
Jedenfalls stellt sich heraus, dass die Gründung Wakandas einst mit der brutalen Vertreibung und auch teilweisen Vernichtung der dort angesiedelten nativen Stämme einherging. Etwas, worüber die offiziellen Chroniken verständlicherweise nicht berichten konnten bzw. wollten. Der feindlich gesinnte Nachbarstaat Azania und einige Erzfeinde Black Panthers wollen sich nun den Umstand zu Nutze machen, dass der glorreichen wakandischen Nation das Fundament ihres einstmals so stolzen Selbstverständnisses mehr und mehr zerbröselt.
Die Vorstellung einer (Ur-)Heimat verliert also hier ihre Unschuld und die aufgeworfene Raumfrage bringt unweigerlich die Macht aufs Tableau (die Macht zur Vertreibung der Ureinwohner, die Macht zur Aneignung ihres Landes, die Macht zur Verleugnung ihrer Existenz und Geschichte). Aber es geht um noch viel mehr: um das Verhältnis der Geschlechter, um die Stellung der Religion in einer (post-)modernen Gesellschaft, um das Gleichgewicht zwischen demokratischer Repräsentationsmacht und politischer Entscheidungsmacht usw.
Und weil es Coates gelingt, all diese Fäden zu einer spannungsreichen und stringenten Geschichte zu knüpfen, ist er ein großer Erzähler, der die Komplexität des Sozialen mit einer ebenso komplexen, jedoch nicht überfrachteten Ästhetik zu fassen weiß. Für alle Liebhaber der Captain-America-Reihe ist es deshalb nach dem jüngsten Fiasko wohl mehr als ein kleiner Trost, dass der Autor seit Sommer diesen Jahres auch für die Serie um den ›Ersten Avenger‹ und obersten Nazijäger der Vereinigten Staaten verantwortlich zeichnet. In Deutschland dürfte der erste Band aller Erfahrung nach im Frühjahr 2019 herauskommen; man muss sich also gar nicht mehr lange gedulden.
Mark Waid/Chris Samnee: Captain America. Steve Rogers: Land der Tapferen (i.O.: Home of the Brave), Marvel/Panini Comics 2018.
Ta Nehisi Coates/Chris Sprouse: Black Panther. Götterdämmerung über Wakanda, Marvel/Panini Comics 2018.
Der wahre Black Panther Afrikas:
Genosse Präsident Capitaine Thomas Isidore Noël Ouédraogo Sankara!
https://youtu.be/osI6Dajg3_8
https://youtu.be/oc-wLOipffY
https://youtu.be/xKbJbnC9brc